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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 595 / 17.6.2014

Alle Sneakers stehen still ...

International Unternehmer, Polizei und Gewerkschaft gehen gegen den bisher größten Wanderarbeiterstreik beim Sportschuhhersteller Yue Yuen in China vor

Von Ralf Ruckus

Bis zu 50.000 ArbeiterInnen legten im April 2014 in mehreren Yue-Yuen-Schuhfabriken in Dongguan, Südchina, für zwei Wochen die Arbeit nieder - der größte Unternehmensstreik chinesischer WanderarbeiterInnen bisher.

Yue Yuen gehört der taiwanesischen Pou-Chen-Gruppe und ist einer der weltweit größten Auftragshersteller für Schuhe. Die 400.000 Beschäftigten in China, Indonesien und Vietnam produzieren für Nike, Adidas, Reebok und andere Marken. In Dongguan beschäftigt Yue Yuen 60.000 ArbeiterInnen, davon 70 Prozent Frauen. Mit Zuschlägen kommen die ArbeiterInnen auf einen Monatslohn von 2.200 bis 2.800 Yuan (250 bis 330 Euro).

Schon in den letzten Jahren hatte es bei Yue Yuen Proteste und Arbeitsniederlegungen gegeben. Dieses Mal brach der wilde Streik aus, nachdem ArbeiterInnen herausgefunden hatten, dass ihre Arbeitsverträge nicht rechtmäßig waren und das Unternehmen jahrelang nicht die vollen Sozialversicherungsbeträge gezahlt hatte. Seit Ende der 1990er Jahre gibt es in China ein aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen gespeistes Sozialversicherungssystem, das auch für WanderarbeiterInnen gilt, von vielen Unternehmen jedoch ignoriert und von der Regierung kaum durchgesetzt wird.

Ein weiterer Grund für den Streik waren die niedrigen Löhne. Yue Yuen hat in den letzten Jahren bei jeder vom Staat verordneten Mindestlohnerhöhung die Zulagen gesenkt. Somit stieg der Gesamtlohn nicht, dafür aber die Fluktuation. Der Streik war zudem Ausdruck des Kampfes gegen die entwürdigende Fließbandarbeit, und nach Aussage einer Arbeiterin nutzten viele den Streik, »um ihre Wut rauszulassen«.

Ablauf des Streiks

Am 5. April blockierten zunächst einige Hundert eine Brücke in Dongguan und forderten die Zahlung der vollständigen Sozialversicherungsbeträge. Als Yue Yuen nicht reagierte, traten am 14. April Tausende in den Streik. Eine Demo von 10.000 Leuten wurde von der Bereitschaftspolizei angegriffen, die ArbeiterInnen verprügelte und einige verhaftete. Am 15. April breitete sich der Streik auf andere Yue-Yuen-Fabriken in Dongguan aus. Am 16. April begannen Verhandlungen, allerdings ohne Ergebnisse, und VertreterInnen der ArbeiterInnen wurden verhaftet. Der Streik ging jedoch weiter. Am 18. April demonstrierten Verwandte und UnterstützerInnen der Verhafteten vor dem örtlichen Rathaus, und 2.000 ArbeiterInnen einer weiteren Yue-Yuen-Fabrik in der Provinz Jiangxi traten ebenfalls in den Streik. Am 21. Mai versprach Yue Yuen die Aufstockung der Zulagen um 230 Yuan und die volle Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge ab Mai. Da die ArbeiterInnen jedoch ebenfalls ihren Teil der Sozialversicherungsbeiträge aufstocken müssen, wird ihr Gesamtlohn voraussichtlich sogar sinken.

Am 22. April gab es Solidaritätsdemos in Hongkong, Taiwan, Australien und den USA. Die vom chinesischen Regime kontrollierte Gewerkschaft intervenierte nun - um den Streik zu beenden. Laut einer Arbeiterin »haben sie das koordiniert: die Gewerkschaft, die Polizei und der Unternehmer. Sie haben sich zusammengetan, um den ArbeiterInnen einen Schlag zu versetzen«.

Die Polizei besetzte am 24. und 25. April Fabriken und Wohnheimanlagen und nahm ArbeiterInnen fest, die sich weigerten, die Arbeit wieder aufzunehmen. »Die Yue-Yuen-Schuhfabriken wurden zum Yue-Yuen-Gefängnis«, kommentierte eine Arbeiterin, und eine andere sagte: »Wir mussten die Arbeit wieder aufnehmen. Was kann man anderes tun, wenn ein Mann mit Schild, Knüppel und Helm neben dir steht?« In diesen Tagen nahm auch der Druck des Managements auf die ArbeiterInnen deutlich zu. Bis zum 28. April waren mehr als zwei Drittel der Belegschaft an die Arbeitsplätze zurückgekehrt, und in den Tagen darauf brach der Widerstand ganz zusammen.

Wie viele andere Streiks in letzter Zeit wurde auch dieser über Smartphones und Internetchats organisiert. Erfahrene ArbeiterInnen und untere Führungskräfte spielten eine wichtige Rolle - oft ohne offen aufzutreten. So weichen sie Vergeltungsschlägen aus. Je nach Werk und Abteilung unterschied sich die Form der Selbstorganisierung, es gab einige gut organisierte Einheiten und viele MitläuferInnen. Ein Arbeiter sagte nachher: »Der Streik wurde beendet, aber die Probleme bestehen weiter. Wir sind besonders über die Unterdrückung der Arbeiter durch die Regierung verärgert. Und wir sind wütend, weil wir gezwungen wurden, wieder zu arbeiten.«

Das Unternehmen Yue Yuen erklärte, durch den Streik 27 Millionen US-Dollar verloren zu haben, und die Zugeständnisse würden dieses Jahr weitere 31 Millionen kosten. Das führe zu weiteren Verlagerungen von Produktionskapazitäten von Chinas Ostküste in Regionen mit niedrigeren Löhnen, etwa nach Vietnam. Auftraggeber Adidas hatte schon während des Streiks reagiert. Eine Adidas-Sprecherin sagte: »Um Störungen durch den Streik zu minimieren, werden wir in Zukunft für Yue Yuen in Dongguan vorgesehene Bestellungen an andere Zulieferer vergeben.« Während des Streiks verlagerte Adidas Maschinen aus Yue-Yuen-Werken in andere Schuhfabriken in der Provinz Guangdong.

Die Organisierungskraft der ArbeiterInnen wächst

Der Streik zeigt das Dilemma der herrschenden Kommunistischen Partei, die einerseits Lohnerhöhungen in der Industrie wünscht, um die Binnennachfrage zu steigern und damit die Exportabhängigkeit der eigenen Wirtschaft zu senken. Auch die Verlagerung von Unternehmen aus Billigsektoren wie der Schuhproduktion passt in dieses Programm des »Industrial Upgrading«. Um eine reibungslose Kapitalakkumulation zu gewährleisten und damit die ArbeiterInnen Druck ablassen, hat die KP trotz fehlenden Streikrechts den zunehmenden Arbeitsniederlegungen in den letzten Jahren einen gewissen Raum gegeben. Andererseits fürchtet sie eine Eskalation der Streiks und damit die Gefährdung der eigenen Herrschaft. Deswegen lässt sie dann doch regelmäßig Streiks von der Polizei unterdrücken.

Trotz des nicht zufriedenstellenden Ergebnisses ist der große Streik bei Yue Yuen ein Beispiel für die zunehmende Organisierungsfähigkeit und Kampferfahrung chinesischer ArbeiterInnen. Er stand am Ende einer Protestwelle, die seit März 2014 in China u.a. in Walmart-Geschäften, Fabriken von Samsung, Nokia und IBM stattfand und auch LehrerInnen, StraßenkehrerInnen, Taxi- sowie BusfahrerInnen erfasste. Dazu kamen weitere proletarische Wutausbrüche wie in Cangnan in der Provinz Zhejiang, wo eine Menge Vertreter des Ordnungsamts verprügelte, nachdem diese eine Straßenhändlerin belästigt und einen Mann getötet hatten, der diesen Übergriff fotografierte. Die Regierung ist ob des Drucks von unten nervös.

Nach dem Yue Yuen-Streik sagte ein Arbeiter: »Am Anfang des Streiks hofften Arbeiter, dass die Regierung ihnen helfen und in dem Konflikt vermitteln würde, aber sie erkannten ihr wahres Gesicht, als die Gewerkschaft intervenierte und die Repression zunahm. Sie sind die Helfershelfer und Henkergesellen des Arbeitgebers. Das Feuer konnten sie löschen, aber die Asche glüht weiter und wird sich wieder entzünden. Im nächsten Streik werden wir auf jeden Fall kampfbereit und noch besser organisiert sein.

Ralf Ruckus schreibt auf gongchao.org. Er hat das Buch »Streiks im Perlflussdelta« von Hao Ren u.a. übersetzt und herausgegeben (siehe ak 593).