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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 595 / 17.6.2014

Meinung

Schwarz-rot-goldene Gefahrenzone

Wer braucht diese WM? Ich nicht. Veranstalter und Profiteur ist ein korruptes Großunternehmen, und andere Großunternehmen kassieren mit. Wer zahlt das? Allen voran die brasilianische Bevölkerung, die zu Recht rebelliert. Mein Lieblingsszenario sieht so aus: Abbruch der Veranstaltung spätestens nach der Vorrunde, Heimreise der Kicker aller beteiligten Länder, Auflösung der FIFA und Strafprozesse gegen ihre korruptesten Funktionäre.

Dazu wird es wohl nicht kommen. »Boykottieren« werde ich die WM dennoch nicht, sondern wieder einmal viele Stunden vor dem Fernseher verbringen - weil ich die drei oder vier hochklassigen Spiele nicht verpassen will, die es wohl auch diesmal geben wird. Vielleicht sind auch welche mit deutscher Beteiligung darunter. Na und? Wahre Fußballfans fragen nicht nach der Nationalität, sie wollen »das schöne Spiel«, in welcher Variante auch immer, als »totaalvoetbal« (niederländisch) »tiki-taka« (spanisch) oder »jogo bonito« (brasilianisch).

Genug der romantischen Abschweifungen, zurück zu Analyse und Kritik. Nationalmannschaften sind nie nur Fußballteams, sondern immer auch nationale Symbole. Wenn der Sport die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, dann ist die »Mission« des deutschen Teams in Brasilien die Fortsetzung der hierzulande herrschenden Politik und Werbung für ihre ProtagonistInnen: die GroKo! Merkel! Gabriel! Gauck! Irgendeine auch nur ansatzweise kritische Äußerung über den politischen Mainstream in Deutschland ist von keinem der deutschen Elitekicker überliefert. Das war nie anders, aber immerhin gab es früher einige wenige Charaktere (Günther Netzer, Paul Breitner), denen oppositionelle Neigungen zugetraut wurden - wenn auch zu Unrecht. Heute ist man schon froh, wenn Mesut Özil oder Sami Khedira die Nationalhymne nicht mitsingen. Innenminister de Maizière hat deswegen jetzt ein Machtwort gesprochen: Diesmal singen aber gefälligst alle mit in der Multikultitruppe! Seit 2006 wird uns eingeredet, der schwarz-rot-goldene »Party-Patriotismus« sei ganz harmlos. Inzwischen ist wissenschaftlich erwiesen, dass das »gefährlicher Unsinn« ist. So formuliert es der »antideutscher« Neigungen gänzlich unverdächtige Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer. Die von ihm 2012 vorgestellte Studie des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung zeigte u.a.: Nach der WM 2010 befragte Personen waren »nationalistischer eingestellt« als früher Befragte, und Nationalstolz führt zu »Fremdgruppenabwertung« - was sich auch mit Rassismus übersetzen lässt.

Solche Einstellungen sind weder angeboren, noch fallen sie vom Himmel. Die These vom »normalen« und »gesunden« Patriotismus wird seit Jahren verbreitet - und nie so massiv wie während einer Fußballweltmeisterschaft. Zentralorgan der emotionalen Aufrüstung ist die Bild-Zeitung. Eine Woche vor WM-Beginn beglückte sie die Nation mit einer 16-seitigen Sonderausgabe »WM-Fieber«, die in einer Auflage von angeblich 42 Millionen Exemplaren kostenlos verteilt wurde. Menschen »aus dem Volk« bekennen: »Wir sind heiß«; auf einem WM-Poster für Kneipen, Küchen und Büros sind »wir« bereits Weltmeister, während der Rest der Welt eimerweise Tränen vergießt. Und wenn es doch nicht klappt? Im Leitkommentar »Der Traum vom Titel« ist auch für diesen Fall vorgesorgt: »Wenn Jogi und seine Jungs alles geben, sollten wir auch eine Niederlage akzeptieren. Wir gewinnen gemeinsam. Wir verlieren gemeinsam.« Das nennt man dann wohl Schicksalsgemeinschaft. Davon sollten wir uns fernhalten. Ich werde jedenfalls um die verniedlichend »Fanfest« genannte schwarz-rot-goldene Gefahrenzone am Hamburger Heiligengeistfeld einen großen Bogen machen.

Daniel Ernst