Per SMS mobilisiert
Aktion In Osnabrück verhindert ein ungewöhnliches Bündnis zahlreiche Abschiebungen
Von Lisa Doppler
Gefängnis und Obdachlosigkeit - das ist nicht zu akzeptieren«, sagt Marie Weiß von No Lager Osnabrück. Anfang des Jahres erhielt ihre Gruppe die Information, dass im Frühjahr und Sommer rund 80 Abschiebungen nach den Dublin-II- und III-Regelungen bevorstehen. Hiernach werden Geflüchtete in ihr EU-Ersteinreiseland zurückgeschoben. Oft ist dies Italien oder Ungarn, wo ihnen Obdachlosigkeit, Gefängnis und Verfolgung drohen.
Die Gruppe besuchte daraufhin die Osnabrücker Sammelunterkünfte und lud die geflüchteten Menschen zum wöchentlichen Plenum ein. Gemeinsam entschieden sie, aktiv zu werden. Jedoch beeindruckten eine für Osnabrücker Verhältnisse große Demonstration mit 600 TeilnehmerInnen und mehrere kleinere Aktionen die Behörden nicht. Als dann bei einem Plenum im März bekannt wurde, dass für den nächsten Morgen um drei Uhr die Abschiebung eines Somaliers angesetzt war, kam es zu spontanem Protest: Per SMS wurde die autonome Szene mobilisiert, kurz darauf standen 50 Menschen vor der Unterkunft »An der Petersburg«. Polizei und Ausländerbehörde drohten, dass dies negative Konsequenzen für die abzuschiebende Person haben würde, fuhren aber nach kurzer Zeit wieder weg.
Eine verhinderte Abschiebung bedeutet nicht, dass die Person auch bleiben kann. Allerdings läuft im Dublin-Verfahren sechs Monate nach Annahme des Aufnahmegesuchs durch das Ersteinreiseland die Überstellungsfrist ab, das heißt, die BRD muss einen Asylantrag bearbeiten - theoretisch. Es kann auch passieren, dass eine verhinderte Abschiebung als Untertauchen ausgelegt und die Überstellungsfrist verlängert wird. UnterstützerInnen müssen die Geflüchteten also auch danach begleiten, direkt zum Anwalt gehen und mitverfolgen, wie die Ausländerbehörde und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge reagieren. Im Fall des abzuschiebenden Somaliers hatten die OsnabrückerInnen Erfolg. Er berichtet: »Es war nicht einfach, aber zum Glück haben wir erreicht, dass mein Asylverfahren endlich in Deutschland läuft.«
Gruppen aus verschiedenen Spektren arbeiten zusammen
Nach dem Erfolg der ersten Aktion und vor allem der Erfahrung, dass es ohne Gewalt gelingen kann, Abschiebungen zu verhindern, weitete sich das Spektrum der UnterstützerInnen aus. Die AG Flüchtlingshilfe im Rosenplatzquartier, die bisher karitativ gearbeitete hatte, beteiligte sich fortan auch an anderen Aktionen und organisierte eine Telefonkette gegen Abschiebungen. Inzwischen beteiligen sich dort über 170 Menschen, die bei anstehenden Abschiebungen spontan per Anruf und SMS informiert werden.
Geflüchtete, linke AktivistInnen, kirchliche Gemeindemitglieder, GewerkschafterInnen, AnwohnerInnen und weitere engagierte Menschen konnten so gemeinsam bis Ende Juli zwölf weitere Abschiebungen verhindern. Jeweils etwa 100 Menschen blockierten die Türen, so dass VertreterInnen der Ausländerbehörde und die Polizei nicht hinein kam. Die Neue Osnabrücker Zeitung und viele andere lokale Medien reagieren überraschend positiv und übernehmen teils wörtlich die Pressemitteilung des Bündnisses gegen Abschiebungen.
Auch Polizeipräsident Bernhard Witthaut zeigte im NDR1-Interview vom 4. Juli 2014 persönliche Sympathie für die Aktionen, nur in seiner offiziellen Funktion könne er sich nicht dazu äußern. Der Innenminister Niedersachsens, Boris Pistorius, hatte eine humanere Flüchtlingspolitik angekündigt. Auch er erklärte im NDR-Interview, er sympathisiere mit den Osnabrücker BlockiererInnen, dennoch müssten geltende Gesetze auch durchgesetzt werden.
»Es ist fast zur Routine geworden, ein- bis zweimal die Woche um fünf Uhr aufzustehen und eine Abschiebung zu verhindern. Inzwischen nutzen wir die Zeit und plenieren in den zwei Stunden vor der Unterkunft. Die Geflüchteten kochen Kaffee oder Tee für alle und manche Leute bringen Kuchen mit«, erzählt Philipp Ströhle, einer der InitiatorInnen der Telefonkette.
Auf die Frage, warum die Zusammenarbeit autonomer, anderer linker und sogar bürgerlicher Gruppen in Osnabrück so gut funktioniere, antwortet er: »Ich glaube, ohne den persönlichen Bezug zu den Geflüchteten würden viele nicht mitmachen.« In den letzten Monaten haben auch andere Gruppen, wie z.B. Leute aus dem Gemeinschaftsprojekt Friedensgarten, Kontakt zu den Geflüchteten aufgenommen und gemeinsam etwas auf die Beine gestellt. »Wenn der Mensch abgeschoben werden soll, mit dem du letzte Woche noch zusammen gekocht hast, ist das eine ganz andere Motivation.«
Die Telefonliste wächst
Im Moment ist die öffentliche Aufmerksamkeit groß, die Telefonliste wächst und von allen Seiten bekommt das Bündnis gegen Abschiebungen Zuspruch. Immer mehr Geflüchtete melden sich zudem beim Bündnis, wenn sie Post von Behörden bekommen. Jedoch ist den OsnabrückerInnen bewusst, dass es auch mal anders laufen kann. In anderen Landkreisen werden Abschiebungen nicht angekündigt, und Göttinger Blockierende waren mit brutal vorgehender Polizei konfrontiert.
»Inzwischen haben wir erreicht, dass sechs Fälle in Deutschland verhandelt werden, ich hoffe wirklich, dass es so weitergeht«, resümiert der Somalier. Ihm bedeutet der Kontakt zu aktiven Geflüchteten und UnterstützerInnen jedoch noch mehr als die Unterstützung im rechtlichen Verfahren: »Ein paar von uns waren auch beim Marsch für die Freiheit nach Brüssel dabei und haben Menschen aus ganz Europa getroffen, die unter dem Dublin-System leiden. Mit der Hilfe anderer Menschen können wir Refugees Dublin stürzen! Wo auch immer wir sind, wenn wir kämpfen, sind wir alle eins.«
Lisa Doppler ist aktiv im Bündnis gegen Abschiebungen.
Auf Anfrage sendet das Bündnis gerne eine detaillierte FAQ-Liste zu. Schreibt hierzu an nolagerosnabrueck@yahoo.de. Wer aus der Region Osnabrück ist und auf die Telefonkette möchte, meldet sich bitte unter buendnis_gegen_abschiebungen@mail.de. Aktuelle Infos unter lager-hesepe.de.