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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 596 / 19.8.2014

Aufgeblättert

Krisenananlysen

Krisenanalysen werden in der sozialwissenschaftlichen Diskussion zunehmend selbst zum Gegenstand kritischer Reflexion. Dabei werden Schwerpunkte der Forschung anschaulich, und es wird gleichzeitig sichtbar, welche Krisendimensionen und -dynamiken bisher zu wenig beachtet wurden. Die Beiträge in dem Sammelband, den die SoziologInnen Hildegard Maria Nickel und Andreas Heilmann herausgegeben haben, diskutieren aktuelle Krisenanalysen vorrangig aus der Perspektive feministischer Arbeitsforschung. Dabei nehmen sie eigene Deutungen vor: Vielfachkrise, Reproduktionskrise, Geschlechterdemokratie in der Krise sowie die Krise der Männlichkeit stehen in den gesellschaftstheoretischen Teilen des Buches im Mittelpunkt. Formen und Möglichkeiten, Kritik zu äußern und dafür Gehör zu finden, schließen an; es folgt ein abschließender Teil zu Handlungsoptionen und Mobilisierungschancen. Vor allem für diejenigen, die mit feministischen Diskussionen und Studien weniger vertraut sind, bietet der Band spannende Erkenntnisse. Die Frage, wie Krise, Kritik und Allianzen zusammen, statt neben- und nacheinander gedacht werden können, bleibt leider weitgehend offen. Dass dies nicht zuletzt einer spezifischen intellektuellen Arbeitsteilung geschuldet ist, zeigt der Band: WissenschaftlerInnen sind für die Analyse zuständig, zwei Gewerkschafterinnen und eine Feministin für die Handlungsoptionen.

Stefan Kerber-Clasen

Hildegard M. Nickel, Andreas Heilmann (Hg.): Krise, Kritik, Allianzen. Arbeits- und geschlechtersoziologische Perspektiven. Beltz Juventa, Weinheim und Basel. 219 Seiten, 29,95 EUR.

Kapitalismus

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenkonstellation seit 2007/2008 analysiert Frank Deppe in einer ausgewogenen Mischung aus ideen- und theoriegeschichtlicher Abhandlung einerseits und der kritischen Darstellung und Interpretation der realen Geschichte andererseits das spannungs- und wechselvolle Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus. Mit Beginn der »großen Krise« im Jahr 2008 diagnostiziert er die Durchsetzung eines »neuen Typus des autoritären Kapitalismus«, der sich vor allem durch Außerkraftsetzung »demokratischer Verfahren und Grundrechte« auszeichne. Staats- und krisentheoretische Argumente verdeutlicht Deppe anhand der realen Entwicklung und stützt sich dabei - in kritischer Auseinandersetzung - auf breit diskutierte Analysen u.a. von Wolfgang Streeck, Colin Crouch sowie Luc Boltanski und Eve Chiapello. Zudem greift er auf Zeitungsartikel, Kommentare und Stellungnahmen von Journalisten, Ökonomen und Politikern zurück. Die USA, Russland, China und Indien untersucht Deppe vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen in einzelnen Länderstudien. Zuletzt diskutiert Deppe mit Blick auf die »weltweiten, neuen Demokratiebewegungen seit 2010« vorsichtig optimistisch die »Erneuerung der Demokratie«. Sein Buch ist ein wohl überlegter und gut zugänglicher Beitrag zum Themenkomplex Krise, Kapitalismus und Demokratie, der vor allem als aktueller Überblick mit historischem Einschlag überzeugt.

Sebastian Klauke

Frank Deppe: Autoritärer Kapitalismus. Demokratie auf dem Prüfstand. VSA Verlag, Hamburg 2013, 24, 80 EUR.

Auf in den Osten!

Alexander Pehlemann, ehemaliger DDR-Provinz-Punk, hat sich seit den 1990ern der Erforschung musikalischer Gegenkulturen in den ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten plus Jugoslawien verschrieben. Seit 20 Jahren gibt er das Fanbuch Zonic heraus, 2006 veröffentlichte er das inzwischen vergriffene Buch »Spannung.Leistung.Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979-1990«. Nun liegt »Go Ost!« vor. Untertitel: »Klang-Zeit-Raum: Reisen in die Subkulturen Osteuropas«. Es sind Erlebnisberichte von seinen Exkursionen nach Polen, Tschechien, Ungarn, Russland, Bulgarien, Rumänien, in die Slowakei, die Ukraine, ins Baltikum und in die Länder des ehemaligen Jugoslawien. Die meisten Länder hatte er schon in den 1990ern bereist. So konnte er aus einem großen Reservoir an Anekdoten und Gesprächen mit Beteiligten aus den jeweiligen Untergrundszenen schöpfen. Sein Buch ist radikal persönlich, geschrieben aus der Perspektive eines Fans. Trotzdem gelingt es Pehlemann, die jeweiligen Situationen vor und nach den Umbrüchen kritisch zu reflektieren. Besonders auffällig ist dabei die Entwicklung vieler Akteure von radikaler Opposition hin zu nationalistischen bis faschistischen Positionen. Pehlemanns der früheren Prenzlauer-Berg-Szene entlehnte Sprache mit langen, verschachtelten Sätzen erfordert konzentriertes Lesen. Wer sich darauf einlässt, kann auf diesem unerforschten Terrain wunderbare Entdeckungen machen, die durch die beiliegende CD auch nachhörbar sind.

Hartl Konopka

Alexander Pehlemann: Go Ost! Ventil Verlag, Mainz 2014. 222 Seiten, 24,90 EUR

Gegen den Weltkrieg

Auch der Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung setzt sich mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges auseinander. In seinem JahrBuch 2014/II geht es vor allem um die Opposition gegen den Krieg. Die Aktivitäten Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts gegen Militarismus und Krieg, an die Anneliese Laschitza in ihrem einleitenden Aufsatz erinnert, dürften den meisten geschichtsbewussten Linken in groben Zügen bekannt sein. Nicht zum linken Allgemeinwissen zu zählen ist dagegen, was Jörn Wegner, Ottokar Luban und weitere AutorInnen in ihren Beiträgen herausarbeiten: Das Bild von der massenhaften Kriegsbegeisterung im August 1914 muss korrigiert werden. So bestand die »chauvinistische Meute« (Wegner) in Deutschland vor allem aus Kleinbürgern und Studenten. Die sozialdemokratischen ArbeiterInnen protestierten in vielen Städten des Deutschen Reiches, in Saalveranstaltungen, zunehmend aber auch - was bis dahin ungewöhnlich war - auf den Straßen. Die Kehrtwende der SPD-Führung und die Verhängung des Kriegsrechts machte dem ein Ende: »Während die Arbeiter in den deutschen Städten protestierten, war die Parteiführung längst dabei, sie zu entwaffnen.« Die Legende von der allgemeinen Kriegsbegeisterung einer chauvinistischen »Volksgemeinschaft« hat Auswirkungen bis heute. Sie dient dazu, schreibt Jörn Wegner, »das Versagen der Sozialdemokratie zu rechtfertigen, umzudeuten und dadurch zu legitimieren.«

Jens Renner

Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2014/II. NDZ, Berlin Mai 2014. 289 Seiten, 11 EUR.