Bündnisse von Erzfeinden
International Das Spektrum des Islamismus ist sehr heterogen
Von Jean Rokbelle
Zugegeben: Es ist schwer, den Überblick über die unzähligen islamistischen Gruppen zu behalten. Oberflächlich betrachtet erscheinen sie manchmal so ähnlich, dass vollkommen unterschiedliche Organisationen wie der Islamische Staat (IS), Hizbullah oder Hamas gleichgesetzt werden. Sogar essenzielle Unterschiede der religiösen Ausrichtung, namentlich die Spaltung des Islams in Sunniten und Schiiten werden dabei übersehen. Sicher meist aus reiner Unkenntnis, allerdings verwischen gerade selbst erklärte »IslamkritikerInnen« diese Spaltungen bewusst, um das Bild eines geeinten islamistischen Feindes zu konstruieren, der weltweit nach der Macht greift. Dabei betonen diese selbst den Unterschied, dessen Ursprung im Streit um die Nachfolge des Propheten Mohammeds begründet liegt.
Auch so manche Linken werden vielleicht einwenden, dass eine Differenzierung nicht nötig ist, da alle islamistischen Organisationen antiemanzipatorisch sind. Vielleicht nahmen es deshalb israelsolidarische GegendemonstrantInnen nicht so genau mit der Behauptung, auf den antiisraelischen Protesten am sogenannten Al-Quds-Tag in Berlin hätten sich SalafistInnen mit Flaggen des IS befunden.
Ein Vorwurf, der äußerst unglaubwürdig ist, handelt es sich beim Al-Quds-Tag doch um einen »Feiertag«, der seinen Ursprung in der Islamischen Republik Iran hat. Unter SalafistInnen, SunnitInnen, die eine Gesellschaft nach den Regeln eines Ur-Islam anstreben, wie den AnhängerInnen des IS aber gilt der schiitische Iran momentan als politisch-religiöser Hauptfeind. Die angeblichen IS-Flaggen entpuppten sich denn auch als schiitische Fahnen.
Das Spektrum islamistischer Gruppen ist, trotz einiger geteilter Grundüberzeugungen, riesig. Es reicht von der türkischen AKP von Recep Tayyip Erdogan bis zum salafistisch-jihadistischen IS und weiter zu Organisationen, die vom mystischen Islam des Sufismus inspiriert sind. Häufig trennt diese Strömungen mehr als sie eint. Manche Differenzen sind ideologisch, wie die zwischen der palästinensischen Hamas und dem IS, und manche eher strategisch, wie zwischen dem IS und Al-Qaida (AQ). Während der IS extrem antischiitisch ist und sein primäres Ziel in der Errichtung eines Kalifats besteht, versucht AQ aus taktischen Gründen, antischiitische Rhetorik zu vermeiden. Gleichzeitig ist das Kalifat für AQ nur ein langfristiges Ziel, weshalb AQ in Syrien einen blutigen Kampf gegen den IS und dessen »Kalifat« führt, auch wenn sie diesem in der ideologischen Ausrichtung des Salafismus durchaus ähnelt. Ganz im Gegensatz zu anderen islamistischen Organisationen wie der Hamas, die auch nationalistische Ziele verfolgt. Allein die Tatsache, dass im Logo der Hamas die palästinensische Nationalflagge auftaucht, ist für SalafistInnen ein Verstoß gegen die Gebote Gottes. Denn diese sehen SalafistInnen durch die »westliche Ideologie« des Nationalismus gebrochen. Die Ambitionen des IS sind dagegen - getreu dem inoffiziellen Motto: no borders, only fronts! - buchstäblich grenzenlos. Dementsprechend distanziert stehen sich IS und Hamas gegenüber. Zwar wurde im Zuge des jüngsten Konflikts in Israel und dem Gazastreifen die Hamas immer wieder in die Nähe des IS gerückt, tatsächlich aber ging sie in der Vergangenheit hart gegen salafistische Umtriebe vor.
Unter anderem aus dem Nationalismus der Hamas ergibt sich dann auch, dass sie in Israel ihren Hauptfeind sieht. Anders beim IS, für den JüdInnen nicht mehr oder weniger ungläubig sind als SchiitInnen, ChristInnen oder eben »abtrünnige« Muslime und Muslima, die nicht ihre Weltanschauung teilen. Deshalb ist der IS momentan mehr damit beschäftigt muslimische Konkurrenten im Irak und Syrien auszuschalten, als sich in den Konflikt zwischen der Hamas und Israel einzumischen.
Da zeigt: Islamistische Gruppen sind kein homogener Block mit gleichen Vorstellungen und Zielen. Eine Tatsache, die gerade Linken im Nahen Osten bewusst ist. Sie sind häufig dazu gezwungen, sich in irgendeiner Weise zu den IslamistInnen in ihrer Umgebung zu positionieren. Aus einer zugespitzten Logik des kleineren Übels ergeben sich dabei teilweise kuriose Allianzen. So in Ägypten 2012, als Linke gemeinsam mit SalafistInnen Sit-ins gegen die Militärregierung abhielten. So aber auch im Libanon, wo viele Linke und sogar christliche Gruppen Sympathien für die schiitische Hizbullah entwickelt haben, die sie gegenüber den immer stärker werdenden salafistischen Kräften im Land als Verbündete betrachten.
Wie kritisch man solche Bündnisse auch betrachtet, sie lassen sich nur vor dem Hintergrund verstehen, dass die arabische Linke in lokale Konflikte eingebunden ist. Was von Europa aus betrachtet wie ein Abrücken von linken Standpunkten erscheint, ist für die marginalisierte arabische Linke eine Überlebensstrategie.
Jean Rokbelle studierte u.a. in Kairo und Berlin Religions- und Islamwissenschaft und twittert unter @jeanrokbelle zum Thema.