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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 596 / 19.8.2014

Für Lenin, gegen Stalin

Geschichte Linksradikale in der Weimarer Republik: Werner Scholem und die »Ultralinken« der KPD

Von Ralf Hoffrogge

Wer heute das Wort »Linksradikalismus« in den Mund nimmt, denkt meist an Autonome, Antifa und die Protestkultur der 1980er Jahre. Doch schon Lenin warnte 1920 vor Linksradikalismus als »Kinderkrankheit im Kommunismus« und kritisierte damit syndikalistische und anarchistische Positionen. Doch auch innerhalb der Weimarer KPD gab es eine Strömung von »Ultralinken«. Sie argumentierten linksradikal und sahen sich gleichzeitig als »orthodoxe Leninisten«. Einer ihrer Vertreter war der deutsch-jüdische Kommunist Werner Scholem. 1925 war er noch Bündnispartner Stalins, doch schon im Folgejahr wurde er als einer der ersten Kritiker des Stalinismus aus der Partei ausgeschlossen.

Der 1895 geborene Werner Scholem diente nach dem Abitur 1915 drei Jahre in der preußischen Infanterie - eine große Katastrophe für den entschiedenen Kriegsgegner, der sich 1912 aus Protest gegen den deutschen Nationalismus einer zionistischen Jugendgruppe anschloss und dann zur sozialistischen Arbeiterjugend wechselte.Im Krieg sympathisierte Scholem mit den »Bremer Linksradikalen«, einer Strömung, die Erstarrung und Reformismus in der Sozialdemokratie kritisierte.

»Von den einzelnen Organisationen scheint mir Bremen diejenige radikale Gesinnung zu haben, hinter der nur noch der Selbstmord kommt«, so lobte Scholem 1916 in einem Brief an seinen Bruder Gershom Scholem. Dennoch schloss Werner sich 1917 der Unabhängigen Sozialdemokratie (USPD) an, einer Sammelpartei der Kriegsgegner, in der Radikale wie Rosa Luxemburg ebenso anzutreffen waren wie »Revisionisten« und Reformer.

Führender Kopf der Linken Opposition in der KPD

Scholem hoffte, die USPD würde sich als Ganze nach Links wenden, erlebte jedoch stattdessen ihre Spaltung. Stein des Anstoßes waren die »21 Bedingungen«, die die Bolschewiki zum Beitritt in die Kommunistische Internationale stellten. Die USPD-Linke stimmte im Oktober 1920 dafür und vereinigte sich mit der im Jahr zuvor gegründeten KPD, in der auch die »Bremer Linksradikalen« mitwirkten. Der Kommunismus war nun mit ca. 300.000 Parteimitgliedern erstmals zur Massenbewegung geworden - aber die Mehrheit der Arbeiterschaft folgte weiterhin der SPD.

Die KPD steckte im Dilemma: Reichte es aus, eine Sammelbewegung für die in Krieg und Revolution radikalisierten Teile der Arbeiterschaft zu sein? Würde man als Minderheit und Avantgarde die nächste Welle der Revolution anführen - oder würde sich der Kapitalismus stabilisieren, was eine längere Transformationsphase und die Zuspitzung gewerkschaftlicher Reformkämpfe erfordern würde?

Scholem gehörte neben Ernst Thälmann zu jenen, die ab 1921 stets vor einer allzu engen Zusammenarbeit mit Sozialdemokratie und Gewerkschaften warnten. In Berlin und Hamburg formten sich diese SkeptikerInnen langsam zu einer »Linken Opposition«. Links war hier eindeutig als Abgrenzung gegenüber jeder Reformpolitik gemeint. Man wollte, so Scholem, »das kommunistische Gesicht« der KPD bewahren. Dies bedeutete die Ablehnung von Teilforderungen und ein instrumentelles Verhältnis zu den Parlamenten, die nur als Bühne der Agitation genutzt werden sollten.

Wenn es um die Rolle der Partei ging, waren die »neuen Linken« jedoch Zentralisten. Sie vertraten die »21 Bedingungen« und deren Forderung nach einem Ausschluss aller reformistischen Elemente aus den Parteien der 3. Internationale. Deutlich distanzierten sie sich damit von einer anderen Generation syndikalistischer Linker, die basisgewerkschaftliche und föderalistische Organisationsmodelle vertraten und schon 1919 aus der KPD ausgeschlossen wurden. Stattdessen versuchte man, organisatorischen Zentralismus mit dem Antireformismus der Novemberrevolution zu verbinden - ein »leninistischer Linksradikalismus«.

Ihre Chance erhielten Scholem und die Linksoppositionellen, als die KPD 1923 mit einem Revolutionsversuch katastrophal scheiterte. Der als »deutscher Oktober« geplante Aufstand wurde mangels Masse im Vorfeld abgesagt - in Hamburg, wo es dennoch Kämpfe gab, blieben 300 kommunistische Aufständische völlig isoliert.

Organisator der Bolschewisierung der Partei

Obwohl damit eine revolutionäre Avantgardepolitik gescheitert war, konnten die Linken profitieren. Sie erklärten kurzerhand den Parteivorsitzenden Heinrich Brandler zum Sündenbock: Er habe die Revolution in letzter Minute abgesagt und damit verraten.

Faktisch hatte Brandler nur angesichts einer absehbaren Niederlage die Reißleine gezogen. Die Katastrophe hingegen verursachte Ernst Thälmann, der den Aufstand in Hamburg dennoch durchführen ließ. Dies kostete Menschenleben und brachte der KPD ein bis März 1924 dauerndes Parteiverbot.

Das Fiasko nützte dennoch den Radikalen, denn vor allem moderate und gewerkschaftsnahe Mitglieder traten aus Protest über den in ihren Augen unverantwortlichen Aufstandsversuch aus. An die Spitze der Partei rückten nun Ruth Fischer, Arkadij Maslow und Werner Scholem von der Berliner Opposition sowie Thälmann aus Hamburg.

Da Maslow schon kurz darauf verhaftet wurde, führten ab April 1924 Werner Scholem und Ruth Fischer die KPD. Als Chef des Parteiapparates leitete Scholem eine »Bolschewisierung« der Partei ein. Geschickt nutzte er Personalabbau, um VertreterInnen eines moderaten, gewerkschaftsorientierten Kurses loszuwerden. Zudem wurden die Bezirke der KPD mit Kadern besetzt, die der Zentrale treu ergeben waren - Scholem, der aus der Bezirksleitung Berlin heraus jahrelang Opposition betrieben hatte, wollte verhindern, dass ihm neue Gegner heranwuchsen.

Doch trotz »Bolschewisierung« hatte die neue Führung kein gutes Verhältnis nach Moskau. Der Leiter der Komintern, Grigorij Sinowjew, befürchtete eine Schwächung der KPD durch die Linksradikalen. Dies wiederum hätte Sinowjew in einem ganz anderen Kampf geschadet: dem um die Nachfolge Lenins, der 1924 einem Schlaganfall erlag. Nun versuchte Sinowjew die Internationale gegen Stalin zu mobilisieren, der den russischen Parteiapparat beherrschte und die deutsche Linke unterstützte.

Zunächst konsolidierte sich die KPD allerdings: Scholem schaffte es, die nach der Illegalität darniederliegenden Strukturen neu aufzubauen und die Parteifinanzen zu sanieren. Bald jedoch fiel die Opposition ihren eigenen Dogmen zum Opfer. Die Wirtschaft hatte sich stabilisiert, die Stimmung kippte zwischen Sozialdemokratie und Konservatismus. In dieses Patt fielen die Reichspräsidentenwahlen 1925, als die KPD in zwei Wahlgängen hintereinander Ernst Thälmann als »roten Präsidenten« ins Rennen schickte.

Thälmann unterlag beide Male mit Ergebnissen um die sieben Prozent, und mit Paul von Hindenburg wurde ein Monarchist Präsident der Republik. Scholem und Thälmann hatten sich strikt geweigert, im zweiten Wahlgang die Sozialdemokratie zu unterstützen - man wollte das »Kommunistische Gesicht« der KPD nicht aus taktischen Gründen verbergen.

Die Wahlniederlage 1925 brachte die Komintern endgültig gegen die deutsche Partei auf, und bald zeigten sich interne Risse in der Führung: Maslow und Ruth Fischer unterstützten nun eine »Einheitsfront« mit der Sozialdemokratie gegen Hindenburg. Werner Scholem war isoliert, Profiteur des Ganzen war paradoxerweise Thälmann, das »kommunistische Gesicht« der gescheiterten Wahlkampagne. Er wechselte ebenfalls die Seiten und mit Unterstützung der russischen Stalin-Fraktion gelang es ihm, seine alten GenossInnen aus dem Rennen zu drängen. Hilfreich für ihn war, dass Scholem und Ruth Fischer sich in gegenseitigen Polemiken angriffen.

Während die KPD mit der Kampagne zur Fürstenenteignung einen in seiner Mobilisierungskraft unübertroffenen Volksentscheid durchführte und die radikale Wirkung von Reformforderungen demonstrierte, blieb die Linke isoliert. Sie wusste nicht, wo sie ihre Kritik ansetzen sollte: Thälmanns autoritäre Führungsmethoden hatte Scholem einst selbst eingeführt, Thälmanns opportunistische Positionswechsel hatte Ruth Fischer ebenfalls hinter sich. Vor allem aber hatte die linke Opposition keine inhaltliche Antwort auf die Volksentscheidmobilisierung. Ihre Konzepte erschienen avantgardistisch und sektiererisch, die sich zerfasernden Gruppen konnten als »Ultralinke« isoliert und ausgegrenzt werden.

Scholem wurde 1925 aus der Zentrale entfernt und im November 1926 aus der KPD ausgeschlossen. Vergeblich hatte er sich zuvor auf einem Plenum der Internationale in Moskau gegen die Abschaffung der Parteidemokratie gewehrt. Sein ehemaliger Bündnispartner Stalin kommentierte nun hämisch: »Früher war Scholem gegen die innerparteiliche Demokratie. Jetzt verfällt er ins andere Extrem, indem er sich für eine grenzenlose, durch nichts beschränkte Demokratie ausspricht. Gott behüte uns vor einer solchen Demokratie. Nicht ohne Grund lautet ein russisches Sprichwort: Lass einen Dummkopf beten, und er zerschlägt sich die Stirn.«

Scholem, der im Namen einer linksradikalen Avantgardekonzeption die KPD »bolschewisiert« hatte, musste nun zusehen, wie andere sein Werk fortsetzten und eine nächste Phase einleiteten: die Stalinisierung. Als im Laufe des Jahres 1927 sowohl in der Sowjetunion als auch in Deutschland Säuberungswellen alle KritikerInnen mundtot machten, waren es allein Scholem und seine GenossInnen, die mit ihrer Zeitung »Fahne des Kommunismus« den Stalinismus geißelten. Das Blatt wurde zum Sammelbecken der ehemaligen »Ultralinken«, die sich in einer neuen Partei namens »Leninbund« organisierten.

Thälmann und Stalin gegen die »Ultralinken«

Gemeinsam mit Amadeo Bordiga in Italien bildeten die deutschen Linksradikalen die erste Generation marxistischer StalinismuskritikerInnen. Sie kritisierten die Entmachtung und Verhaftung der alten Revolutionäre zehn Jahre vor dem »Großen Terror« von 1937 und prägten den Begriff »Stalinismus«. Jedoch sahen sie die Sowjetunion stets durch die Brille ihrer Reformismuskritik: Scholem beschimpfte Stalin als verhinderten Sozialdemokraten, der in Russland einen bäuerlichen Staatskapitalismus errichten würde.

Die Kritik von Scholem und Bordiga konnte keine breiteren Kreise ziehen, war als rein negativer »Antireformismus« formuliert und wollte die alte Avantgardekonzeption des Leninismus wiederherstellen. Man kritisierte die Inhalte von Stalins Politik - aber nur am Rande die völlige Abschaffung der Parteidemokratie. Als Stalin 1928 eine »Linkswende« machte und die Sozialdemokratie zum Hauptfeind erklärte, schwiegen die KritikerInnen: Werner Scholem und Ruth Fischer traten aus dem Leninbund aus und riefen zur Wahl der KPD auf. Erst eine zweite Generation im Leninbund ließ um 1930 unter dem Einfluss Leo Trotzkis alte Dogmen fallen und mahnte angesichts des Aufstiegs der Nazis zur Einheitsfront.

Was bleibt von den »Ultralinken«? Ihre Kritik des SPD-Reformismus war einerseits berechtigt, verlor jedoch durch ihre dogmatische Überhöhung jedes Augenmerk und verhalf jenen an die Macht, deren Inhalte auswechselbar waren: Der als junger Linksradikaler gestartete Thälmann wechselte 1925 zur Einheitsfront und 1928 zurück nach »ultralinks«. Sein Mentor Stalin wusste diese Beliebigkeit zu schätzen - als Werkzeug einer Außenpolitik, die längst von der Weltrevolution aufs Parkett der internationalen Diplomatie gewechselt hatte.

Ralf Hoffrogge ist Historiker. Diesen Monat erscheint von ihm »Werner Scholem - eine politische Biographie (1895-1940)« im UVK-Verlag.