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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 596 / 19.8.2014

Sexistischer Normalzustand

Gender Belästigung und Stalking im Internet ist für viele Frauen Alltag

Von Sandra Laczny

Als der US-Fernsehsender CNBC vor Kurzem dazu aufrief, für ein anstehendes Interview unter dem Hashtag #AskCostolo Fragen an das geschäftsführende Vorstandsmitglied von Twitter, Dick Costolo, zu posten, gingen innerhalb kürzester Zeit Hunderte von Fragen nach dem Umgang und den Maßnahmen gegen Belästigung ein - offenbar unerwartet, denn Costolo ließ die Fragen unbeantwortet. Belästigung und Stalking sind bei Twitter an der Tagesordnung. Es gibt ein kompliziertes Formular, mit dem User, die sich missbräuchlich verhalten, gemeldet werden können, und dort auch einen Punkt »Harassment« (Belästigung, Bedrohung). Nur bringt dieses Melden nichts. Sexismus verstößt nicht gegen die Nutzungsregeln. Bei konkreter Bedrohung verweist Twitter an die Polizei und schreitet selbst nicht ein. Melden können darüber hinaus nur Betroffene, nicht Dritte, die Belästigung oder Bedrohung beobachten. Wird ein belästigender Tweet von Usern gelöscht, erklärt das Unternehmen, in dessen Datenbank dieser als gelöscht markierte Tweet gespeichert ist: Sorry, aber Ihr Link führt zu keinem Tweet.

#AskCostolo hat vor allem eins gezeigt: den fehlenden Bezug des Unternehmens Twitter zu Twitter als sozialem Netzwerk, in dem Menschen miteinander interagieren. Erst einen knappen Monat zuvor war nämlich für Sänger und Schauspieler Robin Thicke ein ähnlicher Publicitystunt fulminant nach hinten losgegangen: Der Hashtag #AskThicke endete damit, dass die halbe Twittergemeinde Thicke zu den in seiner gleichnamigen Rapehymne konstatierten »Blurred Lines« (»Verschwommene Linien«) zwischen Sex und Vergewaltigung befragte, zu Stalking und emotionalem Missbrauch seiner getrennt lebenden Frau Paula Patton, seiner allgemeinen »Creepiness« (Gruseligkeit), oder, wie ein Nutzer in Anlehnung an Thicke selbst fragte: »Why would I need to #AskThicke? I know he wants it.« (»Warum sollte ich Thicke fragen? Ich weiß doch, dass er es will.«)

Der Hashtag #aufschrei ist unbenutzbar

Twitter-User wissen, dass sie sich selbst helfen müssen. In Deutschland spätestens seit #aufschrei, dem in einer Nacht vor eineinhalb Jahren entstandenen Hashtag gegen Belästigung und sexualisierte Gewalt, unter dem innerhalb weniger Stunden Tausende, meist weibliche User ihre Erfahrungen ins Netz schrieben. (Siehe ak 580) Der Grimme Online Award, den #aufschrei 2013 gewann, ging dann auch explizit an alle, die den Hashtag konstruktiv genutzt hatten. Heute ist der Hashtag unbenutzbar, was sich damals sehr schnell abzeichnete. Mittlerweile findet sich unter #aufschrei fast nur noch Frauenhass.

#Aufschrei-Mitinitiatorin Jasna Strick hat vor einiger Zeit ein Experiment gemacht und den Hashtag nochmals gemäß seiner ursprünglichen Bestimmung benutzt. Sie bekam erwartungsgemäß zahlreiche Reaktionen, in denen u.a. die Meinung vertreten wurde, dass, wenn eine Frau mit Brüsten auf die Straße geht, sie eben mit Belästigung rechnen müsse. Mit dem, was danach passierte, hat sie bis heute umzugehen: Ihre Telefonnummer landete im Netz, Arbeitgeber wurden kontaktiert, sie erhielt Vergewaltigungs- und Todesdrohungen. Doch so verharmlosend das klingt: Sie ist nur ein Beispiel von vielen.

Der einzige Schutz, den Twitter vor Belästigung bietet, ist die Blockfunktion. Die männlichen Täter können zwar weitermachen wie bisher und Leute anschreiben, die das nicht wollen, aber die Angeschriebenen werden nicht mehr benachrichtigt. So haben sich u.a. mit den Netzwerken The Block Bot und Blockempfehlung im feministischen, aktivistischen Kontext Projekte entwickelt, die präemptives Blocken ermöglichen. The Block Bot blockt automatisiert für teilnehmende User. Bei Blockempfehlung werden einfach Twitternamen von Usern mit diskriminierenden oder übergriffigen Tweets weitergegeben. Zensur nennen dies einige, die wohl glauben, Menschen hätten einen Anspruch, auch mit Hate Speech und Belästigung von ihren potenziellen Opfern gehört zu werden.

Vergangenen Monat löschte Bloggerin Yasmina Banaszczuk ihren Twitteraccount. Auf Facebook schrieb sie dazu, dass sie von einem Stalker belästigt wurde. Dass dieser auf Veranstaltungen auftaucht, bei denen sie ist, und sie wissen lässt, dass er dort ist. Dass sie ihn bereits unzählige Male bei Twitter gemeldet hat, wenn er sie anschrieb - nichts passierte. Hobbystalker nennt er sich. Er findet das lustig, das macht er auch in seiner Twitter-Biografie deutlich. Hier handelt es sich um jemanden, der sich von der politisch korrekten Sprachpolizei seinen selbstverständlich ironisch gemeinten Rassismus nicht verbieten lässt. Er hat auch eine Meinung dazu, wie echte Frauen zu sein haben. Und er geht offenbar davon aus, dass das Frauen interessieren müsste. Darum drängt er es ihnen auf.

»Male Entitlement« wird diese Anspruchshaltung genannt, bei der Männer davon ausgehen, dass sie ein Recht auf die Zeit und die Aufmerksamkeit von Frauen haben. Mit Male Entitlement beginnt ein Großteil der im Netz stattfindenden Belästigungssituationen. Männer, die finden, ihre Meinung zum Sexualleben ihnen nicht näher bekannter Frauen sei für diese von irgendeinem Interesse. Männer, die Frauen nach der Erklärung für Fremdwörter fragen, statt zu googeln. Männer, die den zwanzigsten neuen Twitteraccount aufmachen, wenn Frauen sie blocken, weil sie nicht zum x-ten Mal obsessiv darauf angesprochen werden wollen, dass sie sich nun mit seiner »Kritik« auseinandersetzen müssen.

Offenes Verständnis für Sexisten

Elliot Rodger hatte diese Anspruchshaltung. Er, der Amokläufer, der, obwohl er seinen Frauenhass offen vor sich hertrug, als ungefährlich eingeschätzt wurde und im Mai 2014 in US-Staat Kalifornien sechs Menschen tötete und 13 weitere verletzte. Nach der Tat zeigten viele offen Verständnis für ihn: Wissen doch alle, dass die Schlampen immer nur Arschlöcher ran lassen. Klar, dass der arme Kerl austickt.

Menschen wie Elliot Rodger haben einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt für ihre frauenfeindliche Haltung. Es ist nur das Ausmaß, das schockt. Darum wird er für psychisch krank erklärt, was ihn wieder zu einem isolierten Einzelfall macht. Dass das ganz nebenbei bei Menschen mit psychischen Störungen zu weiterer Stigmatisierung führt, dass die meisten auch mit psychischen Störungen solche Taten nicht begehen: Details. Es kann ja nicht sein, dass mit unseren Heterodude-Denkmustern und der damit verbundenen Anspruchshaltung etwas falsch ist. Das muss also »krank« sein. Aber diese männliche Anspruchshaltung, die für die sexuelle und sonstige Zufriedenheit heterosexueller Männer Frauen in der Pflicht sieht, ist überall zu finden.

Belästigung ist besonders für Frauen ein Problem im Netz, aber sie ist kein Netzphänomen. Teilweise verstärkt aber das Netz, da die überwiegend männlichen Täter - geschützt durch Anonymität oder asynchrone Kommunikation - sich weniger verantwortlich fühlen und übergriffiger werden, als sie es sich Face to Face trauen würden. Menschen werden später kritisieren, dass Yasmina Banaszczuks Fall mehr Aufmerksamkeit bekommt als andere, vielleicht schlimmere, weil sie bekannter ist. Dass andere zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, kann aber kein Argument sein, sich nicht dafür zu interessieren, dass hier Grenzen überschritten wurden. Dass dieser Mann, wenn er es nicht so gemeint haben sollte, irgendwann hätte sagen können »Moment, das sollte witzig sein. Ich wollte dir keine Angst machen.« Und dann aufhören.

Banaszczuk hat nach einer Auszeit ihren Twitteraccount wieder aktiviert, um nur kurze Zeit später mit 25.000-Follower-Tech-Blogger Sascha Pallenberg aneinanderzugeraten, den sie nach andauernden Sticheleien in ihre Richtung fragt, ob es ihm eigentlich Spaß macht, sie so zu behandeln. Um »Spaß« zu umschreiben, nutzt sie eine Masturbationsmetapher. Danach erklären Follower des Tech-Bloggers ihr, dass sie natürlich als Masturbationsvorlage diene. Das soll wohl Ironie sein. Aber anstatt ihren »Vorwurf« nun zu entkräften, folgen Masturbations- und Vergewaltigungsfantasien, die sie involvieren. Damit müsse sie nun leben, finden einige. Sie hat ja dieses Wort zuerst verwendet. Beide Seiten haben Fehler gemacht, wird es später heißen. Die beiden nehmen sich ja nicht viel. Absichtlich eskaliert habe sie, indem sie auf Sticheleien und Witze auf Kosten anderer öffentlich reagierte. Da muss eine Frau schon aushalten können, findet eine nicht geringe Anzahl überwiegend männlicher Diskussionsteilnehmer im Internet, dass sich Männer, mit denen sie privat nichts zu tun hat, öffentlich vorstellen, sie sexuell zu erniedrigen.

Auch hier hätte man wieder einfach innehalten und, wenn der Effekt nicht beabsichtigt war, aufhören und sich entschuldigen können. Aber warum, wenn man so viel Unterstützung für übergriffiges Verhalten bekommt?

Sandra Laczny schrieb in ak 572 über die Feminismusdebatte in der Piratenpartei.