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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 597 / 16.9.2014

Aufgeblättert

Bolivars Erben

Die Beiträge des Buches geben »einen Überblick über das breite Spektrum sozialen Protestes in Lateinamerika. Dabei beleuchten sie auch die Entstehungsbedingungen und Entwicklungen der sozialen Bewegungen und ermöglichen so ein tieferes Verständnis der gegenwärtigen Situation.« Diesem Anspruch aus dem Vorwort wird die Einleitung von Torben Ehlers über die Umwälzungen Lateinamerikas seit den 1980ern ebenso gerecht wie die Beiträge über soziale Proteste in elf Ländern. Dabei kommen AutorInnen mit unterschiedlichen wissenschaftlichem Hintergrund zu Wort. Lebendig beschreiben sie die Folgen des Neoliberalismus, die Atomisierung der Gesellschaft, die Geschichte von Unterdrückung und Gewalt und die Formierung von Widerstand. Gleichzeitig gehen sie der Frage nach, ob und wie Werkzeuge der »neuen Bewegungsforschung« dem Thema gerecht werden können. Eine engere Zusammenarbeit bei übergreifenden Thematiken wie etwa Drogen, Klientelismus, (strukturelle) Gewalt, Indigenen- oder Studentenbewegung wäre wünschenswert gewesen. Ebenso steht eine Diskussion noch aus über die Frage, welche Schlüsse aus den lateinamerikanischen Erfahrungen »im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Assimilation durch den Staatsapparat« zu ziehen sind. Das Buch bietet aber mit seiner Fülle an Grundlagenmaterial, das auch spanisch- oder englischunkundigen Menschen neue Quellen erschließt, eine gute Basis für solche Diskussionen.

Antje Gebel

Torben Ehlers (Hg.): Soziale Proteste in Lateinamerika. Bolivars Erben im Kampf um Eigenmacht, Identität und Selbstbestimmung. Argument-Verlag, Hamburg 2013. 415 Seiten, 24 EUR.

Alternatives Leben

Sven Reichardts dickleibige Studie über »linksalternatives Leben« in den 1970er und 1980er Jahren ist eine beeindruckende Fleißarbeit, in der ZeitzeugInnen vieles wiedererkennen, was die »Szene« damals ausmachte: »Vergemeinschaftungsorte« - Betriebe, Kommunen und Wohngemeinschaften, Buchläden, Kneipen als die vermeintlich »befreiten Gebiete«; Debatten um Körper und Sexualität, Feminismus, »Beziehungskisten« und Kindererziehung; spezielle Subkulturen, in denen Drogen, Spiritualität oder Psychotherapie im Mittelpunkt standen. Die Einordnung explizit politischer Akteure - insbesondere in den »Neuen sozialen Bewegungen« - bereiten dem Autor die meisten Schwierigkeiten, weil hier viele mitmischten: neben Spontis auch K-Gruppen, Grüne, DKP, SPD, kirchliche Gruppen usw. Kompletter Unsinn ist z.B. Reichardts Einteilung der alternativen Wahlbewegung in die »marxistisch-leninistisch orientierten Bunten Listen, die kulturrevolutionär-antiautoritär ausgerichteten Alternativen Listen und die umweltpolitisch orientierten Grünen Listen«. Immer wieder schimmert auch seine Sympathie für die gesetzestreuen und friedfertigen Teile der Bewegungen durch. In einem Abschnitt über die Anti-AKW-Bewegung und die staatliche Repression gegen sie erfindet er für die 1980er Jahre gar einen »Lernprozess hin zu einer stärker bürgerorientierten Polizeiarbeit«. Als hätte es Brokdorf, den Hamburger Kessel und die staatlichen Gewaltorgien in Wackersdorf nie gegeben.

Daniel Ernst

Sven Reichardt: Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren. Suhrkamp Taschenbuch Verlag Wissenschaft, Berlin 2014. 1.018 Seiten, 29 EUR.

Eurorepression

Ein aktueller Sammelband skizziert Trends der Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Die Hamburger Ortsgruppe der Roten Hilfe hat dazu elf Beiträge zusammengestellt. Bernhard Schmid schreibt über Entwicklungen in Frankreich und zeigt, wie dort die verarmten Vorstädte, die Banlieues, zum »innerstaatlichen Experimentierfeld« geworden sind. Weitere Beiträge thematisieren die Situation in Großbritannien und in der Bundesrepublik. Ausführlich analysiert wird auch die »juristische Mehrzweckwaffe« gegen oppositionelle Bewegungen, der §129a Strafgesetzbuch (»Bildung terroristischer Vereinigungen«). Rechtsanwalt Nils Rotermund befasst sich mit der Grundstruktur der EU, deren Gesetzgebungsverfahren und »Regierung«, dem Europäischen Gerichtshof. Der Aufbau der Staatengemeinschaft sei extrem kompliziert, und Entscheidungsprozesse seien teilweise nicht öffentlich - beste Voraussetzungen für den Abbau von Demokratie und Bürgerrechten und den Ausbau des Überwachungsstaates. Weitere Beiträge befassen sich mit dem europäischen Thinktank European Union Institute for Security Studies (EUISS) und mit der Agentur Eurojust, dem Vorläufer einer europäischen Staatsanwaltschaft. In dem Buch geht es nicht darum, die europäische Sicherheitsarchitektur umfassend darzustellen. Vielmehr wollen die HerausgeberInnen einen Anstoß zur weiteren Beschäftigung mit der Thematik aus linker Perspektive geben.

Florian Osuch

Redaktionskollektiv der Hamburger Roten Hilfe (Hg.): Eurovisionen. Aspekte und Entwicklungen der europäischen Repressionsstruktur. Laika Verlag, Hamburg 2013. 132 Seiten, 17 EUR.

Futuring

Der umfangreiche Sammelband über »Perspektiven der Transformation im Kapitalismus über ihn hinaus« tritt an, sich mit dem »Futuring der Herrschenden«, also dem »Zugriff auf Zukünfte als zentrales Element von Macht« auseinanderzusetzen und dabei eine »linke (Gegen-)Perspektive auf die Transformation« zu eröffnen. Linke, der Rosa-Luxemburg-Stiftung verbundene AutorInnen wie Frigga Haug, Bob Jessop, Alex Demirovic und Ulrich Brand entfalten ein enormes Themenspektrum - von begrifflichen wie theoretischen Konzeptionen der Transformation über ihre Dimensionen und mögliche Szenarien bis hin zu Fragen ihrer Politisierung und der Dynamik der Veränderungen. Freilich entsteht kein einheitliches Bild oder gar ein Programm; vielmehr werden die vielschichtigen Probleme und Anforderungen einer linken, radikalen Transformationspolitik kritisch ausgeleuchtet, ohne dass dabei lediglich Reformen das Wort geredet würde. »Zeitverhältnisse als politische« und damit »veränderbare und umkämpfte Verhältnisse zu verstehen«, ist eines der verfolgten Hauptziele und die grundlegende Aufgabe, um überhaupt eine wie auch immer geartete Transformation denkbar werden zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Diskussionen und Überlegungen in die breite Bewegung hineingetragen werden. Die Möglichkeit hierzu ist gegeben, denn das Buch ist unter den Bedingungen einer Creative Commons License auf den Seiten der Rosa-Luxemburg-Stiftung frei zugänglich.

Sebastian Klauke

Michael Brie (Hg.): Futuring. Perspektiven der Transformation im Kapitalismus über ihn hinaus. Westfälisches Dampfboot, Münster 2014. 437 Seiten, 39,90 EUR.