Umgruppierungen im rechten Spektrum
Deutschland Der Erfolg der AfD bei der Landtagswahl in Sachsen verändert die politische Landschaft - und stabilisiert die strukturell rechte Mehrheit
Von Sebastian Friedrich
Am 31. August zog die Alternative für Deutschland (AfD) erstmals in ein Landesparlament ein. Das Parteienspektrum in Deutschland wird durcheinandergewirbelt. Dass die AfD bald Teil des Establishments ist, scheint nur noch eine Frage der Zeit. Linke stellt das vor neue Aufgaben.
9,7 Prozent bei der Landtagswahl in Sachsen: Die AfD kann sich zu Recht als strahlende Wahlsiegerin feiern. In manchem Kommentar wurde dagegen ein Zusammenhang konstruiert zwischen ihrem Erfolg und dem Ferienende. So maßregelte SPD-Chef Sigmar Gabriel den sächsischen CDU-Ministerpräsidenten in bester Oberstudienratsmanier: Stanislaw Tillich sei für die geringe Wahlbeteiligung verantwortlich, weil er den Wahltermin auf den letzten Ferientag gelegt habe. Er habe darauf gesetzt, dass viele WählerInnen noch im Urlaub seien und damit NPD und AfD in die Hände gespielt. Eine solche »Dummheit« dürfe sich nicht wiederholen. Nun ist zum einen fraglich, ob die Schulkinder samt ihrer wahlberechtigten Eltern wirklich erst Sonntagnacht aus dem Urlaub kamen. Zum anderen ist es offensichtlich, dass der AfD-Erfolg auf mehr zurückzuführen ist. Auch die zunehmende Marginalisierung der FDP und das Ergebnis der NPD sind einen genaueren Blick wert.
Die CDU erreichte in einem ihrer zentralen Stammländer mit knappen Verlusten 39,4 Prozent der Stimmen. Trotz Verlusten von 1,7 Prozent ist die Partei DIE LINKE mit 18,9 Prozent weiter zweitstärkste Partei. DIE LINKE war es auch, die der CDU einen Wahlkreis abtrotzen konnte: In Leipzig II holte Jule Nagel ein Direktmandat. Hinter der Linkspartei kam die SPD auf 12,4 Prozent, womit sie kurioserweise ihr bestes Ergebnis seit 20 Jahren im Freistaat feiern konnte. Die AfD erreichte aus dem Stand die besagten 9,7 Prozent; die Grünen zogen mit 5,7 Prozent gerade noch in den Landtag ein - im Gegensatz zu zwei anderen Parteien, die sich Hoffnungen auf einen Wiedereinzug in den Landtag gemacht hatten: Die NPD scheiterte mit 4,95 Prozent denkbar knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Weitaus mehr Stimmen waren es, die der FDP fehlten. Sie verlor etwa zwei Drittel ihrer WählerInnen und landete bei 3,8 Prozent.
Für die FDP wird es künftig schwer werden. Vieles deutet darauf hin, dass die Partei in die Bedeutungslosigkeit versinkt. Auch die CDU rechnet offenbar nicht mehr mit der FDP - im Wahlkampf hielt sie deutliche Distanz zu ihrem bisherigen Koalitionspartner. Ein Blick auf die Wählerwanderung zeigt, dass sich die ehemaligen FDP-WählerInnen in Sachsen vor allem in Richtung CDU (20.000), SPD (13.000) und AfD (18.000) bewegten oder gar nicht zur Wahl gingen (22.000). Momentan sind bei der FDP Auflösungserscheinungen zu beobachten: Kurz vor den Wahlen in Sachsen haben einige FDP-PolitikerInnen aus dem sozialliberalen Flügel angekündigt, eine neue linksliberale Partei gründen zu wollen. Dieses Vorhaben zeigt eher den Untergang der FDP an: Die neue linksliberale FDP dürfte kaum Erfolg haben, denn während auf der rechtsliberalen Seite die AfD WählerInnen für sich gewinnen kann, sind die Grünen im Parteienspektrum zunehmend die linksliberale Alternative für ehemalige FDP-AnhängerInnen. Da bleibt weder für die FDP noch für eine »neue« FDP mit sozialem Antlitz viel Platz.
Zumindest in Sachsen scheint die NPD im Vergleich zur FDP noch über eine solidere Wählerbasis zu verfügen. Zwar scheiterte auch sie an der Fünf-Prozent-Hürde - 809 Stimmen sollen letztlich gefehlt haben -, aber dennoch überrascht das Ergebnis, da die NPD noch zu Beginn des Jahres bei einigen Wahlforschungsinstituten bei gerade einmal einem Prozent lag. Sie verzichtete weitgehend auf einen Straßenwahlkampf, aber dafür attestierten ihr Social-Media-ExpertInnen einen geradezu vorbildlichen digitalen Wahlkampf. Das Ergebnis im Detail zeigt zudem, dass die NPD in einigen Teilen Sachsens über eine solide Stammwählerbasis verfügt. Im Wahlkreis Bautzen 5 kam sie auf 10,9 Prozent, und auch in den Wahlkreisen der Sächsischen Schweiz/Osterzgebirge lag sie zwischen 5,7 und 9,9 Prozent. Am schwächsten schnitt sie hingegen in Leipzig und Dresden ab. Hier holte sie nur selten mehr als 3 Prozent.
Die NPD ist immer noch regional verankert
Für ihre kommunalpolitische Verankerung spricht zudem, dass die NPD gut 2.600 mehr Erststimmen bekam als Zweitstimmen. Zum Vergleich: Den 9,7 Prozent der Zweitstimmen für die AfD steht ein relativ mageres Erststimmenergebnis von 6,4 Prozent gegenüber. Das Problem mit der NPD in Sachsen dürfte sich also nicht verflüssigen. Dennoch ist das Wahlergebnis ein herber Schlag für die NPD, weil Sachsen so etwas wie die Basis der Bundespartei darstellt. Dort zog die NPD vor zehn Jahren zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder in ein Parlament ein, von dort aus wollte sie in die anderen Parlamente einziehen, was allerdings nur in Mecklenburg-Vorpommern klappte. Für die nächsten fünf Jahre fehlen etwa 2,5 Millionen Euro jährlich, die bisher an ihre Abgeordneten und MitarbeiterInnen im sächsischen Landtag gezahlt wurden.
Die meisten WählerInnen verlor die NPD laut Infratest Dimap an die AfD. 13.000 sollen es gewesen sein, die vor fünf Jahren die NPD wählten und dieses Mal ihr Kreuz bei der Partei um Spitzenkandidatin Frauke Petry machten. Der Erfolg der AfD ist nicht weniger als sensationell, schließlich ist die Partei lokal praktisch nicht verankert. Auch in den meisten Umfragen unmittelbar vor der Wahl lag die AfD noch bei 7 Prozent. Nimmt man die Ergebnisse der Bundestagswahl 2013 und der Europawahl im Mai 2014 hinzu, dann scheint die AfD über ein erstaunlich stabiles Wählerpotenzial zu verfügen. Bei allen drei Wahlen errang die Partei in Sachsen etwa 160.000 Stimmen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil alle anderen Parteien aufgrund der deutlich geringeren Wahlbeteiligung im Vergleich zur Bundestagswahl massiv verloren. Die Linke etwa erhielt bei der Bundestagswahl vor einem Jahr 467.000 Stimmen, bei den Landtagswahlen nur knapp 310.000.
Und noch etwas überrascht: Die AfD wird in der Breite gewählt. Laut Infratest Dimap gaben 16 Prozent der Selbstständigen der AfD ihre Stimme. Sie ist aber auch stark bei ArbeiterInnen (15 Prozent). Zwölf Prozent der Männer wählten die AfD, acht Prozent der Frauen. Zwar ist das ein Unterschied, aber verglichen mit anderen Rechtsparteien, die meist deutlich mehr Männer anziehen, ein sehr geringer. Nur bei RentnerInnen kann die AfD noch nicht so richtig punkten. Laut Infratest Dimap votierten nur sechs Prozent der Über-Siebzigjährigen für die Alternative für Deutschland.
Vor der Wahl hat die sächsische CDU bewusst eine Regierungskoalition mit der AfD nicht ausgeschlossen. Erst direkt nach den ersten Hochrechnungen verkündete Tillich im ARD-Studio, dass er keine Gespräche mit der AfD führen werde. Es lässt sich nur mutmaßen, dass er kurz zuvor aus Berlin darum gebeten worden war oder dass er schon ahnte, dass es für die NPD nicht reichen könnte, womit eine rechnerische Option der Koalition mit den Grünen wieder möglich wurde. Fakt ist allerdings, dass sich die CDU die AfD als im Raum stehende Drohung in Sachsen nicht strategisch warmhalten muss, um während der Sondierungsgespräche größeren Druck auf die SPD ausüben zu können. Dennoch ist zu erwarten, dass sich die CDU in Zukunft in Richtung AfD bewegen wird, sollte sich die neue Partei etablieren.
Die CDU hält Distanz zur AfD - bis auf weiteres
Das wird sich wohl erst in zwei Jahren einigermaßen zuverlässig einschätzen lassen. Nächstes Jahr stehen lediglich Wahlen in Hamburg und Bremen an. Im Frühjahr 2016 wird dann in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt. Dann wird sich zeigen, ob die FDP endgültig in die Bedeutungslosigkeit sinkt, die AfD sich etablieren kann und das Parteienspektrum sich fundamental ändert. Sollte der aktuelle Trend fortgesetzt werden, wird der CDU früher oder später nichts anderes übrig bleiben, als Koalitionen mit der AfD einzugehen, wenn sie nicht ständig mit SPD oder Grünen regieren will. Die fehlende Distanzierung der CDU von der AfD im Vorfeld der Wahl in Sachsen ist in diesem Sinne als Versuch einer diskursiven Normalisierung der AfD zu deuten. Auffällig ist zudem, dass sie sich kaum inhaltlich von der AfD abgegrenzt hat, sondern vor allem deren innerparteilichen Streitigkeiten als Grund anführte, die neue Partei zu meiden.
Dass, wie Oberlehrer Gabriel suggeriert, der Erfolg der AfD vor allem auf die geringe Wahlbeteiligung zurückzuführen ist, darf stark angezweifelt werden. Ein Blick auf die Wählerwanderung verdeutlicht das. Laut Infratest Dimap konnte die AfD 15.000 WählerInnen mobilisieren, die vor fünf Jahren den Wahllokalen ferngeblieben waren. Warum wählten diese und andere die AfD? Die Wahlanalysen von ARD und ZDF können das nicht hinreichend erklären. 54 Prozent der befragten AfD-WählerInnen gaben gegenüber Infratest Dimap (ARD) an, die AfD aus Enttäuschung über andere Parteien gewählt zu haben, nur 39 Prozent hingegen aus Überzeugung. Laut den Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) gaben 76 Prozent der AfD-WählerInnen an, die AfD wegen ihrer Inhalte und nicht aus Protest gewählt zu haben.
Die geringe Wahlbeteiligung dürfte also nicht entscheidend für den Wahlerfolg der AfD gewesen sein. Dennoch sagt sie einiges aus: Nicht die Ferienzeit dürfte dafür verantwortlich sein als vielmehr die Tatsache, dass der Wahlkampf ohne große Polarisierungen stattfand. Es fehlte nicht nur an Streit, sondern auch an einem zentralen Thema. Zudem scheinen die Menschen in Sachsen grundlegend zufrieden zu sein mit der Landesregierung; laut Infratest Dimap trifft das auf 61 Prozent der Befragten zu. Von den Unzufriedenen kann noch am ehesten die AfD abschöpfen. Während sich laut Infratest Dimap nur 13 Prozent der CDU-WählerInnen als Verlierer der gesellschaftlichen Entwicklung sehen, sind es bei der AfD 46 Prozent. Dem gegenüber stehen 37 Prozent der AfD-WählerInnen, die sich als GewinnerInnen sehen. Lediglich 30 Prozent der Linken-WählerInnen sehen sich als VerliererInnen, 51 als GewinnerInnen.
Neue Aufgaben für die gesellschaftliche Linke
Offensichtlich tendiert eine beträchtliche Zahl von Menschen, die meint, das Nachsehen in der Gesellschaft zu haben, dazu, rechtsaußen zu wählen. Das begünstigt die ohnehin schon strukturell rechte Mehrheit: Während auf Bundesebene zwischen 1998 und 2005 eine strukturelle linke Mehrheit vorhanden war, hat sich das seitdem verkehrt. Im Bundestag bildet sich das zwar momentan nicht ab, da AfD und FDP vor einem Jahr nur knapp an der 5-Prozent-Hürde scheiterten, aber zusammen kamen Union, FDP und AfD auf über 50 Prozent. In Sachsen gewannen die Parteien CDU, FDP, AfD und NPD zusammengenommen sogar 57,9 Prozent. Rotrotgrün kam lediglich auf magere 37 Prozent. Verglichen mit der Wahl vor fünf Jahren hat sich - verteilt man die Parteien auf diese beiden Lager - nicht viel geändert. Damals erreichten Linke, SPD und Grüne gemeinsam ebenfalls etwa 37 Prozent; CDU, FDP und NPD kamen auch ohne AfD schon auf knapp 56 Prozent.
Die gesellschaftliche Linke stellt der Erfolg der AfD vor neue Aufgaben. Der Landtagswahlkampf der AfD verdeutlichte einmal mehr, dass der Partei nicht einfach zu begegnen ist, indem man sie als verkappte Neonazis darzustellen versucht. Die AfD kann zwar momentan als Protestpartei punkten, zugleich aber auch mit ihren Inhalten. Im Wahlkampf spielte auffällig selten der Euro eine Rolle, vielmehr ging es um Rechtsstaatlichkeit, eine (erz-)konservative Familienpolitik, selektive Einwanderung und Innere Sicherheit. Die AfD ist also weitaus mehr als eine Ein-Punkt-Partei und stellt sich inhaltlich zunehmend breiter auf. Bisher gelingt es ihr auch einigermaßen, sich in Richtung Neonazis abzugrenzen. Es deutet vieles darauf hin, dass das auch in Zukunft so sein wird, zumal, wenn es der AfD gelingt, das national- und rechtskonservative Potenzial der CDU und vor allem das rechtsliberale, marktradikale Spektrum der FDP für sich zu gewinnen. Die bisherigen linken Strategien, die weitgehend auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD verzichteten, werden zukünftig aller Voraussicht nach nicht ausreichen, um der AfD zu begegnen.
Sebastian Friedrich ist Mitarbeiter beim Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS). In ak 595 analysierte er das Ergebnis der Europawahlen.