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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 597 / 16.9.2014

Der vergessene Brand

Deutschland Eine Hamburger Initiative erinnert an den ersten tödlichen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in der Bundesrepublik

Von Gaston Kirsche

Vor 34 Jahren, in der Nacht zum 22. August 1980, verbrannten zwei Flüchtlinge bei einem Anschlag auf eine Hamburger Sammelunterkunft. Am 23. August dieses Jahres fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Vom rassistischen Normalzustand zum Nationalsozialistischen Untergrund« eine Gedenkkundgebung für die damals getöteten Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô statt. Eine Gedenktafel mit Fotos der beiden Opfer wurde vor dem Haus angebracht; nach einer Schweigeminute wurde an dem heutigen Hotel Amedia einen Kranz niedergelegt. Sobald die KundgebungsteilnehmerInnen abgezogen waren, ließ die Hotelleitung die Gedenktafel wieder entfernen.

240 Menschen lebten im August 1980 in dem Haus in der Halskestraße, die meisten von ihnen sogenannte Boat People aus Vietnam. Bis zu der Aufstellung der Gedenktafel erinnerte nichts daran, dass es zwei Neonazis waren, die in jener Nacht Molotow-Cocktails in ein Fenster der Unterkunft warfen: Sibylle Vorderbrügge und Raimund Hörnle, beide Mitglieder der Deutschen Aktionsgruppen. Drinnen schliefen der 22-jährige Ngoc Nguyên und der 18-jährige Anh Lân Dô. Ngoc Nguyên starb nur wenigen Stunden nach dem Feuer, Anh Lân Dô erlag einige Tage später seinen schweren Verbrennungen. Am Tag nach dem Anschlag stand der von den TäterInnen gesprühte Schriftzug »Ausländer raus!« immer noch an der Mauer.

Die Staatsschutzabteilung der Hamburger Polizei und das Landesamt für Verfassungsschutz raunten zwei Tage nach dem Anschlag in der Zeitung Die Welt etwas von »virulenter Abneigung von Ausländern in den Stadtbezirken mit einem besonders hohen Ausländeranteil«. Zum staatlichen Rassismus gehörte es denn auch, eine Belastung von Wohngebieten durch Zuwanderung zu behaupten und vor einem möglichen »Umkippen« von Stadtteilen meinen warnen zu müssen.

Die Kundgebung für Ngoc Nguyên und Anh Lân Dô war ein erster Schritt, einen Gedenkort in Hamburg zu schaffen. Denn nicht nur am Tatort, auch sonst erinnert in der Stadt nichts an den Anschlag und die beiden Opfer. Ihre Gräber auf dem städtischen Öjendorfer Friedhof sind längst eingeebnet. »Das wird keine einfache Aufgabe, der Mord liegt 34 Jahre zurück und bislang hat kaum eine Initiative oder migrantische Community einen Gedenkort gefordert«, meint Ünal Zeran. Auch bei den politisch Verantwortlichen werde es viele Abwehrreflexe geben, so das Mitglied der Ramazan-Avci-Initiative. Im Jahr 2012 hatte die Initiative in Hamburg erfolgreich eine Platzumbenennung und einen Gedenkstein durchgesetzt. Ramazan Avci wurde im Dezember 1985 von Neonazis an einem Hamburger S-Bahnhof totgeschlagen, weil der Einwanderer aus der Türkei für sie als »Ausländer« ein Angriffsziel war.

Gerade weil es keinerlei Gedenken an den Anschlag in der Halskestraße gibt, »ist es umso wichtiger, dies zu fordern, damit sie ein Teil der Geschichte der Migration in dieser Stadt werden«, so Ünal Zeran. AktivistInnen bezeichnen das Attentat als ersten rassistischen Mordanschlag in der Geschichte der Bundesrepublik. »Ob das historisch zutrifft, konnten wir allerdings bislang nicht verifizieren.«

Was jedoch sicher ist: Der kürzlich verstorbene Manfred Roeder war in den Mord involviert. Roeder ist ein Paradebeispiel für die braunen Kontinuitäten in der BRD. Bis zu seinem Tod im Juli 2014 argumentierte er wie ein SS-Offizier. Er wurde auf einer Napola, einer nationalsozialistischen Eliteschule, ausgebildet, nahm 1945 als 16-Jähriger freiwillig als Wehrmachtssoldat an der Schlacht um Berlin teil, war lange Mitglied der CDU - und immer stramm nationalsozialistisch. 1980 gründete er die Deutschen Aktionsgruppen, beteiligte sich aber selbst nicht an deren Attentaten: zwei Brandanschläge und fünf Sprengstoffanschläge mit Rohrbomben. Die erste explodierte am 21. Februar 1980 im Landratsamt Esslingen: Die Neonazis attackierten damit eine Ausstellung über das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Die zweite Bombe explodierte am 18. April am Wohnhaus des für die Ausstellung engagierten Landrats Hans Peter Braun. Zu diesen Anschlägen bekannte sich ein anonymer Anrufer bei der Nachrichtenagentur dpa im Namen der Deutschen Aktionsgruppen und erklärte: »35 Jahre antideutsche Hetze sind genug. Wer dem Zionismus dient, bekommt unsere Maßnahmen zu spüren«.

Mit einem weiteren Sprengstoffanschlag auf die Janusz-Korczak-Schule am 15. April am Bullenhuser Damm in Hamburg, bei dem zwei Personen verletzt wurden, gingen sie gegen eine Ausstellung zum Gedenken an die dort kurz vor Kriegsende von der SS ermordeten jüdischen Kinder vor. Am 30. Juli explodierte eine Rohrbombe am Ausländersammellager in Zirndorf; bei einem Brandanschlag am 6. August auf eine Flüchtlingsunterkunft in Leinfelden-Echterdingen wurden zwei Frauen schwer verletzt. Am 17. August detonierte eine Rohrbombe in einer Flüchtlingsunterkunft in Lörrach; eine Frau und ihr Kind wurden schwer verletzt.

Fünf Tage darauf dann der Brandanschlag in der Hamburger Halskestraße. Weitere zwei Wochen später waren die fünf bekannten Nazis der Gruppe in Haft, wurden als »terroristische Vereinigung« angeklagt und verurteilt. Gefasst wurden sie, als zwei ihrer Mitglieder mit der bereits beim Anschlag in der Halskestraße verwendeten Farbdose erneut »Ausländer raus!« sprühten, diesmal an eine Autobahnbrücke bei Thieshope. Durch die eindeutige Spur flog die Gruppe auf. Roeder kam 1990 nach zwei Dritteln der Haftzeit wegen guter Führung wieder frei. 1997 verteilten Mitglieder des Thüringer Heimatschutzes eine nationalsozialistische Hetzschrift von ihm; für die Mitglieder des NSU war er ein Vorbild. »Es macht deutlich, dass rassistische Verbrechen nicht erst mit dem Mauerfall beginnen und kein ostdeutsches Problem sind«, so Ünal Zeran. Denn auch darum ging es den OrganisatorInnen der Gedenkveranstaltung: dem Mythos entgegenzuwirken, der NSU-Mord an Süleyman Tasköprü sei der erste und einzige rassistisch motivierte Mord in Hamburg gewesen.

Gaston Kirsche schrieb in ak 593 über die Nelkenrevolution vor 40 Jahren in Portugal.

Informationen zur Veranstaltungsreihe unter antirareihe.noblogs.org