Auf die Plätze - fertig - Winterpalais?
Diskussion Mario Candeias und Eva Völpel legen mit »Plätze sichern« einen wichtigen Beitrag zur Organisierungsfrage vor
Von Martin Birkner
Der Band, der sympathischerweise auch als kostenloser Download zu haben ist, nimmt sich viel vor. Grob gliedert sich das Buch in zwei Teile: in eine Analyse der jüngsten sozialen Bewegungen in Griechenland, Spanien und den USA sowie in Vorschläge zum bzw. Reflexionen über das Verhältnis zwischen sozialen Basisbewegungen und der institutionalisierten (Partei-)Linken. Im Zentrum steht dabei, wie es der Untertitel schon verrät, die Frage der »ReOrganisierung der Linken«: Anhand der jüngsten sozialen Bewegungen und Platzbesetzungen zeichnen die AutorInnen ein spannendes materialistisches Bild der sozialen Neuzusammensetzung der beteiligten Subjekte.
Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Betrachtungen über diese Bewegungen rücken sie dabei die Rolle der Arbeit(erInnen) ins Zentrum. So entsteht beispielsweise ein ganz anderes - und plausibleres - Bild der US-amerikanischen Occupy-Bewegung als gewohnt, wenn diese nicht als kreative Erfindung gut situierter Mittelklasseangehöriger präsentiert wird, sondern in der Vielschichtigkeit ihrer arbeitenden ProtagonistInnen: Sei es als organisierte KrankenpflegerInnen, BusfahrerInnen oder hinsichtlich der Befehlsverweigerung lokaler Polizeieinheiten, gegen die Bewegung vorzugehen. Occupy war also nicht zuletzt auch eine Arbeiterbewegung.
Die Bewegungen in Griechenland und Spanien waren ebenfalls äußerst heterogen zusammengesetzt, trafen aber im Gegensatz zu den USA im Rahmen der Bewegungen auf die Kader und AktivistInnen der mehr oder weniger traditionellen Arbeiterbewegung - und genau in diesem Zusammentreffen ereigneten sich jenseits der bekannten Borniertheiten und Abgrenzungsbedürfnisse von beiden Seiten auch erstaunliche Rekonfigurationen und Interaktionen.
Linke Parteien wissen, dass sie mit der bekannten Mischung aus Vereinnahmung und politischem Alleinvertretungsanspruch auf keinerlei Resonanz in den Bewegungen stoßen. AktivistInnen der Basisbewegungen wiederum wissen, dass letztere stets zyklischen Konjunkturen unterworfen sind und sich in den Abschwungphasen stets aufs Neue die Frage nach der institutionellen Sicherung erkämpfter Errungenschaften stellt.
Partei und Bewegung - ein schwieriges Verhältnis
Für eine neue Qualität der Re-Organisierung der »gesellschaftlichen Linken« spricht laut den AutorInnen das konstruktive Verhältnis der beiden letztlich ja doch aufeinander verwiesenen Kräfte. Und so zeichnen sie die Entwicklung neuer Organisationsformen in diesen Bewegungen nach, die die klassische Dichotomie von Graswurzelbewegung vs. politischer Partei ein Stück weit infrage stellt und so neue Horizonte für linke Politik öffnet.
Wie Candeias und Völpel an den Beispielen der Frente Civico in Spanien sowie Solidarity4all in Griechenland zeigen, unterscheiden sich diese qualitativ von den alten Vorfeldorganisationen der Parteien. In ihnen treffen sich Parteimitglieder als auch nicht parteiförmig Organisierte und agieren in einem organisatorischen Rahmen, der zwar infrastrukturell teilweise mit den Parteien verbunden ist, jedoch selbstorganisiert und in den politischen Entscheidungsprozessen autonom agiert.
Nach den starken Analysen der genannten Bewegungen versuchen die AutorInnen in den letzten beiden Kapiteln, grundlegende Schlussfolgerungen für die anstehenden Re-Organisierungprozesse der Linken zu ziehen. Viele dieser Ausführungen sind allerdings etwas kursorisch und abstrakt geraten, was gerade angesichts der plastischen und komplexen Analysen der konkreten Bewegungen im ersten Teil auffällt.
Immer wieder schwanken Candeias und Völpel zwischen der Anerkennung des Eigensinns sozialer Kämpfe (auch in organisatorischer Hinsicht) und einer des öfteren doch etwas altbekannt und -backen anmutenden parteitheoretischen Schlagseite eurokommunistischen Typs hin und her. Auch der allgegenwärtige Begriff der Zivilgesellschaft schmälert die durchaus Erkenntnis fördernden Sichtweisen auf soziale Bewegungen, wenn diese jener einfach zugerechnet werden. Dies klingt dann letztlich doch nach dem bekannten Vorwurf des »Vorpolitisch-Seins« sozialer Bewegungen, die genau deshalb auch der politischen Anleitung bedürfen ... So ist es auch nicht verwunderlich, wenn trotz der grundsätzlich instruktiven Auseinandersetzung mit der Frage nach alternativen Institutionen die Notwendigkeit eines Staatsprojektes in den Fokus rückt.
Dem entspricht auch die von den AutorInnen offenbar geteilte bürgerliche Trennung von Ökonomie und Politik. Anders ist beispielsweise die auffällige Abwesenheit der Commonsdebatte nicht zu erklären. Wenn Institutionen nur als politische gedacht werden, verschwinden die mannigfaltigen Beispiele aus Geschichte und Gegenwart, in denen sich Menschen gemeinschaftliche Institutionen schaffen: von geldlosem Warenverkehr im Rahmen alternativ-ökonomischer Projekte, über die kollektive Wiederaneignung öffentlicher Dienstleistungen und Räume bis hin zu den neuen digitalen Formen demokratischer Willensbildung und sozialer Selbstorganisation. Werden hingegen mögliche emanzipative Formen von Instituierung ausschließlich als politische gedacht, erscheint alsbald der Schatten des zu stürmenden Winterpalasts auf der Agenda.
Inspiration aus der Garküche des Parteigramscianismus
Inspirierender dagegen sind die Versuche, wichtige Konzepte der linken Diskussion im Lichte der Erfahrungen der jüngsten Bewegungen weiterzuentwickeln. So wird aus der »Mosaiklinken« die »Transformationslinke«, aus der Analyse der Neuzusammensetzung linker Kollektivsubjekte der Versuch, diese stärker prozesshaft in strategisch offensive Figuren umzubauen. Ähnlich gehen die AutorInnen mit Gramscis Begriff des »Organischen Intellektuellen« um, der zum »Vermittelnden Intellektuellen« wird, der der Heterogenität zeitgenössischer Klassenzusammensetzungen und politischer Begehren eher gerecht wird.
Das Buch hinterlässt also gemischte Gefühle: Zur höchst notwendigen Auseinandersetzung zwischen Bewegungs- und institutionalisierter Linker in strategischer Absicht gesellt sich ein eher abstrakter, aus der Garküche des Parteigramscianismus entsprungener Diskurs in Richtung Staatsmacht. Dies ist aber andererseits angesichts dessen, dass eine(r) der AutorInnen für den Think Tank der Linkspartei, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, arbeitet, auch nicht weiter verwunderlich. In jedem Fall zeigt das Buch wichtige Anknüpfungspunkte für notwendige Diskussionen auch für Bewegungslinke auf.
Wünschenswert wäre eine produktive Konfrontation der im Buch in Stellung gebrachten Argumente mit jenen Überlegungen stärker antistaatlich ausgerichteten TheoretikerInnen zu ähnlichen Fragen, wie etwa jene von Costas Douzinas, Friederike Habermann, Isabell Lorey oder Hardt/Negri. An der (Re-)Organisationsfrage führt jedenfalls heute kein Weg vorbei.
Martin Birkner ist Theoretiker im Südburgenland und in Wien sowie aktiv bei akw.
Mario Candeias, Eva Völpel: Plätze sichern! ReOrganisierung der Linken in der Krise. Zur Lernfähigkeit des Mosaiks in den USA, Spanien und Griechenland. VSA: Verlag, Hamburg 2014. 256 Seiten, 16,80 EUR. Kostenfreier Download unter www.rosalux.de/publication/40321.