Titelseite ak
Linksnet.de
ak bei Diaspora *
ak bei facebook
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 597 / 16.9.2014

»Märsche für das Leben«: Antifeminismus als Programm

Deutschland Christliche FundamentalistInnen im Schulterschluss mit der Neuen Rechten und der AfD

Von Felix Hansen, Ulli Jentsch und Eike Sanders

Mit der Alternative für Deutschland (AfD) hat die »Lebensschutz«-Bewegung eine neue Fürsprecherin - auch wenn die Partei zum Thema Abtreibung (noch) keine einheitliche Position vertritt. Für die Vorsitzende der AfD Sachsen, Frauke Petry, ist jedenfalls klar: »Die deutsche Politik hat eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicherzustellen.« Jede deutsche Familie solle drei Kinder haben, sagte die vierfache Mutter und forderte eine »Volksabstimmung« für die Verschärfung des Paragrafen 218.

Frauke Petry bedient damit eine zentrale Argumentation sowohl der »Lebensschutz«-Bewegung als auch der Neuen Rechten, die beide die Hebung der (deutschen) Geburtenrate zur Lösung der demografischen Krise fordern. Dieser Kurs ist nicht unumstritten, mehrere liberale Parteimitglieder verließen Anfang 2014 die AfD. Und auch den Satz, »alles dafür zu tun, dass die Zahl der Abtreibungen deutlich reduziert wird«, lehnte eine knappe Mehrheit der Mitglieder in einer Onlinebefragung der Partei ab.

Gleichwohl zog mit der rechts-konservativen Lobbyistin Beatrix von Storch im Mai 2014 eine explizite »Lebensschutz«-Aktivistin für die AfD in das Europaparlament ein. Storch ist Vorsitzende der Zivilen Koalition und machte mit ihrer Initiative »Einer von uns« Lobbyismus für den »Lebensschutz« auf europäischer Ebene. Ihr erklärtes Ziel innerhalb der AfD ist es, dass »Lebensschutz zum Thema wird«. »Lebensschützer« aus verschiedenen Verbänden, denen die CDU zu »unchristlich« geworden ist, sehen in der AfD nun die Chance, abseits von fundamentalistischen Splitterparteien Parteipolitik machen zu können.

Vehikel für eine reaktionäre Kulturkritik

Kritik an und Agitation gegen Schwangerschaftsabbrüche finden wir in Deutschland in der organisierten Form der »Lebensschutz«-Bewegung seit den späten 1960er Jahren. Es ist eine Ein-Punkt-Bewegung, die sich überkonfessionell und überparteilich gibt. Von den mindestens 60 expliziten »Lebensschutz«-Gruppen in Deutschland betreibt geschätzt die Hälfte vor allem Informations- und Lobbyarbeit gegen Abtreibungen. Die andere Hälfte bietet (persönliche oder telefonische) Schwangerenberatungen an, ohne einen Beratungsschein auszustellen, der für einen straffreien Schwangerschaftsabbruch notwendig wäre. Einige sind auch in beiden Feldern tätig.

Die Abtreibungskritik dient den christlich-fundamentalistischen Gruppen - die nahezu ausschließlich den Kern der Aktiven stellen - immer als Ausgangspunkt für eine umfassende, generalisierende Kulturkritik an der heutigen postmodernen und individualisierten Gesellschaft. An ihrem Thema »Lebensschutz« spitzen sie eine Vielzahl von gesellschaftlichen Diskursen zu. Zentral ist die Annahme, dass es eine »natürliche« zweigeschlechtliche Norm mit einer sich daraus ableitenden Sexualmoral geben müsse. Für sie ist die Ehe zwischen Mann und Frau mit Kindern das einzige Lebensmodell. Dieses leiten sie aus ihrem christlichen Weltbild und der Bibel ab und setzen sich für einen Staat ein, der nach den Geboten Gottes gestaltet sein solle.

Die beklagte »Gottlosigkeit« der heutigen Gesellschaft verbinden »Lebensschützer« mit anderen Missständen, die als Folgen der »68er«-Bewegung, insbesondere des Feminismus, identifiziert werden. Und der angenommenen demografischen Krise begegnen sie argumentativ genauso wie die völkisch-nationalistische extreme Rechte, die Angst davor hat, dass die »Deutschen« aussterben.

Mit den Kämpfen und (Teil-)Erfolgen der feministischen Bewegung der 1980er Jahre für die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung geriet die Bewegung zur Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen in die Defensive. In den frühen 1990er Jahren wurden dann die Überschneidungen der »Lebensschützer« mit der extremen Rechten bekannt. Die »Lebensschutz«-Gruppen waren als christliche FundamentalistInnen stigmatisiert.

Seitdem sind sie verstärkt auf ein gutes Image und die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit bedacht. Dies drückt sich in einer entradikalisierten Sprache und einer verstärkten Lobbyarbeit in politischen Eliten aus. Zudem hat die »Lebensschutz«-Bewegung ihr Themenspektrum ausgeweitet: Die Gruppen engagieren sich seit einigen Jahren nicht nur gegen Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch gegen Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik (PND) und die damit verbundenen Selektionseffekte sowie gegen die Sterbehilfe, die sie als »Euthanasie« bezeichnen.

Ihre Inhalte bringen die »Lebensschützer« auf verschiedenen Wegen an die Menschen: durch klassische Aktionen wie Demonstrationen, durch Informationsarbeit auf lokaler Ebene, in persönlichen Gesprächen oder durch professionelle Lobbyarbeit, wie sie Beatrix von Storch in Brüssel durchführt.

Die wichtigste öffentliche Aktionsform der »Lebensschutz«-Bewegung sind die »Märsche für das Leben«, die jährlich unter anderem in Berlin, Annaberg-Buchholz, München, Fulda, Münster und Freiburg stattfinden. Organisiert wird die jährliche zentrale Veranstaltung in Berlin vom Bundesverband Lebensrecht (BVL), die am 20. September 2014 bereits zum zwölften Mal stattfindet. Das gesamte Jahr bereitet der BVL unter seinem Vorsitzenden Martin Lohmann diesen Marsch vor - mit wachsendem Erfolg: Der Protestzug ist kontinuierlich gewachsen, in Berlin zuletzt auf rund 4.000 Teilnehmende.

»Märsche für das Leben« nicht nur in Berlin

Mitglied im BVL ist unter anderem der Verein pro conscientia. In dessen Vereinsblatt »Mitwissen - Mittun« finden sich neben fundamentalistischer Bibeltreue Ideologiefragmente der extremen Rechten wie eine starke Islamfeindlichkeit, extremer Antifeminismus, Homo- und Trans*feindlichkeit.

Auf den »Märschen für das Leben« stehen liberale und reaktionäre Teile des Spektrums unwidersprochen nebeneinander auf der Bühne und können ihre jeweiligen Botschaften verkünden. Einzelne VertreterInnen der extremen Rechten fühlen sich hier ebenso wohl wie Mitglieder evangelikaler und reaktionärer katholischer Gruppierungen wie etwa der Pius-Bruderschaft. Das harmonische Nebeneinander der verschiedenen Spektren hat bisher weder dem Anliegen des BVL noch den beteiligten Mitgliedern von CDU/CSU oder gar der AfD geschadet.

Die Bewegung ist heterogen. Sowohl die AkteurInnen als auch ihr Auftreten nach außen changieren einerseits zwischen sich seriös und weltlich gebenden professionellen LobbyistInnen und andererseits bibelfesten FundamentalistInnen, von denen man denkt, sie seien direkt dem Mittelalter entsprungen. Die Konzentration der »Lebensschützer« auf die Ablehnung von Abtreibung ist somit funktional. Divergierende politische Positionen werden innerhalb der Bewegung zugelassen und Identifikationsmöglichkeiten für ein breites gesellschaftliches Spektrum geboten. Es gibt weder offizielle Ausschlüsse von extrem rechten Akteuren noch verhindern die verschiedenen Konfessionen oder Parteizugehörigkeiten den positiven Bezug aufeinander, wenn es um das gemeinsame Anliegen des »Lebensschutzes« geht.

In ihrer christlichen Argumentation unterschlagen sie, dass menschliche Gesellschaften auch ohne den christlichen Glauben an Gott immer eine Ethik haben, dass Moralvorstellungen, Werte und Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit nicht statisch sind, sondern den Prozessen der gesellschaftlichen Aushandlung unterworfen sind - im besten Falle der demokratischen Aushandlung. Diesem Demokratie-Ideal widerspricht aber jede Verknüpfung von Staat und Religion. Der 2013 gegründeten Arbeitskreis »Christen in der Alternative für Deutschland« fordert aber genau dies, wenn er sich explizit für den »Schutz der christlichen Familie« ausspricht.

Fatal ist auch, dass die »Lebensschützer« es durch die Selbstdarstellung als Bewegung »für das Leben« geschafft haben, die hinter dem Streit um Abtreibungen stehenden Probleme zu verschleiern und Agendasetting bei bioethischen Fragen zu betreiben - zu oft überlassen ihnen emanzipatorische Gruppen hier das Feld.

Während der Märsche kommt es inzwischen immerhin regelmäßig zu Protesten von linken, (queer-)feministischen und antifaschistischen Gruppen. In diesem Jahr ruft etwa das Bündnis »What the Fuck!« zu einer Gegendemonstration und einer anschließenden Blockade des »Marsches für das Leben« in Berlin auf.

Felix Hansen, Ulli Jentsch und Eike Sanders sind AutorInnen des neu im Unrast-Verlag erschienenen Buches »Deutschland treibt sich ab. Organisierter Lebensschutz, christlicher Fundamentalismus und Antifeminismus«.