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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 597 / 16.9.2014

Digitale Agenda für die Standortpolitik

»Alle Bürgerinnen und Bürger sollen die Vorteile des digitalen Fortschritts nutzen können.« So beginnt die Digitale Agenda der Bundesregierung, die am 20. August 2014 von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), Innenminister Thomas de Maiziére (CDU) und dem Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur Alexander Dobrindt (CSU) vorgestellt wurde. Gleich im nächsten Satz macht die Bundesregierung deutlich, was sie mit Vorteilen meint: »Vernetzte Hausgeräte, neue Online-Bildungsangebote, intelligentes Energiesparen, Telemedizin und mobiles Arbeiten.« Mit anderen Worten: Das Kernziel der Digitalen Agenda der Bundesregierung ist eine aggressive Standortpolitik. Deutschland soll IT-Wirtschaftsstandort Nummer 1, digitales Wachstumsland Nummer 1 und Verschlüsselungsstandort Nummer 1 werden.

Die Bundesregierung geht davon aus, dass mithilfe der Digitalen Agenda eine Produktivitätssteigerung von 30 Prozent möglich sein soll - durch den Übergang zur Industrie 4.0, ein Lieblingsschlüsselwort der Industrieverbände. Unter diesem Begriff wird derzeit die Umstellung der klassischen Industrie- und Produktionstechnik auf sogenannte intelligente - »smarte« - Fabriken verstanden, in denen Kunden in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse eingebunden werden. Wie soll das gehen? Durch das Internet der Dinge - Wasserkocher, die nach Hause telefonieren, Kühlschränke, die selbstständig einkaufen oder Autos, die die angeblichen Bedürfnisse des Fahrers erkennen (»Sie sind jetzt müde und brauchen ein Hotel«).

Das Ganze muss selbstverständlich mit neuen Arbeitsformen einhergehen. »Crowd Working« und neue - also ausgedehnte - Arbeitszeitregelungen werden genannt und ein »moderner Datenschutz« wird angekündigt, berufliche Qualifizierung wird betont und digitale Kompetenzen zur Schlüsselqualifikation erhoben. Grundvoraussetzung ist dafür ein Zugang zum schnellen Internet für alle, daher ist auch der Breitbandausbau eines der Hauptziele der Bundesregierung. Bis 2018 soll dieser flächendeckend abgeschlossen sein. Wie solche Infrastrukturprojekte unter Bedingungen wirtschaftlicher Liberalisierung und Abbau von staatlicher Infrastruktur gelingen soll, bleibt offen. Die Konzerne fordern erwartungsgemäß staatliche Förderung, die Bundesregierung will die zukünftigen Geschäftsfelder privater Unternehmen nicht allein finanzieren. Die genauen Vorstellungen zur Umsetzung dieser digitalen Agenda sind noch nicht bekannt. Die Bundesregierung verspricht zwar eine breite Beteiligung des Deutschen Bundestags, der Länder und Kommunen, der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und Wissenschaft, der Tarifpartner, der Beauftragten für den Datenschutz und der Netzcommunity an der Umsetzung, nennt aber nur den für Oktober geplanten IT-Gipfel als Aushandlungsort.

Wer dachte, dass die Dystopie 1984 bereits eingetreten ist, wird mit der Digitalen Agenda eines besseren belehrt: »1984« fängt gerade erst an. Um das Vertrauen der BürgerInnen in das Internet zu stärken, sollen das Strafrecht und die Befugnisse des Bundeskriminalamtes (BKA) erweitert werden und die zuständigen Sicherheitsbehörden zusätzliches Geld zur technischen Aufrüstung und für Personal bekommen.

Beim BKA, beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, beim Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sollen insgesamt mehr als 270 neue Stellen entstehen. Mehr als 20 Millionen Euro sind für die zusätzlichen Personalkosten und extra Sachmittel eingeplant. Das BKA und der Verfassungsschutz erhalten neue »Analysewerkzeuge«, um »Attacken« aufspüren zu können. Gemeint ist damit einerseits Spionageabwehr und andererseits - wen wundert's - die Aufklärung von sogenannten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, denn »eine wehrhafte Demokratie begegnet verfassungsfeindlichen Bestrebungen auch im Netz«, wie es die Redaktion der Digitalen Agenda auf deren Website erklärt. Das einzig Positive, was es über die Digitale Agenda zu berichten gibt, ist die breite Kritik, mit der sie in der Öffentlichkeit aufgenommen wurde. Die Bundesregierung versucht derzeit, diese Kritik mit ihren euphemistischen Beteiligungsversprechen einzufangen. Eine umfassende Neuorientierung der Digitalen Agenda, die eine demokratische Raumordnung auslotet und Interessen von VerbraucherInnen in den Mittelpunkt stellt, wie sie beispielsweise die Netzcommunity und ver.di einfordern, ist durch die Bundesregierung bisher nicht vorgesehen.

Susanne Lang

Susanne Lang ist genossenschaftlich organisierte Beraterin, Trainerin und Coach in Berlin und schreibt in ak über gewerkschaftliche und netzpolitische Themen.