Wir haben immer gesagt, da tut sich was
Aktion Das Magazin der rechte rand im Gespräch über ein Vierteljahrhundert antifaschistisch-journalistische Arbeit
Interview: Maike Zimmermann
Seit 25 Jahren berichtet der rechte rand, das Magazin von und für AntifaschistInnen, über rechte Parteien, Kameradschaften, Think Tanks oder Webportale, über Magazine und Verlage, Musikbands und Label, über Neonaziaufmärsche und Tagungen. Nun steht die 150. Ausgabe ins Haus. ak sprach mit Ernst und Mark - beide seit vielen Jahren Teil der Redaktion von der rechte rand - über antifaschistische Arbeit, V-Leute und den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) sowie über die Bedeutung von Papier.
Seit 1989 gibt es die Zeitschrift der rechte rand. Wie kam es denn dazu?
Mark: Ab Mitte der 1980er Jahre haben Leute verstärkt Informationen über Nazis und deren Aktivitäten gesammelt. Dadurch entstand die Idee zu einem Zeitungsprojekt.
Ernst: Hintergrund waren vor allem die Wahlerfolge der Republikaner 1989. Aus dem Stegreif erreichten sie sowohl bei den Landtagswahlen in Berlin als auch bei den Wahlen zum Europaparlament über sieben Prozent. Das war schon eine politische Verschiebung, denn zuvor gab es über 20 oder 30 Jahre in den Parlamenten keine Partei rechts von der Union - abgesehen von den kurzen Wahlerfolgen der NPD in den 1960er Jahren. Das war das Signal, um zu sagen: Wir müssen uns diesen ganzen gesellschaftlichen rechten Rand genauer ansehen.
Was ist denn das Besondere an eurer Zeitung?
E.: Auch wenn es in den letzten 25 Jahren natürlich verschiedene Veränderungen gegeben hat, sind es doch vor allem die Kontinuitäten, die den rechten rand ausmachen. Und das heißt: Wir nennen Namen, wir nennen Akteure, wir nennen Organisationen, und das machen wir sehr konkret, wir sagen, wer in der rechten Szene was tut. Dabei haben wir nie nur militante Neonazis beobachtet, sondern auch eine intellektuelle neue Rechte, rechte Tendenzen in der Esoterik- und Ökologiebewegung, Burschenschaften oder rassistische Debatten in der Mitte der Gesellschaft. Das hat sich von der Gründung bis heute durchgezogen: die gesamte Breite der extremen Rechten im Blick zu behalten.
M.: Recherche und Analyse stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit. Es war für uns aber schon bei der Gründung wichtig, dass die Leute, die für die Zeitung arbeiten, die schreiben, die Bilder besorgen, die recherchieren nicht einer bestimmten Szene angehören. Unser gemeinsamer Nenner ist, dass wir antifaschistisch-journalistisch arbeiten wollen, egal wo man sich politisch verortet.
E.: Das stimmt. Wenn man sich die Unterstützer der Gründung anguckt, war da wirklich alles dabei: von der autonomen Antifa über VVN-Leute, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter bis hin zu Grünen wie Jürgen Trittin. Das ist bis heute so - seien es Bürgerbündnisse gegen Rechts, autonome Antifas, die Wissenschaft oder Journalistinnen und Journalisten, die in dem Themenfeld arbeiten und die Fachkompetenz des Heftes anerkennen. Wir haben uns in der Regel aus tagespolitischen Debatten oder Bewegungsdebatten herausgehalten, auch wenn wir natürlich als Redaktion oder als Einzelpersonen klare Standpunkte haben. Das hat uns über die ganzen Jahre nicht nur viel Ärger erspart, sondern sicherlich zur Stabilität des Heftes und der Redaktion beigetragen.
Ihr habt gesagt, ihr nennt Namen, Akteure, Organisationen - gab es da nie Stress mit der rechten Szene?
M.: Das sind natürlich heikle Themen, die wir da in den letzten 150 Ausgaben bearbeitet haben. In Anbetracht dessen muss man sagen: Auf juristischer Ebene wurde extrem wenig gegen uns vorgegangen. Wir werten das als Zeichen dafür, dass wir relativ genau und richtig schreiben. Und dass die Redaktion die Texte sorgfältig kontrolliert.
E.: Wir standen natürlich immer auch unter einer kritischen Beobachtung, zum Beispiel durch militante Neonazis, die unsere Autorinnen und Autoren durchaus das ein oder andere Mal bedroht haben. Das lag nicht unbedingt nur daran, dass sie für uns geschrieben haben, sondern auch daran, dass sie seit vielen Jahren dieses Thema bearbeiten und durch ihre Veröffentlichungen der Neonaziszene großen Ärger bereiten. Auch die Neue Rechte hatte uns immer sehr stark im Blick, es gab Artikel in der Jungen Freiheit oder in ähnlichen Zeitungen. Das hat wiederum was damit zu tun, dass wir seit Aufkommen der Neuen Rechten sehr genau verfolgt und aufgedeckt haben, wer wo schreibt und welche Verbindungen es gibt. Das hat so manche rechte Karriere ver- oder behindert, wenn jemand aus diesem Milieu zum Beispiel versucht hat, doch wieder an der Hochschule oder in der Medienwelt was zu werden.
Und was habt ihr in der jetzt kommenden 150. Ausgabe vor?
E.: Zur 150. Ausgabe und nach 25 Jahren der rechte rand wollen wir genau das tun, was wir am besten können: recherchieren und schreiben. Es wird eine Sondernummer zum Thema V-Leute und Neonaziszene. Gerade vor dem Hintergrund der Aufdeckung des NSU und den Recherchen in diesem Feld ist das Thema hoch aktuell geworden. In den letzten zwei oder drei Jahren sind viele führende Neonazis als V-Leute aufgeflogen. Sie waren in der Regel an zentralen Stellen der Neonaziszene aktiv, haben die Szene mit aufgebaut und dafür auch Mittel aus ihren Honoraren als V-Leute eingesetzt. Tino Brandt aus Thüringen ist da das bekannteste Beispiel. Er sagt von sich selbst - und das ist in gewisser Weise glaubwürdig -, dass er über die ganzen Jahre 200.000 D-Mark aus diesen Geldern in die Szene gesteckt hat. Wir wollen einzelne V-Leute porträtieren, zeigen, wie wichtig sie für die Szene waren, zeigen, wann und wie sie für den Verfassungsschutz gespitzelt haben, und die Frage aufwerfen: Hätte es diese militante Neonaziszene, so wie wir sie heute kennen, auch ohne Verfassungsschutz und ohne V-Leute gegeben?
Hat sich denn bei euch durch das Auffliegen des NSU etwas an eurer politischen oder redaktionellen Arbeit verändert?
M.: Eigentlich nicht. Wir haben im Zusammenhang mit dem kommenden Heft festgestellt: Diese ganzen V-Leute, über die wir jetzt diese 35 Porträts machen, das sind genau die Neonazis, über die wir in den letzten 25 Jahren berichtet haben. All diese Neonazis, die im Zusammenhang mit dem NSU als mögliche Unterstützer auftauchen, diese Szenen, diese Strukturen finden sich in den letzten 150 Ausgaben unseres Heftes, und zwar kontinuierlich. Der Themenkomplex NSU ist natürlich schon sehr bedeutend. Aber in Bezug auf unser Herangehen als Redaktion hat sich dadurch nicht viel verändert.
E.: Wir hatten 2003 ein Schwerpunktheft zum Thema rechter Terror. In dem Heft sind die Namen Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe erwähnt, mit dem Hinweis, nach einer Bombenrazzia 1998 in Jena seien die drei abgetaucht, die Taten, die ihnen vorgeworfen wurden, seien mittlerweile verjährt, nach ihnen werde nicht mehr gefahndet. In dem Schwerpunktheft habe wir sehr Kluges geschrieben. Wir und andere Zeitschriften, Projekte und Antifa-Initiativen haben immer davor gewarnt, dass es eine bewaffnete und militante Rechte gibt, die vor Gewalt, Mord und Totschlag nicht zurückschreckt. Diejenigen, die behauptet haben, das gibt es nicht, waren Leute vom Verfassungsschutz, waren Extremismusforscherinnen und -forscher wie Uwe Backes, Eckhard Jesse, Armin Pfahl-Traughber. Leute, die immer gesagt haben: Nein, so etwas könne man am rechten Rand nicht entdecken, eine braune RAF gebe es nicht. Sowohl die organisierte Antifa als auch die Recherchenetzwerke haben im Gegensatz dazu darauf hingewiesen. Wir haben immer gesagt, da tut sich was, wir haben immer gesagt, sie sammeln Sprengstoff, sie sammeln Waffen, sie setzen die auch ein, und wir haben immer berichtet, dass sie auch konzeptionell über rechten Terror nachdenken und den Gang in den Untergrund planen oder zumindest diskutieren.
Ist das nicht bitter zu merken, dass es den großen Rest der Gesellschaft nicht interessiert hat, was man da über Jahre gesagt hat?
E.: Ganz unbemerkt blieben die Warnungen ja nicht. Im Gegenteil: Gerade die Experten der Extremismustheorien haben unsere Positionen und Analysen immer angegriffen. Selbst jetzt noch, nachdem sie nach dem zufälligen Auffliegen des NSU politisch und analytisch gescheitert sind.
M.: In der Antifa gibt es seitdem die Tendenz zu fragen: Hätten wir noch mehr tun können? Was haben wir alles falsch gemacht? Das ist nicht unser Gefühl dazu. Bei uns geht es nicht nur um die Fakten, sondern vor allem um Einschätzungen: Was denken wir zu dem Thema? Wie kann sich das entwickeln? Und da stellen wir eben fest: Wir waren ganz schön oft mit unseren Einschätzungen ziemlich nah dran.
Das bedruckte Papier stirbt langsam aus, das wirft bei vielen Zeitschriften Fragen auf. Wie seht ihr die Zukunft von der rechte rand? Wird es die Nummer 200 noch als gedruckte Version geben?
M.: Naja, einmal im Jahr reden wir darüber und kommen zu dem Schluss: Nein, wir wollen eine Zeitung sein. Auch wenn es durchaus Schwierigkeiten gibt, zeigt uns die stabile Zahl der Einzelabonnenten: Ja, die wollen eine Zeitung ins Haus bekommen, die man durchblättert, die man irgendwo hinlegen kann, die man wieder in die Hand nimmt, die nicht so schnell in Vergessenheit gerät wie all das, was im Netz steht. Das Internet ist gut als schnelles Nachschlagewerk. Aber für längere Texte, in denen man versucht, Einschätzungen zu treffen, ist weiterhin Papier das beste.
E.: Ich finde, der NSU und die Aufklärung nach dessen Auffliegen ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wichtig sowohl gedrucktes Papier als auch kontinuierliche Arbeit von Archiven sind. Dadurch, dass noch ganz viel Material aus den 1990er Jahren vorhanden war, über die eigenen Zeitschriften und die eigenen Archive, konnte diese ganze Szene rund um den NSU hervorragend aufgearbeitet werden. Das hätte nicht über die Verfassungsschutzberichte funktioniert, nicht über das Internet, wahrscheinlich auch nicht über die klassischen Medienarchive. Dazu brauchte es die Antifa-Archive, dazu brauchte es die Antifa-Zeitungen und die Antifa-Initiativen, die über Jahre gesammelt haben - dazu brauchte es Papier. Ich kann natürlich in zehn Jahren über die Way-Back-Maschinen versuchen, im Internet gewisse Artikel zu finden. Vielleicht finde ich auch das ein oder andere, aber manches finde ich eben definitiv nicht mehr. Alte Hefte kann ich problemlos lesen, bei alten 5-1/4-Floppy-Disks, krieg ich ein Problem. Da hat sich für mich nochmal der Wert gezeigt von klassischem Papier und klassischem Archiv. Der Flüchtigkeit des Internets wirkt ein gedrucktes Medium entgegen.
der rechte rand
Das Magazin von und für AntifaschistInnen erscheint alle zwei Monate und informiert über das gesamte rechte Spektrum sowohl in der Bundesrepublik als auch international. Zur 150. Ausgabe erscheint Anfang Oktober eine Sondernummer zum Thema V-Leute in der Neonaziszene mit 72 anstatt der sonst üblichen 36 Seiten.
-> www.der-rechte-rand.de