Titelseite ak
Linksnet.de
ak bei Diaspora *
ak bei facebook
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 599 / 18.11.2014

Militär statt Demokratie

International Auch nach dem Sturz von Präsident Blaise Compaoré ist in Burkina Faso ein grundlegender Wandel nicht in Sicht

Von Bettina Engels

Siebenundzwanzig Jahre war er an der Macht und dabei stets umstritten: Mit der Absetzung von Präsident Blaise Compaoré endet in Burkina Faso eine Ära. Was kurzzeitig nach einem Erfolg jahrelanger zivilgesellschaftlicher Kämpfe aussah, mündete bereits am nächsten Tag in einem Militärcoup.

Es war lange zu erwarten und kam dann doch überraschend: Am Mittag des 31. Oktober 2014 verkündete Blaise Compaoré in einer Fernsehansprache gezwungenermaßen seinen Rücktritt. In den Stunden zuvor hatten bereits Sprecher des Militärs sowie eines zivilgesellschaftlichen Bündnisses erklärt, Compaoré sei als Präsident abgesetzt. Dem vorangegangen waren spontane Riots und Massendemonstrationen im ganzen Land. Auslöser war ein Antrag auf Verfassungsänderung, der am 21. Oktober angekündigt wurde und Blaise Compaoré eine erneute Kandidatur bei den für 2015 geplanten Präsidentschaftswahlen sowie eine fünfte Amtszeit ermöglichen sollte.

SchülerInnen und Studierende streikten daraufhin am 24. Oktober und legten die Hauptstadt Ouagadougou weitgehend lahm. In der Erwartung weiterer Proteste schloss die Regierung in der Folgewoche die Schulen und Universitäten im ganzen Land. Die Proteste eskalierten am 30. Oktober, als die Verfassungsänderung im Parlament zur Abstimmung stand. Die staatlichen Sicherheitskräfte setzten Tränengas, Schlagstöcke und Schusswaffen gegen DemonstrantInnen ein. Mindestens 30 Menschen wurden bei den Auseinandersetzungen getötet. Etwa 1.500 Protestierende durchbrachen die Polizeikette und besetzten das Parlamentsgebäude sowie wenig später den nationalen Fernsehsender in Ouagadougou. Das Parlament musste seine Sitzung abbrechen und die umstrittene Abstimmung annullieren. Unter dem Druck der Proteste sowie des Militärs löste Präsident Compaoré die Regierung auf und zog am Abend dann seinen Antrag auf Änderung der Verfassung zurück. Sein Amt wollte er zunächst jedoch nicht aufgeben. Dazu zwang ihn das Militär am nächsten Tag.

Der Druck auf Compaoré war immer weiter gewachsen

Compaorés erzwungener Rücktritt war abzusehen. Der Druck auf den Präsidenten war in den letzten 15 Jahren immer weiter gewachsen, die Abstände zwischen den Massenprotesten waren immer kürzer geworden. Compaoré war 1987 durch einen Putsch an die Macht gekommen, im Zuge dessen sein früherer Weggefährte und Vorgänger im Amt, Thomas Sankara - wie Compaoré Offizier der Armee - getötet worden war. Die Umstände von Sankaras Tod sind bis heute nicht vollständig geklärt, und viele werfen Compaoré Verstrickung in die »Affäre Sankara« vor. Proteste insbesondere von Studierenden und Angestellten des öffentlichen Sektors führten in Burkina Faso wie in vielen anderen afrikanischen Staaten in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren zu einer formalen politischen Liberalisierung.

Die nächsten Massenproteste folgten knapp zehn Jahre später. Anlass war die Ermordung des Journalisten Norbert Zongo im Dezember 1998. Zongo, Gründer und Herausgeber der unabhängigen Wochenzeitung L'Indépendant, wurde erschossen in seinem ausgebrannten Auto aufgefunden. Die Regierung erklärte, der Journalist sei bei einem Unfall gestorben. Am nächsten Tag gingen Tausende auf die Straßen und forderten die Aufklärung der Todesumstände und ein Ende der Straflosigkeit. Ein weiteres knappes Jahrzehnt später, Ende Februar 2008, gab es in Burkina Faso im Zuge der weltweiten Nahrungsmittelpreiskrise Hungeraufstände, Generalstreiks und Demonstrationen gegen die hohen Lebenshaltungskosten mit Zehntausenden TeilnehmerInnen.

Die nächste Protestwelle folgte nur drei Jahre später, als der Schüler Justin Zongo (nicht verwandt mit Norbert Zongo) in der Stadt Koudougou starb, nachdem er mehrfach von der Gendarmerie festgenommen worden war. Die darauf folgenden Proteste weiteten sich rasch auf das ganze Land aus. Zwischen März und Mai 2011 meuterten nacheinander unterschiedliche Einheiten des Militärs sowie die Präsidentengarde. Blaise Compaoré musste kurzzeitig aus Ouagadougou fliehen und konnte die bis dahin schwerste Krise in seiner Regierungszeit nur bewältigen, indem er das Kabinett auflöste, einen neuen Premierminister einsetzte und sich den Forderungen der Gewerkschaften und anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen sowie des Militärs gegenüber kompromissbereit zeigte.

Fast monatlich Großdemonstrationen

Schon zu diesem Zeitpunkt war absehbar, dass die Frage seiner möglichen erneuten Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen den nächsten großen Konflikt darstellen würde. Als sich abzeichnete, dass Compaoré eine Verfassungsänderung und eine fünfte Amtszeit anstrebte, mobilisierten parteipolitische und zivilgesellschaftliche Bündnisse gleichermaßen, aber getrennt voneinander, dagegen. Seit Anfang des Jahres 2014 fanden fast monatlich Großdemonstrationen statt. Auch in seiner eigenen Partei, dem regierenden Congrès pour la démocratie et le progrès (CDP), verlor Compaoré zusehends an Rückhalt. Im Januar erklärten 75 zum Teil einflussreiche CDP-PolitikerInnen ihren Austritt aus der Partei.

Angesichts sowohl der Entwicklung der Konflikte in Burkina Faso selbst als auch der Erfahrungen in anderen westafrikanischen Staaten - Senegal, Côte d`Ivoire, Niger - ist es wenig überraschend, dass das Militär vorübergehend die Macht übernommen hat, nachdem Blaise Compaoré zum Rücktritt gezwungen war. Trotzdem sind viele AktivistInnen zivilgesellschaftlicher Gruppen enttäuscht. Das Militär habe die Straßenproteste instrumentalisiert. Der Enthusiasmus über den Sturz Compaorés war kurzzeitig groß. Ende Oktober entlud sich in den Protesten die angestaute Wut über eine als korrupt wahrgenommene politische Elite, eine als Fassade empfundene formale Demokratie und die enorme soziale Ungleichheit in einem der ärmsten Länder der Welt. Compaoré, für viele eine Personalisierung dessen, sollte gehen. Was allerdings konkret nach seinem Sturz geschehen soll, bleibt bis auf Weiteres offen. Für Hoffnungen auf einen grundlegenden Wandel nach den Neuwahlen gibt es derzeit wenig Anlass.

Bettina Engels schrieb in ak 578 über gewerkschaftliche Kämpfe »gegen das teure Leben« in Burkina Faso.