Linke Leerstellen
Rechte Der Umgang mit HoGeSa verweist auf eine perspektivische Lücke in der deutschen Linken
Von Ismail Küpeli
Die Reaktionen im Vorfeld der Demonstration der Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) in Köln am 26. Oktober 2014 schwankten vielfach zwischen Desinteresse, Abwiegeln und für irrelevant Erklären. Trotz Hinweisen seitens besser informierter Antifagruppen nahmen Sicherheitsbehörden und das Potenzial der rechten Mobilisierung nicht ernst.
Insofern war es ein Schock für alle: Für viele Linke, die ebenfalls die rechte Gefahr unterschätzt hatten, aber auch für die Polizei, die völlig unterbesetzt und schlecht vorbereitet die rassistischen Ausschreitungen nicht eindämmen konnte und zum Teil selbst Opfer der Nazigewalt wurde. Kaum überraschend erklärten die gleichen Medien, die im Vorfeld nicht über HoGeSa berichtet hatten, die Ereignisse jetzt zum Skandal.
Inzwischen wird fleißig analysiert, welche Nazikader aus welchen Regionen bei der HoGeSa-Demonstration beteiligt waren, welche Hooligangruppen sich für oder gegen HoGeSa aussprechen und wo die nächsten Aufmärsche zu erwarten sind. Im Folgenden soll es aber nicht um diese sinnvolle Arbeit gehen, sondern um eine perspektivische Lücke der deutschen Linken, die die Schockerfahrung erklären kann.
Es erscheint absurd, 2014 immer noch betonen zu müssen, dass antimuslimischer Rassismus in Deutschland quer durch alle Bevölkerungsschichten und quer durch politische Selbstzuschreibungen wie links, liberal, rechts oder konservativ anzutreffen ist und dass in der Bevölkerung eine hohe Zustimmung für rassistische Äußerungen, die sich gegen MuslimInnen richten, existiert. Als habe in den letzten zehn Jahren keine Debatte stattgefunden, als seien nicht durch zig Studien konkrete Formen und Ausprägungen von antimuslimischem Rassismus analysiert worden.
Es erscheint auch mühselig - aber leider nach wie vor notwendig -, in Erinnerung zu rufen, dass in Deutschland zahlreiche rechte Aufmärsche gegen Moscheen stattfinden, dass Anschläge gegen Moscheen eher eine Randnotiz in der Lokalpresse sind, dass über »Vorfälle« wie etwa das Aufstellen von Schweineköpfen an muslimischen Einrichtungen kaum noch berichtet wird.
Die Ignoranz der Bedeutung des antimuslimischen Rassismus in Deutschland und die Ausblendung der eigenen rassistischen Vorurteile scheint mir der Schlüssel zu sein, um zweierlei erklären zu können: erstens, warum sich so wenige für die Gegenproteste zur HoGeSa-Demo mobilisieren ließen, und zweitens, warum manche sogar eine Haltung entwickelten, die bisweilen darauf hinauslief, dass es gar nicht so schlimm sei, wenn sich Rechte (Hooligans) mit anderen Rechten (Salafisten) prügeln.
Was lässt sich dagegen tun, dass die Analyse des antimuslimischen Rassismus wenig wahrgenommen wird und rassistische Angriffe unbeachtet bleiben? Ein erster notwendiger Schritt scheint zu sein, die antirassistisch interessierten Teile der Linken über dessen Ausmaß und Bedeutung zu informieren - auch wenn dies eine sehr mühselige und undankbare Arbeit ist. Das zentrale Problem für diejenigen, die diese Arbeit machen, ist der ständige Kampf gegen Relativierungen, gegen »derailing« von Debatten (1), gegen das Gegenrechnen (wenn etwa die Taten des Islamischen Staates als Rechtfertigung für »berechtigten« Unmut gegenüber Muslimen aufgeführt werden) und das ständige Ansetzen bei den einfachsten Grundsätzen: Nein, Bürgerrechte gelten auch für konservative und reaktionäre MuslimInnen. Nein, wenn christliche Kirchen in Deutschland anerkannt und unterstützt werden, kann man dies den islamischen Verbänden nicht vorenthalten. Nein, wenn der Islamische Staat in Syrien Menschen hinrichten lässt, ist dies kein Grund, vor hiesigen Moscheen zu demonstrieren.
Wenn erst solche Fragen beantwortet werden müssen, bevor die eigentliche inhaltliche Arbeit beginnen kann, wird die Debatte um antimuslimischen Rassismus in Deutschland nicht vorankommen. Hier tragen diejenigen, die sich als AntirassistInnen verstehen, eine Mitverantwortung dafür, dass der Raum für die inhaltliche Arbeit geschützt wird - indem etwa Wortmeldungen, die die Existenz von antimuslimischem Rassismus in Deutschland bestreiten oder relativieren, deutlich zurückgewiesen werden.
Wesentlich schwieriger als die Information über den gesamtgesellschaftlich verbreiteten antimuslimischen Rassismus ist die Reflexion und Selbstkritik innerhalb der deutschen Linken darüber, inwiefern dieser auch innerhalb der eigenen Szene anzutreffen ist und wo mögliche offene Flanken und blinde Flecken liegen. Zentrale Probleme sind hierbei allerdings gar nicht spezifisch für antimuslimischen Rassismus, sondern betreffen das generelle Verhältnis zwischen der biodeutschen Linken und den Anderen (unabhängig von der konkreten Benennung, ob »AusländerIn«,»MigrantIn« oder »nichtdeutsch«), insbesondere das Verhältnis zur »nichtdeutschen« Linken.
Nach wie vor wähnt sich die biodeutsche Linke in einer Position, aus der heraus sie die gesellschaftlichen Verhältnisse beobachten und die richtigen politischen Organisationsformen und Forderungen aufstellen kann. Der Satz »Wir brauchen euren Mut, wie ihr unsere Klugheit braucht«, gerichtet von deutschen Autonomen an die türkisch-kurdische Antifasist Gençlik, ist über 20 Jahre alt - die Haltung dahinter ist jedoch leider nicht gänzlich verschwunden. Der Anspruch auf politische Führungskraft und die Haltung, die »Nichtdeutschen« als bloßes Mobilisierungspotenzial anzusehen, ist immer noch oft anzutreffen.
Erst wenn dieses Verhältnis bewusstgemacht und zurückgewiesen wird, kann eine nachhaltige Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus innerhalb der deutschen Linken beginnen. Bis dahin wird es kaum zu vermeiden sein, dass beim nächsten rechten Aufmarsch gegen Moscheen, beim nächsten Sarrazin-Buch, beim nächsten antimuslimischen Medienhype wieder darüber diskutiert wird, ob und wie sich die deutsche Linke dazu verhalten wird - nur um nach kurzer Zeit die Debatte wieder ad acta zu legen.
Ismail Küpeli ist Politikwissenschaftler und Aktivist und berichtete zuletzt in ak 597 über die türkische Unterstützung für den Islamischen Staat.
Anmerkung:
1) Beim »Derailing« werden Positionen als unwichtig abgetan, um eine Diskussion vom eigentlichen Thema abzulenken.