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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 599 / 18.11.2014

Die Erfindung der Klimawandelliteratur

Diskussion Die globale Erwärmung stellt die fiktionale Literatur und die Politik vor enorme Herausforderungen

Von Benjamin Kunkel

Wie soll man über das schreiben, was wir diesem Planeten antun? Welches Genre soll man wählen, welche Form? Ich bin an den Rändern einer Kleinstadt im Nordwesten Colorados aufgewachsen. Dort haben Fichten- und Kiefernkäfer in den letzten Jahren Wälder in den gesamten Rocky Mountains verwüstet und grüne Hänge in ein totes Kastanienbraun verwandelt. Selbstverständlich haben Käfer immer schon Wälder attackiert und die Bäume dort getötet, ebenso wie der Atlantik immer schon die Geburtsstätte von Orkanen war und Kalifornien immer schon von der Dürre leer gefegt wurde. Der Unterschied - wir haben ihm den nichtssagenden Namen »Klimawandel« gegeben - liegt darin, mit welcher Häufigkeit und Intensität diese Ereignisse mittlerweile auftreten. Eine Studie der University of Colorado von 2013 fand heraus, dass die Dürre und eine höhere Oberflächentemperatur des Meerwassers die beste Erklärung dafür sind, warum die Bäume anfälliger für Käfer geworden sind. Und wärmeres und trockeneres Wetter ist etwas, das in den kommenden Jahrzehnten auf jeden Fall häufiger auf den amerikanischen Westen zukommen wird. Bis dahin sehe ich auf einer Fahrt durch die Rocky Mountains wie sich große, strotzende Waldstücke aus lebendigen, grünen oder blauen Nadelbäumen mit Gebieten voller morscher, toter Bäume abwechseln.

Dann springen meine Gedanken hin und her zwischen Erinnerung, Evidenz und Erwartung: die Landschaft meiner Kindheit, die Landschaft, die ich heute sehe, die Landschaft, wie ich sie für die Zukunft erwarte. Diese Erfahrung ist ein wenig wie das Zaudern bei der Entscheidung zwischen unterschiedlichen literarischen Genres. Es gibt den Erinnerungsroman (Könnte man »Auf der Suche nach der Verlorenen Zeit« nicht auch als »Auf der Suche nach dem verlorenen Wetter« übersetzen, falls man es nicht besser wüsste?); es gibt die Satire der Gegenwart, komplett mit einem händeringenden Nachsinnen über die Umwelt vom Fahrersitz eines nicht-elektrischen Autos; und es gibt die Romane von Science-Fiction - Klimawissenschafts-Science-Fiction -, die in einer nicht allzu fernen Zukunft angesiedelt ist, in welcher die zapfentragenden Wälder des Westens nicht mehr existieren.

Lange Lichtklingen

Der Klimawandel hat viele gute journalistische Texte hervorgebracht, aber er stellt die fiktionale Literatur wie auch die Politik vor enorme Herausforderungen und das aus den gleichen Gründen. Die schlimmsten Effekte sind noch nicht spürbar, und auch wenn die globale Erderwärmung immer verdächtigt wird, einen Orkan oder eine Dürre verursacht zu haben, hinterlässt sie am Ort des Desasters niemals irgendwelche Fingerabdrücke. Wie Bürger aus Fleisch und Blut haben auch fiktionale Charaktere dringendere Sorgen als sich um den Zustand des Klimas in zwanzig Jahren zu kümmern. Gleichzeitig ist es nicht leicht für Menschen, egal ob real oder fiktional, ein enger definiertes moralisches Verhältnis zu diesem Problem aufzubauen. Die Manager von Ölfirmen mögen besonders schuldig sein, Umweltaktivisten besonders tugendhaft. Der Rest, also wir in den reichen Ländern, sind in einem Maße schuldig, dass wir auch gleich wieder unschuldig sein könnten. Eine Krise im Zentrum unseres kollektiven Lebens existiert an den Rändern unseres individuellen Bewusstseins - als ein geflüstertes Grauen oder als das Rascheln des persönlichen Verwickeltseins. Das wichtigste Ereignis unserer zeitgenössischen Zivilisation ist niemals auch das wichtigste Ereignis des jeweiligen Tages. Wir können es uns nicht als ein zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreffendes Ereignis vorstellen, wie etwa den »luftübertragenen toxischen Vorfall« aus Don DeLillos »Weißes Rauschen« oder den Atomkrieg, der in Cormac McCarthys »Die Straße« als eine »lange Lichtklinge, gefolgt von einer Reihe leiser Erschütterungen« erinnert wird.

Vielleicht hat der Klimawandel aus diesem Grunde noch keine literarischen Spuren hinterlassen, die seinem historischen Gewicht angemessen wären. Sicher, eine Art ökologischer Angstzustand ist Bestandteil der Atmosphäre vieler realistischer Romane und ein wärmeres Wetter, das verrückt spielt, ist die düstere Zierde vieler Zukunftsromane, deren größte Katastrophe jedoch durch Genmanipulation, Peak Oil, eine Seuche oder den Klassenkampf verursacht wurde. Selbst Romanschriftsteller, die man für gewöhnlich nicht als Science-Fiction-AutorInnen betrachten würde, haben eine Handvoll Werke in der versunkenen Welt von Morgen spielen lassen. Aber nur sehr wenige Schriftsteller haben sich mit der zeitgenössischen Erfahrung der Erderwärmung in direkter und fokussierter Art und Weise auseinandergesetzt.

Das beste Werk der - nennen wir sie der Einfachheit halber - Klimawandelliteratur, das ich gelesen habe, ist Ben Lerners aktueller Roman »10:04«. Hier droht die Bedeutung der alltäglichen Dinge - gelesene Bücher oder der Versuch zwischenmenschliche Beziehungen aufrechtzuerhalten - im Angesicht dessen zu verschwinden, was der Erzähler als »eine Zukunft, die ich mir mehr und mehr unter dem Meeresspiegel vorstelle«, beschreibt. Am Ende des Romans ist diese Zukunft unter dem Meeresspiegel dann Realität geworden, zumindest für eine kurze Zeit. Sie kommt in der Form des Hurrikans Sandy, der im Herbst 2012 New York ramponierte und die tiefer gelegenen Stadtteile überflutete. Aber selbst in diesem Moment findet Lerners Erzähler, dessen Apartment verschont blieb, dass er nicht so richtig Teil dieser Zukunft ist. »Wieder einmal ist kein historisch bedeutsamer Sturm aufgezogen«, sagt er und fügt hinzu:

»Dabei war er ja aufgezogen, nur nicht für uns. Die U-Bahn und die Straßentunnel in der Downtown Manhattans hatten sich mit Wasser gefüllt und dabei wer weiß wie viele Ratten ertrinken lassen; ich konnte nicht anders als mir ihre Schreie vorzustellen. Südlich der 39. Straße sowie in Red Hook, Coney Island, auf den Rockaways sowie in einem Großteil von Staten Island waren Strom- und Wasserversorgung zusammengebrochen. Krankenhäuser waren evakuiert worden, nachdem dort die Notfallstromaggregate ausgefallen waren; neu geborene Babies und Patienten, die sich gerade von einer Herzoperation erholten, wurden behutsam ein paar Treppen heruntergetragen und mit Krankenwagen nach Uptown transportiert, wo der Sturm niemals stattgefunden hatte.«

Dieser Abschnitt ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt, dass die gegenwärtige Erfahrung des Klimawandels sich bislang dem Zugriff der Literatur entzieht. Lerner kann zwar einen Roman schreiben, der in der Gegenwart spielt und der das Thema frontal angeht. Aber er muss dafür essayistisch und journalistisch schreiben. Der Erzähler verdichtet Nachrichten in seinem Kopf; weder hilft er bei der Evakuierung eines Krankenhauses, noch wird er selbst evakuiert. Und selbst dafür benötigt er den schlimmsten Sturm, der New York City in diesem Jahrhundert heimgesucht hat. Es ist deshalb so schwer, über den Klimawandel zu schreiben, weil er für die meisten von uns lediglich als etwas existiert, das ein anderes Viertel, eine andere Stadt als die eigene oder die Zukunft betrifft.

Eine in Ungnade gefallene Technik

Vor ein paar Jahren verbrachte ich ein paar Wochen im Oktober in einer Holzhütte in Colorado, die gleichzeitig die Heimat einer ungeheuren Anzahl schwarzer Fliegen war. (Zufälligerweise war die Hütte aus von Käfern abgetötetem Fichtenholz gebaut, weil dieses Holz im Moment viel günstiger erhältlich ist als in der Zeit, bevor die Käfer so viele Bäume gefällt haben.) Das Summen der Fliegen hielt meinen ganzen Aufenthalt über an, trotz meiner Fliegen-Zerquetsch-Kampagne. Einige Zeit, nachdem ich die Hütte verlassen hatte, kam mir der Gedanke, dass das Summen der Fliegen, das ich den ganzen Tag im Ohr hatte, das aber niemals in den Vordergrund rückte, meinem Alltagsbewusstsein des Klimawandels nicht unähnlich war. Eine Ahnung davon, was wir unserem Planeten antun, begleitet mich die ganze Zeit, aber meistens als eine Form der Ablenkung, ein morbides statisches Rauschen. Man versucht, nicht hinzuhören; aber manchmal kann man einfach nicht anders. Dieses oder Ähnliches mag mir durch den Kopf geschossen sein, als mir die Idee für ein Theaterstück kam. Vielleicht sagt es etwas über die Schwierigkeit aus, über den Klimawandel zu schreiben, dass ich dem Problem nicht anders begegnen konnte als die in Ungnade gefallenen Techniken der Allegorie und das veraltete Medium des Theaters zu nutzen.

Ein großstädtisches Ehepaar lebt in einem Apartment, in dem es vor Fliegen nur so wimmelt. Als das Theaterstück beginnt, haben die beiden gerade Kammerjäger engagiert, um diese Insekten - diese Reizmittel - loszuwerden. Das war die explizite Prämisse für das Theaterstück. Sie impliziert, dass die Fliegen nicht nur dieses Gebäude infiziert haben, sondern die gesamte Welt und dass ihre Anwesenheit ein Symptom des Klimawandels ist - was dem Publikum nach und nach auffällt. Die Bemühungen des Paars, das Ungeziefer zu bekämpfen, scheitern und die Fliegen kehren zurück. Das Paar verfällt wieder in seinen alten Trott, manchmal klatscht es Fliegen und manchmal versucht es, die kleine Präsenz dieses unzweifelhaft größten Problems der Menschheit zu ignorieren. Ich mochte die Vorstellung, dass es auf der Bühne keine Fliegen geben würde, weil es sich ja um ein Theaterstück handelt. Die Realität, die es uns verkündet, wäre damit - in einem anderen Sinne - irreal. Wir sind uns des Klimawandels bewusst und dann auch wieder nicht.

Es ist ein wenig peinlich, im 21. Jahrhundert noch eine Allegorie zu produzieren, egal, um welches Thema es sich handelt. Die Technik der Allegorie wirkt antiquiert und naiv zugleich. Aber mir gelang es, das Stück zu schreiben und zu editieren, weil mir der Klimawandel als eine dermaßen überwältigende Entwicklung erschien, deren Konsequenzen oftmals lediglich der Vorstellungskraft zur Verfügung stehen, dass ich damit entweder allegorisch umgehen würde oder gar nicht. Und so redete ich mir ein, dass ich ein Theaterstück für die Bühne schreiben müsste, anstatt einen Roman oder ein Drehbuch. Das Theater, das auf einige wenige Schauspieler und eine Handvoll Requisiten beschränkt ist, ist das natürliche Medium für die Allegorie: Die ihm inhärente Armut der technischen Mittel gestattet es den Symbolen und Ideen, dass sie die Abstraktionen bleiben, die sie nunmal sind, selbst wenn ihnen das Theater eine gewisse unsichtbare Gegenständlichkeit erlaubt. Der Filmemacher oder der Schriftsteller ist dagegen immer versucht, genau die Dinge visuell darzustellen oder in ihren physischen Eigenschaften zu beschreiben, deren grundlegende Eigenschaft es ist, dass sie unsere Fähigkeit, sie darzustellen, überschreiten.

Nichts ist lustiger als das Unglück

Aber war mein Theaterstück, dem ich den Titel »Buzz« gab, wirklich eine Allegorie auf den Klimawandel? Während des Schreibens vergaß ich häufig meine Truppe aus unsichtbaren Fliegen, genau, wie es die Charaktere auch tun. An anderen Tagen hatte ich den Eindruck, dass sie eher ewig-gültige menschliche Probleme wie das Altern, Enttäuschungen oder körperlichen Verfall darstellten. Die Bedeutung meines Hochleistungssymbolismus hatte etwas Lückenhaftes an sich, ebenso die Frage, ob die Fliegen überhaupt etwas bezeichnen sollten. Aber ich dachte auch, dass dies vielleicht dem Stück eher gut tun würde. Objektiv gesehen steht fast alles, was wir tun, in einer Beziehung zum Klimawandel; subjektiv dagegen fast gar nichts - außer dass die objektive Situation immer mal wieder zu einer subjektiven Wahrheit wird.

Schließlich wurde mir klar, dass ich eher eine Komödie als eine Allegorie schreiben müsste. Das Ausmaß der Krise des Planeten lässt uns als Individuen winzig klein werden und hat uns bislang als BürgerIn ständig bezwungen. Das bedeutete, dass die Bemühungen eines einzelnen Haushalts, der sich mit dem Problem des Klimawandels konfrontiert sieht, nur wie ein Witz wirken kann. »Nichts ist lustiger als das Unglück«, sagt Nell in Becketts »Endspiel« zu Nagg. Die Hilflosigkeit ist eine Form von Unglück und mein unglückliches Theaterstück über den Niedergang unseres Klimas hatte zumindest den Verdienst, dass ich darüber mehr lachen konnte als über alles andere, was ich bislang geschrieben hatte. Es gibt das Gerücht, dass Völker mit besonders unheilvoller Geschichte - die Jüdinnen und Juden oder die IrInnen - über eine besondere Empfindsamkeit für Komik verfügen. Falls dem so ist, dann gestattet es der Klimawandel den Schriftstellern aller Nationen, dass sie zu Komödianten werden - selbst dann, wenn es ihnen nicht an tragischem Material mangelt.

Von Benjamin Kunkel erschien gerade bei Suhrkamp »Utopie oder Untergang. Ein Wegweiser für die gegenwärtige Krise«. Sein Theaterstück »Buzz« läuft seit Ende Oktober 2014 in New York.

Übersetzung: Christian Werthschulte

Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung von The New Yorker, wo der Text am 18.10.2014 erschien.

Anmerkung:

1) Anm. d. Übersetzers: »Buzz« meint einerseits das Summen der Fliegen, andererseits ist es umgangssprachlich für »Gerüchte«, die sich langsam zu Nachrichten verdichten.

Benjamin Kunkel

ist zusammen mit Mark Greif u.a. Mitbegründer Kulturzeitschrift n+1 und veröffentlichte 2005 den Roman »Unentschlossen«, der ihn auch in Deutschland bekannt machte. Seine Jugend, so Kunkel, habe er großenteils während des »Endes der Geschichte« (Fukuyama) verbracht - das nun selbst an sein Ende zu kommen scheint.