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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 599 / 18.11.2014

Die Bahnangebote aus der Spaltungsküche

Wirtschaft & Soziales Der Arbeitskonflikt zwischen GDL und Deutscher Bahn soll entpolitisiert und ein Gewerkschaftsrepräsentant demontiert werden

Von Stefanie Hürtgen

Nein, die Medienhetze gegen die Gewerkschaft Deutscher LokomotivführerInnen (GDL), ihre Streiks und insbesondere gegen ihren Vorsitzenden Claus Weselsky ist keine Kleinigkeit. Nicht von ungefähr ruft der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) zur Rückkehr zu »fairer« Berichterstattung auf. Die Beschimpfungen von Weselsky als »Rumpelstilzchen«, »Egomane« oder »Streik-Rambo« sind das eine; die Veröffentlichung von Telefonnummer, Wohnhausfotos und von Aufrufen, den Volkszorn über stillstehende Bahnen direkt bei Weselsky persönlich abzuladen (so die Law-and-order-Zeitungen Focus und Bild), das andere.

Weiter geht es mit der taz, die Weselsky wegen seines Schnurrbartes und seines sächsischen Akzents als »Witzfigur« bezeichnet, allerdings eine, die als »harter Hund« und »coole Sau« mit einer »gewissen Arschlochhaftigkeit« auftrete, ganz wie Hartmut Mehdorn (lange Zeit Bahnchef und Durchpeitscher von deren Privatisierung). Zwei Ego-Männer, so endet der Kommentar.

Nehmen wir, um abzukürzen, nur noch schnell die Süddeutsche Zeitung. Hier wird der Tarifkonflikt zur Frage der von Weselsky persönlich angestrebten »Herrschaft über Bahnreisende«.

Infragestellung des Streikrechts

Und nach vorzeitiger Streikbeendigung wird in der Ausgabe vom 8. November kolportiert, Weselsky hätte sich doch eigentlich - unbemerkt von Öffentlichkeit und eigener Gewerkschaft und mitten im Streikgetümmel - schon ganz prima mit den Bahnvorständen verständigt gehabt, es hätte (sagt ein Bahnvorstand, sagt die Süddeutsche) eine klare (heimliche) Zusage zu einem Kompromisspapier gegeben - geplatzt in letzter Minute.

Kein Zweifel, hier soll ein Konflikt aufs Äußerste inhaltlich entleert und entpolitisiert, und hier soll ein Gewerkschaftsrepräsentant demontiert werden. Stellt sich die Frage: Warum? Grund(ge)sätzlich geht es darum, ob man sich gegen wachsende soziale Zumutungen wehren darf. Ob, wie es im Referentenentwurf aus dem Ministerium von Andrea Nahles (SPD) heißt, die Gewerkschaften die »im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens« haben sollen; oder ob - wie es bislang im Grundgesetz steht - Koalitionsfreiheit der »Wahrung und Förderung« von Arbeitsbedingungen dient.

Die erste, die Nahles-Variante kann dabei durchaus ein gewisses Maß an Streiktoleranz beinhalten, zum Beispiel gegenüber bemitleidenswerten Amazon-Beschäftigten, wenn sich deren Gebaren in Grenzen hält und nicht etwa Machtpotenzial aufbaut. Umgekehrt ist die nahezu durchgängige Dethematisierung der zentralen gewerkschaftspolitischen Hintergründe und der konkreten Arbeitsbedingungen bei der Bahn Teil einer Machtauseinandersetzung, deren Ausgang Weichen für künftige soziale Konflikte stellen wird. Das Geschrei über das ausgebrochene »Chaos« in diesem Land ersetzt dabei einstweilen (noch?) eine direkte Infragestellung des geltenden Streikrechts.

Im Nebel der medialen Knallkörper gehen viele Fakten unter, darum noch drei zentrale Punkte, es gibt viele weitere. Erstens: Die Lohn- und Arbeitsbedingungen bei der Bahn sind insgesamt bemerkenswert schlecht. Der Verdienst liegt nach zehn Jahren Berufstätigkeit bei etwa 1.500 Euro für ZugbegleiterInnen und bei etwa 3.000 Euro brutto bei LokführerInnen (oft allerdings deutlich darunter). Das Einkommen der »Bordgastronomen« ist umsatzabhängig: Man versteht jetzt besser die nervtötenden Lautsprecheranpreisungen der neuesten Tomatensuppe.

Dennoch geht es keineswegs nur um Geld, sondern auch um die extrem flexibilisierten Arbeitszeiten: Die Schichten sind lang (zwölf Stunden oder knapp darunter), folgen kaum irgendeinem Rhythmus, werden gern auch mal kurzfristig von heute auf übermorgen verlangt, wo eigentlich ein freier Tag gewesen wäre - und nach Schichtende gibt es keine Garantie, in der Heimatstadt zu sein. Man ist dort, wo der Zug endet, übernachtet in von der Bahn bezahlten Hotels (diese Art »Freizeit« wird allerdings nicht vergütet), um gleich wieder sehr früh zur nächsten Schicht anzutreten.

GDL strebt Tarifeinheit an

Zweitens organisiert die GDL nach eigenen Angaben mehr als 75 Prozent aller etwa 25.000 LokführerInnen. Hinzu kommen die seit 2008 beigetretenen ZugbegleiterInnen, etwa 30 Prozent der insgesamt 11.000. Ohne die LokführerInnen, das wird klar artikuliert, »können wir (Zugbegleiter) nicht streiken«. Dann fährt die Bahn eben ohne sie. Gegen dieses Solidaritätsprinzip wird als unlautere Machtausweitung von allen Seiten Front gemacht.

Viele selbsternannte ideelle SchlichterInnen, zum Beispiel Klaus von Dohnanyi (SPD), aber auch DGB-GewerkschafterInnen, raten der Bahn, (nur!) den LokführerInnen »ein richtig gutes Angebot« zu machen, das kaum abgelehnt werden könne: Dann verliere die GDL dort den Rückhalt für ihr Ansinnen, auch die anderen zu organisieren! Das nennt man Spaltungstaktik.

Drittens: Der schöne Begriff »Tarifeinheit« meint pro Betrieb einen Tarifvertrag, nicht einen Tarif! Laut Solistreikzeitung gibt es zurzeit bei der Bahn etwa 900 Unternehmen und Subunternehmen im In- und Ausland. (1) Die GDL wurde vor allem auch dadurch stark, dass sie die damals noch von der Gewerkschaft transnet ausgehandelten »Tarifverträge zweiter Klasse« für LokführerInnen bekämpfte.

In der unbedingt sehenswerten Talkshow Anne Will (2) erklärte Claus Weselsky, dass es das »Prinzip« der GDL sei, gleiche Tarifbedingungen durchzusetzen, auch zwischen Deutscher Bahn und Privatanbietern, und dass es gelang, einige der Bahnausgründungen zur Auflösung zu bringen, sprich: wieder in den Konzern zu integrieren. Tariflich strebt mithin die GDL, und nicht die Bahn, »Einheit« an. Gegen den medialen Shitstorm wird auch in Zukunft genaues Hinhören und Hinsehen wichtig sein.

Stefanie Hürtgen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main.

Anmerkungen:

1) Die Streikzeitung gibt es unter labournet.de.

2) Noch zwei Monate in der ARD-Mediathek online zugänglich.