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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 599 / 18.11.2014

Leben und leben lassen

Aktion Der Film »Buy Buy St. Pauli« dokumentiert den Kampf um die Hamburger Esso-Häuser

Von Maike Zimmermann

Sie ist dafür verantwortlich, dass ich im zarten Alter von 15 eine nachhaltige Abneigung gegen Ouzo entwickelt habe: die Esso-Tankstelle auf der Hamburger Reeperbahn. Über viele Jahre war sie mehr als nur eine Versorgungsstelle für Kraftfahrzeuge: Sie hat Leute wie mich begleitet - erst als Rettung für chronisch abgebrannte, feierwillige Jugendliche, dann als Bewohnerin des Stadtteils, wenn nach Ladenschluss zu Hause etwas fehlte. Als etwas nerviges Kultobjekt für KieztouristInnen wurde sie zur bekanntesten Tankstelle der Welt. Und jetzt ist sie nicht mehr da. Mit ihr ist ein ganzes Stück St. Pauli verschwunden: das Molotow, das mich als 17-Jährige frecherweise des nachts nicht reinlassen wollte und in dem ich später viele tolle Konzerte erleben durfte; daneben viele klassische Kiezläden, die größtenteils seit Jahrzehnten hier ansässig waren - der Sexshop Sexy Heaven, der Planet Pauli Pub mit dazugehörigem Club in der ersten Etage, Das Herz von St. Pauli, der Hörsaal, der Western-Laden Hundertmark, das Auto-Hotel »Am Hafen« mit der Gaststätte Sudhaus.

Neben dem zweigeschossigen Gewerberiegel bot das 6.190 Quadratmeter große Areal mit seinen zwei Hochhäusern Platz für 110 Wohnungen, darunter eine Tiefgarage, auf deren Dach zwischen den beiden Häusern eine Grünfläche. Der in den 1960er Jahren moderne und funktionale Neubau galt vielen in der letzten Zeit seines Bestehens als Schandfleck, als heruntergekommenes Stück Beton. Sicherlich lässt sich darüber streiten, ob bei den Esso-Häusern das Prädikat »hübsch« angemessen war. Aber darum geht es nicht. Denn: Hinter der brüchigen Fassade und den abgestützten Balkons verbarg sich mehr - ein Symbol für Widerstand von unten im Stadtteil.

Ende der 1950er Jahre pachtete Ernst Schütze das Grundstück von der Stadt und baute die Esso-Häuser. Die Familie Schütze kaufte dann 1997 das Gelände von der Stadt für einen Schnäppchenpreis von umgerechnet fünf Millionen Euro. Der Vorwurf der BewohnerInnen an den Eigentümer: Er ließ die Gebäude verkommen und scherte sich über Jahre einen feuchten Kehricht um die Instandhaltung.

2009 wurde das gesamte Areal für vermutlich 18,9 Millionen Euro an die Bayerische Hausbau GmbH verkauft. Die machte von Anfang an kein Geheimnis aus ihren Abriss- und Neubauplänen. »Wir werden unsere Projekte nach betriebswirtschaftlichen Kennziffern und nicht nach gesellschaftspolitischen Utopien ausrichten«, so deren Sprecher Bernhard Taubenberger.

Den schmierigen Anzugtyp mit dem bayerischen Dialekt hätte man sich nicht besser ausdenken können. Aber er ist echt. »Wir wussten schon, worauf wir uns einlassen«, sagt Taubenberger in dem Dokumentarfilm »buy buy st. pauli«. Aber dass es diese Dimensionen annehmen würde, damit habe man nicht gerechnet.

Denn wie sagt man so schön? Sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Als bei einigen BewohnerInnen die Aufforderung ins Haus flatterte, man möge neue befristete Mietverträge unterschreiben, bekam der Verein Mieter helfen Mietern Wind davon und benachrichtigte die GWA St. Pauli, eine soziale Einrichtung im Viertel. Gemeinsam beriefen sie eine Mieterversammlung ein. Das Ergebnis: KeineR der BewohnerInnen unterschrieb, stattdessen war die Initiative Esso-Häuser geboren.

Keine moralische Anklage

Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg begleiten deren Kampf in »buy buy st. pauli« bis zu dem Abriss der Häuser am Spielbudenplatz. Es ist ein Film, dessen Ende man bereits am Anfang kennt. Das macht ihn aber nicht weniger spannend, ganz im Gegenteil. Mieterversammlungen, Protestszenen, Demonstrationen und Aktionen wechseln sich ab mit einer ganz eigenen Art von Porträts der Menschen aus den Häusern. Und sie sind geschickt ausgesucht. Es ist nur eine gute Handvoll der vielen MieterInnen, die einem durch den Film immer wieder begegnen. Die meisten von ihnen wohnten ihr ganzes Leben auf St. Pauli, viele sind sowas wie Kiez-RenterInnen. Sie lebten von der Reeperbahn, an der Reeperbahn, und sie hatten eines gemeinsam: Sie wollten hier nicht weg.

Die Verbundenheit mit den Esso-Häusern und mit dem Kiez schweißt sie zusammen. Leben und leben lassen, das ist die Grundformel des Viertels. Geld verprassen, Touris abzocken, einen auf dicke Hose machen - alles kein Problem. Auf St. Pauli wohnen bei weitem nicht nur linke AktivistInnen und KapitalismusgegnerInnen. Aber wenn's ans Eingemachte geht, dann wächst im Stadtteil die Solidarität.

Die Kamera nimmt uns mit in die Wohnungen dieser St. Paulianer Urgesteine, wir dürfen mit in die gute Stube, sehen eine Menge Tinnef, hören Geschichten aus der weiten Welt und Erinnerungen an ein St. Pauli, wie es früher einmal war. Mit den kleinen dunklen Spelunken, dem Hafen und der Brauerei - und den »Mädchen mit ihren Handtaschen«, wie es Bewohnerin Evi Madejski ausdrückt. Das lässt einen schmunzeln, es ist anrührend und vor allem: Es ist authentisch.

Eine Sorge schwingt durch alle diese Gespräche: Dass dies ein weiterer großer Schritt hin ist zu dem Ende von einem St. Pauli wie es einmal war, hin zu einem schicken teuren Pflaster, einem modernen Wohn- und Amüsierviertel, das nicht zu unterscheiden ist von den vielen anderen Amüsiervierteln der kapitalistischen Welt.

Trotzdem kommt »buy buy st. pauli« ohne moralinsaure Anklage aus. Denn das, was wir sehen, spricht für sich. Andy Grote, der versucht, sich als Hamburger Jung aus dem Stadtteil zu inszenieren, und doch nur ein vom SPD-Senat eingesetzter Bezirksamtsleiter ist. »Natürlich können wir sagen: Dann müssen wir das vergesellschaften und enteignen«, sagt er auf einer Bürgerversammlung. »Ist alles in Ordnung, können wir nach der Revolution alles machen.« Aber vorher müsse man sich an die jetzt geltenden Gesetze halten. Ja, der Andy, der kennt die Revoluzzer aus dem Viertel. Aber da kann der Andy so viel in Richtung der StadtteilaktivistInnen zwinkern wie er will: Diesen Spagat kriegt er nicht hin.

Und so möchte man ihm am liebsten rechts und links eine schallern, als er eine Woche nach der Räumung der Esso-Häuser auf der Weihnachtsfeier für die ehemaligen BewohnerInnen eben diesen seinen Respekt ausspricht und verkündet, man habe Geschenktüten für alle vorbereitet, Duschgel und Dinge des täglichen Bedarfs und einen Gutschein für ein Kaufhaus.

Aber was war denn eigentlich passiert? Nach drei Jahren Diskussionen, nach verschiedenen Gutachten, nach einer Fülle an Aktionen für die Esso-Häuser und Vorschlägen, wie man die Gebäude sanieren kann und eben nicht abreißen muss, wurden im Dezember 2013 Fakten geschaffen. Ich schlug mir gerade die Nacht in einer dieser Kiez-Kaschemmen um die Ohren, als die Nachricht wie ein Lauffeuer im Viertel die Runde machte: Die Esso-Häuser werden geräumt.

BewohnerInnen hatten der Polizei gemeldet, dass das Gebäude gewackelt habe. Noch in der Nacht wird evakuiert, die BewohnerInnen wissen zu diesem Zeitpunkt nicht, ob sie nochmal zurück dürfen, um ihre Sachen zu holen.

Sie dürfen. Aber ob sie irgendwann in das neugebaute Areal zurück können, ist ungewiss. Damit sich die Investition für die Bayerische Hausbau lohnt, muss sie die Bebauung massiv verdichten. Es sieht so aus, als würde sie dabei nicht den in Hamburg geltenden Drittelmix - ein Drittel sozial geförderter Wohnraum, ein Drittel frei finanzierte Mietwohnungen, ein Drittel Eigentumswohnungen - durchsetzen können. Die Initiative Esso-Häuser fordert 100 Prozent sozial geförderte Wohnungen, es wird wohl wenn überhaupt auf 50 Prozent geförderte und 50 Prozent frei finanzierte Mietwohnungen hinauslaufen.

Und ob sich das die ehemaligen BewohnerInnen und auch die Gewerbetreibenden dann noch leisten können? Man weiß es nicht. Aber auch wenn statt der Esso-Häuser nun eine riesige Baulücke an der Reeperbahn klafft: Die ehemaligen BewohnerInnen haben noch nicht aufgegeben. Eine PlanBude ist entstanden, damit die Menschen aus dem Viertel ihre Ideen in die Planungen einbringen können. Ob diese Ideen dann wirklich umgesetzt werden, ist ungewiss - es könnte auch einfach eine »Beteiligungsshow« werden, wie es Ted Gaier nennt, Anwohner und Musiker bei den Goldenen Zitronen. Das hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel Kampfeswillen die St. PaulianerInnen aufbringen werden.

Ob nun Show oder echte Beteiligung - ich werde wohl mal rübergehen in die PlanBude, mal sehen, was so geht. Denn noch ist nichts entschieden.

Irene Bude, Steffen Jörg und Olaf Sobczak: buy buy st. pauli, Deutschland 2014, ca. 90 Min.

Der Film läuft im Dezember an mehreren Orten in Hamburg. Termine und weitere Infos gibt es unter www.buybuy-stpauli.de.