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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 599 / 18.11.2014

Die Interventionistische Linke entwickelt sich einfach weiter

Aktion Vier AktivistInnen geben Auskunft über die »IL im Aufbruch«

Gut Ding will Weile haben, heißt es. So sah es wohl auch die Interventionistische Linke (IL). In einem mehrjährigen Diskussionsprozess hat sie sich über die nächsten Schritte in ihrem Organisierungsprozess verständigt. »Damit wird nach der ersten Phase des von einzelnen AktivistInnen getragenen Beratungstreffens (1999-2004) und der verstärkten Einbindung undogmatisch linksradikaler Gruppen (2004-2013) nun eine dritte Phase als lokal verankerte, überregionale Organisierung und Organisation eingeleitet«, gab sie bekannt. Wir haben nachgefragt, was damit genau gemeint ist.

Interview: Gabi Bauer und Martin Beck

Was bedeutet das Zwischenstandspapier (1) für die IL? Welche Erwartungen sind damit verbunden? Und überhaupt, was hat sich die »IL im Aufbruch« alles vorgenommen? Auskunft darüber geben Lea von der IL Berlin (Avanti), Lucie von der IL Tübingen, Michael von der IL Münster und Niels von Libertad!

Lea, wir haben mit dir bereits in der letzen Ausgabe gesprochen, damals noch als Avanti, jetzt für die IL - wie fühlt sich das an?

Lea: In den letzten Wochen hat sich einiges getan. Nach meinem Gefühl regt sich wirklich eine gewisse Aufbruchsstimmung, die auch wir - ihr seht schon, ein Rest Avanti-Identität ist geblieben - durch unseren Beschluss, uns in die IL aufzulösen, angezettelt haben. Die Fertigstellung des Zwischenstandspapiers, das neue Logo der IL, die neue Homepage, der Beitritt der Leipziger Gruppe Prisma zur IL: Es geht voran. Endlich scheinen viele Punkte auf unserer »Selbstbeschäftigungsliste« abgehakt. Es bleibt wieder mehr Zeit und Energie für unsere eigentliche politische Arbeit.

Was bedeutet für dich das Zwischenstandspapier?

Lea: Einen Zwischenstand, der das Projekt IL in den Mitgliedsgruppen auf breitere Füße stellt, Interessierte einlädt, mitzumachen, und ein paar inhaltliche und strukturelle Pflöcke einschlägt.

Sehen das die anderen auch so?

Lucie: Es ist für mich zunächst ein Ausdruck, dass die Diskussionen um ein Selbstverständnis nicht völlig umsonst waren, aber ich bin auch sehr gespannt, welchen Stellenwert es innerhalb der IL in Zukunft einnehmen wird.

Niels: Kein anderer Text wurde in der IL bislang so intensiv diskutiert wie dieser, und an keinem anderem wurde so viel Kritik geübt. Ich habe die Hoffnung, dass das Papier nicht ein Dokument wird, auf das man zukünftig als IL-Aktivistin bzw. -Aktivist die Hand zum Schwur legen muss, sondern das weiterhin die Praxis auf der Straße das Programm der IL schreibt.

Michael: Für mich ist das Zwischenstandspapier das Ergebnis einer historisch notwendigen Debatte innerhalb der IL-Gruppen. Es ist ja Ergebnis eines für die radikale Linke schon bemerkenswert langen gemeinsamen Prozesses. Und mit notwendig meine ich jetzt in erster Linie keine großartig welthistorische Notwendigkeit, sondern dass die Selbstverständnisdebatte sich aus der alltäglichen, gemeinsamen Praxis ergab.

Was meinst du damit?

Michael: Die Entscheidung, als FelS, Avanti, Kriko oder was auch immer IL-Politik zu machen, wirft ja die Frage auf: Was bedeutet die Differenz zwischen IL-Verabredungen und eigener Politik? Wollen wir die, oder wollen wir eben darüber hinaus? Wollen wir unsere lokalen, regionalen oder auch bundesweiten strategischen Debatten gemeinsam, d.h. als IL führen? Das ist der wirkliche Wert des Zwischenstandspapiers: eine gemeinsame strategische Debatte über die Zukunft radikal linker Politik in Gang gesetzt zu haben und zu führen.

Und dafür brauchte es eine Verständigung in dieser Form?

Lucie: Hinter den Aktivistinnen und Aktivisten und Gruppen in der IL stehen unterschiedliche politische Traditionslinien und verschiedene biografische Erfahrungen. Dennoch ist uns allen klar, dass wir kein X-beliebiger Haufen sind, sondern dass es eine gemeinsame strategische Verabredung braucht - sprich eine Debatte darüber, was es heißt, »interventionistische linke Politik« zu machen. Natürlich mussten einige Gruppen Abstriche machen, um das Papier zu unterschreiben, weil ihnen dieser oder jener Aspekt gefehlt hat oder sie andere Schwerpunkte gesetzt hätten oder schlichtweg Angst haben, dass die IL durch zu viel Struktur ihren basisdemokratischen Charakter verliert oder andersrum durch zu viel Basisdemokratie die IL ihre Handlungsfähigkeit einbüßt. Dass dies aber nicht unter den Teppich gekehrt, sondern zum Gegenstand von Debatten und kontroversen Auseinandersetzungen gemacht wird, macht meines Erachtens gerade die Vielfalt der IL aus.

Lea: Klar, jede beteiligte Gruppe hätte wahrscheinlich allein ein anderes Papier geschrieben. Oder manche auch gar keins. Aber ich bin davon überzeugt, dass Kompromisse, wenn sie nicht faul sind, der zugrunde liegende Dissens also trotzdem sichtbar wird, unumgänglich sind. Sie sind kein notwendiges Übel, sondern wichtiger Teil meines Verständnisses politischer Arbeit - auch in Abgrenzung zu manch anderer linker Strömung. Es geht uns halt nicht um die reine Lehre und auch nicht darum, sich möglichst nur mit Leuten zusammenzutun, die sich kulturell und (polit-)biografisch möglichst ähnlich sind. Und dann braucht es halt Kompromisse und Schritte aufeinander zu. Ich glaube nicht, dass man Vielfältigkeit schafft oder erhält, in dem alle nebeneinander vor sich hin wursteln. So entsteht keine Grundlage gemeinsamer Arbeit, kein Vertrauen und auch keine Schlagfertigkeit. Man muss sich schon miteinander befassen und bestimmte Grundlagen der Zusammenarbeit aushandeln. So verstehe ich das Zwischenstandspapier.

Michael: Es ist doch so: Wir können von der Multitude reden, das Ereignis mystifizieren, uns an den Rebellionen ergötzen. Aber der entscheidende Punkt ist, um bei Badiou zu bleiben, die Treue zu organisieren, in der gesellschaftliche Widersprüche wirklich zum Ereignis werden können. Genau darum braucht es die Verständigung. Die Bereitschaft dazu ist faktisch durch die inzwischen ja schon lange Zusammenarbeit entstanden ebenso wie durch die politische Einsicht: Raus aus dem Kiezmief, radikale, antagonistische Politik treiben und hegemoniefähig werden.

Niels: Ich sehe das schon kritischer. Dieses Papier liegt vor, weil es ein großes Bedürfnis nach Wahrheitsproduktion gibt. Es ist kein fragender Text, sondern hat Momente von Welterzeugung - das ist ein urlinkes Dilemma in Phasen politischer Verunsicherung. Aber die IL ist ja nicht die einzige Strömung, die meint, sich jetzt mit einer neuen politischen Verlässlichkeit zu Wort melden zu müssen. Für viele in der IL war der Fortbestand des Projekts mit der Verabschiedung von dieser Form politischer Satzung verknüpft. Das Papier ist daher auch Ausdruck einer politischen Krise und in dieser Krisenhaftigkeit ein Beleg unserer Möglichkeiten. Die IL hat nur eine Chance, wenn Vielfalt, Widersprüche und der offene Prozess erhalten bleiben. »Wir sind die Steineschmeißer und die Abwiegler in einem«, hatten wir unser Verhalten während der Demonstration am 2. Juni 2007 in Rostock anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm versucht zu fassen. So zu denken, müssen wir uns bewahren. Nur solange mit uns am Tisch wie selbstverständlich immer auch die Kontroverse und die Selbstkritik sitzt, bleibt es interessant.

Michael: Unsere Diskussion ist doch das Ergebnis praktisch-politischer Erfahrungen, nicht einer ideologischen Generaldebatte bei Club-Mate! Wenn sich Gruppen in diesem Prozess verbiegen müssen, verweist das meines Erachtens gerade auf die Ernsthaftigkeit unseres Versuches, Gemeinsamkeit voranzubringen. Die Vielfalt der IL ist damit angesprochen, aber nicht notwendig infrage gestellt.

Lucie: Niels, wenn man versucht, den momentanen Zustand der Welt politisch zu analysieren und diese Analyse niederzuschreiben, dann erzeugt man doch immer eine bestimmte eingeschränkte Anschauung der Welt. Und natürlich passiert darüber eine Art Selbstvergewisserung, warum man das eigentlich tut, was man tut. Aber ich verstehe das Zwischenstandspapier nicht als eine in Beton gegossene Satzung oder als eine unumstößliche Wahrheit. Im Gegenteil - ich verbinde die Hoffnung damit, dass zum einen die Fragen, die viele bezüglich der IL im Kopf hatten, ein wenig geklärt werden und dass das Papier gleichzeitig neue Fragen aufwirft, über die wir kontrovers und selbstkritisch weiter diskutieren. Insofern gehe ich davon aus, dass das Papier nicht Wahrheit, sondern Praxis produziert.

Ehrlich gesagt, beim Lesen des ersten, politischen Teils des Zwischenstandspapiers, erschließt sich nicht unbedingt, warum dieser Schritt gerade jetzt gemacht wird ...

Michael: Wir schreiben in dem Papier, dass es zumindest in Westeuropa keine herausgehobenen, auf Dauer angelegten Orte des Klassenkampfes für die Entstehung einer »Klasse an sich« mehr gibt. Dieser Ortlosigkeit - oder Vielfältigkeit der Orte - kann etwas entgegengesetzt werden. Und sei es nur eine IL. Noch mal: Weil wir an diesem Punkt sind, konkret, praktisch, ist dieser Schritt richtig. Die Partei ist tot - es lebe die Partei! Keiner hat eine Antwort darauf, wie eine revolutionäre Organisation, Organisierung, Partei, was auch immer, aussehen muss. Unsere Fantasie reicht nicht immer dafür aus, die notwendige Form eines solchen Zusammenschlusses zu beschreiben, unsere Vorstellungen davon sind unterschiedlich, manchmal auch widersprüchlich oder in alten Erfahrungen - positiv oder negativ - verfangen. Und in den Alltag runtergebrochen manchmal auch banal: Mitgliedsbeiträge, Entscheidungsstrukturen, Kriterien des Ein- und Ausschlusses.

Niels: Allerdings vermisse ich jetzt schon, wo alle von Organisationswerdung sprechen, die Bedenken von vor zehn Jahren, als die IL die klassische Organisation noch stärker hinterfragt hat, weil, so hieß es, ihr Formalismus jeden Bewegungscharakter zerreiben würde. Damals wurde von organisierter Strömung gesprochen oder von einem »Forum«, also einem politischen Raum jenseits der althergebrachten Kategorien »Organisation« und »Bündnis«. Der eigentliche Begründungszusammenhang der IL bleibt die Frage nach der Möglichkeit einer radikalen gesellschaftlichen Linken. Ob die linksradikale Organisierung diese Perspektive weiterhin offen lässt oder gar erst ermöglicht, wird sich zeigen.

Lucie: Ich würde sagen, die IL entwickelt sich einfach weiter. Wir in Tübingen haben uns als IL-Ortsgruppe vor vier Jahren gegründet. Wir haben auf den IL-Gesamttreffen sowohl die Diskussionen der anderen Gruppen - wie Avanti - mitbekommen, die sich eine konkretere Organisationsstruktur gewünscht haben, als auch die Debatten über andere strukturelle Unzulänglichkeiten, wie die Unterbesetzung überregionaler Gremien oder die Dominanz von männlichen Akteuren in bestimmten Strukturen. Daher ist dieses Zwischenstandspapier eine weitere Etappe in einem Prozess der Organisierung, dessen Ende meines Erachtens noch offen ist.

Lea: Manche nennen es gerne Organisation, um den Unterschied zu einem Netzwerk deutlich zu machen. Anderen ist es wichtig, die Prozesshaftigkeit zu betonen, weshalb sie lieber von Organisierung sprechen. Ich finde, das schließt sich nicht aus. Für mich ist entscheidend, dass die IL schon lange nach außen bundesweit wie eine Organisation agiert hat, nach innen aber zum Beispiel der Ablauf von Entscheidungsprozessen und die Formen von Repräsentation ziemlich ungeklärt waren. Das geht auf Dauer nicht. Es muss integrative und tragfähige, nicht nur von Einzelpersonen abhängige Strukturen geben, wenn wir das Ziel einlösen wollen, kontinuierlich Erfahrungen weiterzugeben, um den konjunkturellen Charakter linksradikalen Aktivismus zu durchbrechen. Oder wenn wir unseren Anspruch ernst nehmen wollen, etwa patriarchale Muster nicht unreflektiert in unseren Strukturen zu reproduzieren. Gleichzeitig frage ich mich aber auch oft, was eine bundesweite Organisation der lokalen Arbeit konkret nützt. Das müssen wir erproben und vielleicht auch feststellen, dass es an bestimmten Stellen keinen Mehrwert gibt.

Michael, was nützt eine bundesweite Organisierung der lokalen Arbeit in Münster?

Michael: Der Mehrwert für mich besteht unter anderem darin, dass es ein deutlicheres Bewusstsein davon geben wird, dass wir mehr sind als eine lokale Politgruppe. Dass eine Aktion, eine Kampagne, eine Strategie nicht nur von besonders Aktiven auf Bundesebene verantwortet wird, sondern eben auch von uns in Münster insgesamt. Damit nehmen wir uns - und die anderen Gruppen auch - in die Pflicht, die jeweilige Praxis über die eigene Lokalität hinaus zu entwerfen und zu bewähren. So haben wir die Möglichkeit aufgemacht, uns in unseren unterschiedlichen Politiken stärker aufeinander zu beziehen, und uns auch, ja, zu kritisieren, um vorwärtszukommen.

Lucie: Dass wir uns in Tübingen als IL-Gruppe gegründet haben, war ja gerade für uns der Reiz, dass wir Teil eines überregionalen linksradikalen Zusammenhangs werden. Auf einer emotionalen Ebene hatten viele von uns den Zauber und den Wind von Heiligendamm oder den Castor-Protesten im Nacken - das Gefühl, wie es ist, wenn viele Menschen ungehorsam werden. Der Mehrwert liegt für uns in der Möglichkeit, innerhalb eines verbindlich, langfristig angelegten Organisierungsprozesses sich auszutauschen, Debatten zu führen, eine gemeinsame überregionale politische Praxis zu entwickeln und dabei die eigene lokale Praxis zu reflektieren. Gerade in der Arbeit in den überregionalen Kampagnen - sowohl in unserer lokalen Mobilisierungsarbeit als auch in den überregionalen Arbeitsgruppen und den Aktionen selbst - fühlt man sich einfach ein Stück weit wirkmächtiger. Im Austausch mit anderen Gruppen bekommen wir zudem Anregungen, wie unsere lokalen Widersprüche angegangen und bearbeitet werden können. Schließlich ist Tübingen eine Stadt, geprägt von einer Mischung aus grün-liberaler Mittelschicht, Pietisten, kleinbürgerlichen Schwaben usw. - mit Blumenkästen an den Geländern der diversen Neckarbrücken. Das heißt, es tut uns gut, auch von anderen gesellschaftlichen »Realitäten« mitzubekommen. Für uns als kleine Gruppe wird es jedoch ein Spannungsfeld bleiben, unseren eigenen Ansprüchen - sowohl lokal aktiv zu sein als auch uns bundesweit einzubringen - kontinuierlich und zuverlässig gerecht zu werden. Die politische Arbeit kollidiert oft genug mit den eigenen Ressourcen und den Anforderungen aus Reproduktions- und Erwerbsarbeit.

Niels: Darf ich als zugezogener Berliner noch was ergänzen? Ich stimme Lucie zu: Der Austausch auf bundesweiten Treffen und gemeinsame Initiativen waren für mich und unsere politische Arbeit immer bereichernd - bis heute. Bestimmte Antworten sind einfach nicht in Kreuzberg und Neukölln zu finden. Die IL ermöglicht Begegnungen unterschiedlicher Erfahrungen und Intellektualitäten. So ergaben sich kollektive Lernprozesse, die uns erst eine Praxis mit mehreren Tausenden Menschen ermöglichten. Die Frage ist also nicht nur, ob man additiv »mehr« ist, sondern ob dieses »mehr« sich tatsächlich aus einer subjektiven Vielheit zusammensetzt, die ein neues Denken und Handeln verspricht. Hier liegt die Differenz zwischen einer postautonomen Gruppe und einer IL als Möglichkeit für eine andere linksradikale Linke.

Niels, du hast davon gesprochen, die gegenwärtige Einwicklung der IL sei Beleg ihrer Möglichkeiten. Was meinst du damit?

Niels: Die IL hat das Potenzial, Kern einer neuen radikalen gesellschaftlichen Linken zu sein. Es klingt vielleicht vermessen, aber ich meine - leider - im Gegensatz zu allen anderen linksradikalen Strömungen, ob das die Bohème-Kultur von UmsGanze (2), ARAB im Kampfverband mit den Arbeiterführern der NAO (3) oder die autonome Aufstandsmentalität ist. Alle sprechen ein bestimmtes soziales und kulturelles Milieu an, aber nur eine linksradikale Strömung, die sich selbst als radikale gesellschaftliche Linke denken kann, wird auch in der Lage sein, einen neuen Horizont zu öffnen. Darum geht es, und nur darin hat eine interventionistische Linke ihre Berechtigung.

Lucie: Es ist doch so, die IL ist im Moment ein Möglichkeitsraum, in dem sich viele Linke einbringen können, mit unterschiedlichen politischen Sozialisationen und Erfahrungshintergründen. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass wir es in diesem Möglichkeitsraum schaffen, in möglichst vielen gesellschaftlichen Widersprüchen und den damit verbundenen Kampffeldern aktiv zu sein und sichtbar zu werden - auch jenseits der großen medienwirksamen Kampagnen.

Lea: Wenn die IL es schafft, aus ihrer Größe und der geografischen Ausdehnung politische Stärke zu ziehen und sich nicht selbst im Weg steht, dann wäre es Beleg dafür, dass sie ihre Möglichkeiten ausschöpft. Wenn sie also, von innen betrachtet, nicht chronisch mit sich selbst beschäftigt ist - das kann man ja umso besser, je größer und ausdifferenzierter so eine Struktur ist - und wenn Organisierung für die einzelnen Aktivistinnen und Aktivisten - jedenfalls meistens - keine leidige Pflichtübung ist, sondern praktische Unterstützung der politischen Arbeit. Nach außen muss die IL es - im Bündnis mit anderen - schaffen, in aktuellen sozialen Konflikten als radikale Linke politisch sichtbar zu sein und Gegenmacht aufzubauen.

Die IL ist ja schon ein heterogener Haufen - zumindest im Mikrokosmos des Linksradikalismus der BRD - der sich seit den 1990er Jahren auch noch durch eine ziemlich Organisationsfeindlichkeit auszeichnete. Wie kann man die Zusammenarbeit von mehreren Hundert Genossinnen und Genossen bewerkstelligen, ohne in die Falle zu Recht kritisierter traditioneller Organisationsformen zu stolpern?

Michael: Wir sind, Gott sei Dank, ein heterogener Haufen und bleiben es hoffentlich auch. Im Zwischenstandspapier hat sich aber die IL mehr oder weniger auf das tatsächlich traditionelle Ortsgruppenprinzip festgelegt. Aber das wird kein Dogma sein: Die Frage der Mitgliedschaft von Einzelpersonen, von überregionalen AGs, einfach von Zusammenhängen, die nicht ins Ortsgruppenschema passen und die wir alle inhaltlich brauchen, ist damit natürlich letztlich nicht beantwortet. Ich bin mir ziemlich sicher, dass allen klar ist, dass es sich um ein Papier handelt. Und Papiere können und müssen immer wieder um- und neu geschrieben werden. Wenn ein eigentlich organisationsfeindlicher Haufen sich zusammenrauft, ist da doch noch eine Menge Luft.

Lea: Aber Michael, ich finde, dass wir uns im Zwischenstandspapier mit dem Begriff der »Basiseinheiten« doch gerade von dem klassischen Ortsgruppenmodell zu lösen beginnen. Zu eurer Frage: Durch unsere unterschiedlichen politischen Biografien finde ich die Gefahr, die Fehler der Vergangenheit stumpf zu wiederholen, vergleichsweise klein. Wir haben ein funktionierendes Frühwarnsystem. Aber es werden sich eigene Fehler finden ...

Lucie: Solange wir Menschen wie Niels unter uns haben, die auf die Gefahren einer organisatorischen Kleingeisterei hinweisen, gelingt es uns - vielleicht. Denn die Gefahr ist da, natürlich. Es muss uns gelingen, unsere Organisierung so beweglich zu gestalten, dass sie den Anforderungen einer politischen Praxis entlang den aktuellen und absehbaren gesellschaftlichen Kämpfen angepasst werden kann. Darüber hinaus müssen wir auch im Auge behalten, dass jede von uns eingebunden ist in bestimmte Lebenszusammenhänge, sprich sich mit Erwerbsarbeit oder Erwerbslosigkeit herumschlagen und sich um sich selbst und sein soziales Umfeld kümmern muss. Die Ansprüche, die wir an unsere politische Arbeit stellen, kann zu Überforderung und Burn-out führen oder dazu, dass Gruppen wieder der IL den Rücken kehren. Das heißt, es braucht auch immer wieder eine kritische Einschätzung darüber, was machbar ist und welche Ressourcen vorhanden sind.

Ihr ladet für den Herbst 2015 zu einem Strategiekongress ein. Ist das auch eine Einladung an andere Linke und eine Intervention in die gegenwärtigen Umgruppierungsprozesse innerhalb der radikalen Linken?

Lea: Intervention finde ich das falsche Wort. Es ist doch klar, dass nicht nur wir über Organisationsformen der Linken und die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen nachdenken. Nachdem wir jetzt einen Zwischenstand in unserem internen Prozess erreicht haben, dem viel interne Auseinandersetzung und Vergewisserung vorausgegangen ist, wollen wir nicht weiter im eigenen Saft schmoren, sondern das Gespräch mit anderen Strömungen suchen.

Niels: Langfristige Fragen wie die nach Aufgaben und Möglichkeiten einer radikalen Linken wollen und können wir alleine gar nicht beantworten. Wer das allein versucht, macht sich nur lächerlich. Wir sind aber noch verrückter und behaupten, dass wir - gerade als Metropolenlinke - die Frage eines gesellschaftlichen Linksradikalismus von Anfang an international stellen müssen. Das heißt auch, dass wir international Genossinnen und Genossen einladen.

Michael: Wir laden zu einem Strategiekongress ein. Das ist was anderes als ein Organisierungstreffen. Wir machen doch jetzt keine Organisierungsrallye zwischen NAO/ARAB, ALB-Beständen oder wem auch immer auf. Wir sind radikale Linke und wollen uns einen Ort in dieser Gesellschaft erkämpfen, ihn erweitern: zwischen den leisen Krisen in der BRD, dem Wahnsinn in Spanien, Griechenland, Italien etc. und den globalen Rebellionen und gewalttätigen Auseinandersetzungen und Kriegen. Also, es wird ein Interventionsversuch in die kapitalistisch-patriarchal-rassistische Alltagswirklichkeit. Tut mir leid für die großen Worte. Jetzt wieder kleiner: Wir werden unter uns und mit anderen darüber reden, was wir mit unserem Zwischenstandspapier verbinden und was nächste Schritte praktisch-politisch sein könnten und müssen. Und: Wir wollen natürlich auch mehr werden.

Was meint ihr, welche Auswirkungen wird dieser Schritt der IL auf die bundesdeutsche Linke haben? Und hat die IL das Potenzial, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen?

Niels: Wenn wir Glück haben, dann sind die Umgruppierungsprozesse in der radikalen Linken schon eine Auswirkung unseres Vorhabens. Wir bleiben bewusst nur eine Strömung in der Linken und brauchen auch in Zukunft die Kooperation mit Genossinnen und Genossen, die uns die vergangenen Jahre in den unterschiedlichen Kampagnen begleitet haben. Die Gefahr des Scheiterns besteht immer. Das wäre nicht das erste Mal in der Geschichte des linken Radikalismus nach 1968. Aber wir haben alle Möglichkeiten, es anders zu machen. Es liegt tatsächlich nur an uns. Denn alle Kritikerinnen und Kritiker, die dieses Papier für organisationspolitisches Knäckebrot halten, haben natürlich recht. Sie haben aber unrecht, wenn sie meinen zu wissen, dass es bessere Vorschläge gibt. Wir aber müssen beweisen, wie die IL weiterhin ein politisches und militantes Versprechen bleiben kann. Gelingt uns das in unserer lokalen Praxis und in Momenten einer symbolischen Verdichtung wie etwa Blockupy, dann klappt's auch mit der Aufforderung zum Tanz.

Lucie: Ich denke, die IL nimmt einen bestimmten Platz ein: als verlässliche Partnerin in Bündnissen, als ein linksradikaler Zusammenhang, in dem man sich engagieren oder mit dem man sich streiten kann. Junge Menschen, die anfangen, sich politisch zu interessieren, werden eine völlig andere politische Sozialisierung erleben: Sie haben die Wahl, sich zu überlegen, ob sie sich eher dem UmsGanze-Spektrum anschließen oder der NAO oder eben der IL. Das ist eine völlig andere Situation, als wir sie hatten. Welche Vor- und Nachteile das hat, wird die Geschichte zeigen.

Michael: Bleiben wir doch bescheiden. Ich glaube, dass unser Schritt erst mal unmittelbar keine riesigen Auswirkungen auf die bundesdeutsche Linke haben wird. Aber wir hoffen, dass wir mit der neuen IL-Struktur jetzt die Möglichkeiten einer radikalen Linken verbessert haben, sich Gehör zu verschaffen. Die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, wird wohl eher ein mittelfristiges Unterfangen: europäische Vernetzung von Bewegungen, internationalistischer Bezug auf emanzipative Bewegungen wie jetzt in Rojava, Neuausrichtung antifaschistischer Politik, Krisenproteste: und alles runterbrechen auf lokale Verhältnisse. Das ist doch mal ein Plan. Und wir werden weiter unsere Unversöhnlichkeit mit den Verhältnissen mit allen gebotenen Mitteln ausdrücken und dabei versuchen, immer mehr Menschen mitzunehmen. IL eben.

Anmerkungen:

1) Das Zwischenstandspapier ist auf der Website der IL zu finden: interventionistische-linke.org.

2) UmsGanze wurde Ende 2006 gegründet, »um linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen«. In dem - so die Selbstbezeichnung - »kommunistischen Bündnis« arbeiten elf Gruppen zusammen, die vornehmlich dem antinationalen Spektrum entstamm(t)en. Weitere Infos: umsganze.org.

3) Die Neue antikapitalistische Organisation (NAO) umfasst vor allem Gruppen aus dem trotzkistischen und linksgewerkschaftlichen Spektrum. Zur NAO stieß im Oktober die Berliner Antifaschistische Revolutionäre Aktion (ARAB), die in der Vergangenheit eher mit Aktionsformen und der Ästhetik der autonomen Antifa in Erscheinung trat. Mehr Infos unter: nao-prozess.de.