Macht ist da, wo die Bärte sind, heißt es bei Molière
Deutschland Wenn Sprache Menschen zu bedrohen scheint, die die Welt in hübsche quadratische Schubladen packen wollen
Von Claire Horst
Lann Hornscheidt trägt keinen Bart und wagt es trotzdem, über die eigene Sprache zu verfügen. Für den Vorschlag, das »x« als alternatives Pronomen sowie als geschlechtsneutrale Personenendung einzuführen, wird Hornscheidt, Profx für Gender Studies und Sprachanalyse an der Humboldt-Universität Berlin, seit einigen Wochen mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen abgestraft. Denn mit den Hüter_innen der Sprachmacht ist nicht zu spaßen.
Die Broschüre »Was tun? Sprachhandeln - aber wie? W_Ortungen statt Tatenlosigkeit«, herausgegeben von der AG Feministisch Sprachhandeln an der HU Berlin, enthält ausführliche Begründungen für alternative Sprachformen. Sie sollen auch Menschen sprachlich repräsentieren, die sich nicht in der zweigeteilten Geschlechterordnung wiederfinden - Menschen, die sich als transident oder als intersexuell identifizieren oder auf eine Zuordnung ganz verzichten wollen. Die ungewohnte Ausdrucksweise soll beim Sprechen stolpern lassen und so zum Nachdenken anregen. Und: Formen wie das »x« sind nicht als Ersatzform für die bekannten Pronomen gedacht, stellen also kaum eine Bedrohung für diejenigen dar, die sich gerne als »er« oder »sie« bezeichnen.
Hornscheidts Bitte auf der Fachbereichs-Homepage, nicht als »Herr« oder »Frau«, sondern lieber mit »Guten Tag, Lann Hornscheidt« angesprochen zu werden, reichte dennoch aus, um »Dr. habil. Heike Diefenbach und Michael Klein« auf die Barrikaden zu treiben. Beide werden häufig auf explizit antifeministischen Seiten wie »Wikimannia« zitiert und haben bereits im April 2014 eine Petition gegen die »öffentliche Finanzierung von Genderismus an Hochschulen und Schulen« gestartet. In einem offenen Brief »an den Präsidenten der Humboldt-Universität, Jan Hendrik Olbertz, und an den Senator für Bildung, Jugend und Wissenschaft von Berlin, Sandra Scheeres« fordern die Autoren nun (und an dieser Stelle wäre es unangemessen, eine andere als die männliche Endung zu verwenden, das generische Maskulinum liegt Diefenbach und Klein sehr am Herzen) die Amtsenthebung Hornscheidts. Der Grund: Hornscheidt arbeite nicht wissenschaftlich und habe sich zum Ziel gesetzt, »Kommunikation zu verunmöglichen und durch eine Ansammlung absurder Laute zu ersetzen«.
Eine Sprache mit Armee und Flotte
Auf den ersten Blick scheinen sie von Sprachpurismus getrieben, von einem rein ästhetischen Widerwillen gegen zugegebenermaßen unschöne Satzkonstruktionen wie »Trans_x_en ist eine kritische Ver_ortung, die im Moment ihrer Handlung versucht, herkömmliche Vorstellungen von Genderungen zu durchqueren«. Um sprachliche Schönheit geht es ihnen allerdings nicht. Menschen, denen etwas an der Sprache liegt, schreiben nicht einmal über ihre Gegner_innen Sätze wie »Hier trifft sich das Motiv der Opferrolle mit dem oben beschriebenen Hass Modus der Amöbe, die alles, was von außen kommt, seien es Fragen, Anregungen oder Kritik nur unter Hass abspeichern kann.«
Auch ein möglicher konservativer Widerwille gegen jegliche sprachliche Neuerung kann nicht das Motiv sein. Denn auch Konservative aller Länder plädieren zuweilen für einen veränderten Sprachgebrauch, schreiben mit Begeisterung an »Klapprechnern« und essen »Freedom Fries«, wenn Frankreich gerade in Ungnade geraten ist. Die Wut der Sprachbewahrer_innen richtet sich nur gegen Veränderungen, mit denen kein eigener Vorteil verbunden zu sein scheint. Dann wird darauf beharrt, dass Schokoküsse schon immer anders hießen, dass »Pippi Langstrumpf« ein unantastbares Kunstwerk ist und in deutschen Sätzen kein Platz für einen ungewohnten Buchstaben.
Die Wut auf Hornscheidt steht für viel mehr als nur für die Liebe zum schönen Satz: Diefenbach, Klein und Co. kämpfen um die Deutungshoheit über das wichtigste Kommunikationsmittel, das wir haben - die Sprache. Wie erfolgreich Sprache genutzt werden kann, um Unterdrückung aufrechtzuerhalten, stellt der britische Autor Salman Rushdie eindringlich in seinem magisch-realistischen Roman »Die satanischen Verse« dar. Illegalisierte Einwander_innen werden darin zu Aliens, zu ganz realen Monstern - ganz einfach, indem sie als solche bezeichnet werden.
»A schprach is a dialekt mit an armej un flot«, fand der Sprachwissenschaftler Max Weinreich (1894-1969), eine Sprache ist ein Dialekt mit einer Armee und einer Flotte - und inzwischen wird wieder mit allen Kanonen geschossen, wenn an der Sprache gerüttelt werden soll. Und an der Sprache gerüttelt hat bisher noch jede Emanzipationsbewegung.
Mit Sprache experimentieren
Ein Buch gab in Deutschland den Startschuss zur Selbstbezeichnung schwarzer Frauen: »Farbe bekennen« erschien 1986, und im Anschluss daran hatte die deutsche Sprache ein paar neue Begriffe, mit denen sich Realitäten benennen lassen - und sichtbar werden. »Afrodeutsche«, »Schwarze deutsche Frauen« schien es bis dahin nicht zu geben, und eine der Herausgeberinnen, die Dichterin May Ayim, war mit dem Thema ihrer Diplomarbeit an der Universität abgeblitzt. Rassismus existiere nicht in Deutschland, hatte der Professor ihr gesagt. Sie könne aber über Fremdenfeindlichkeit schreiben. Schwarze Deutsche und Rassismus, dass beide wahrgenommen werden, ist auch der veränderten Sprache zu verdanken.
Ebenso wie »Farbe bekennen« legen auch Hornscheidts Texte Realitäten offen, die viele nicht sehen möchten. Die Welt besteht nicht nur aus Weißen. Sie besteht auch nicht nur aus Männern - und auch nicht nur aus Männern und Frauen. Anscheinend ist diese einfache Tatsache eine Bedrohung für Menschen, die sich eine Welt wünschen, in der sich alles in hübsche quadratische Schubladen packen lässt. Genau deshalb ist in den meisten, auch in den wohlwollenden, Artikeln und Interviews fast nie die Rede von Transsexualität, von der eigentlichen Idee hinter den Vorschlägen - der Idee nämlich, dass ausschließende Sprache Menschen ausschließt, und dass es Zeit für eine inkludierende Sprache ist.
Stattdessen schreiben Leute wie Harald Martenstein in launigen Texten gegen die Frauenquote, gegen Sprachverhunzung, gegen Feminismus im Allgemeinen an. Nicht alle kanalisieren ihre Emotionen so produktiv wie Martenstein. Manche wissen sich gegen die Furcht, ihnen werde die heißgeliebte männliche (oder weibliche) Identität genommen, nicht anders zu helfen als mit Gewaltandrohungen - die Hornscheidt in Interviews als willkommenes Material für zukünftige Forschungsprojekte begrüßt.
Dass es auch lustvoll sein kann, mit Sprache zu experimentieren, dass sich sprachliche Mechanismen mit Neugier erforschen lassen - was passiert eigentlich, wenn ich Menschen anders benenne als bisher - das geht in der Debatte viel zu oft verloren. Dabei stecken so viele spannende Fragen darin: Welche Erfahrungen gibt es aus anderen Ländern? So wurde in Schweden vor zwei Jahren ein drittes Pronomen eingeführt. Und welche Auswirkungen hat die Tatsache, dass es im Türkischen oder Ungarischen nur ein Singularpronomen in der dritten Person gibt, auf die Repräsentanz von Transsexuellen?
Wie gut, dass sich immer mehr Stimmen vernehmen lassen, die das Lamentieren von Ulfharaldjanmatthias, so Robin Detje in der Wochenzeitung DIE ZEIT (1), einfach nur noch nervig finden. Und Lust haben, die alten Bärte abzureißen.
Claire Horst schrieb in ak 582 über die im Anschluss an den #Aufschrei geführte Debatte über die Krise von Männlichkeit.
Anmerkung:
1) Der Publizist und Übersetzer Robin Detje meinte damit namentlich Ulf Poschardt, leitender Redakteur bei Springer, Harald Martenstein, ZEITmagazin-Kolumnist, Jan Fleischhauer, Kolumnist bei SpiegelOnline und den Publizisten Matthias Matussek, die weißen Herren, so Detje, die gerne nach unten treten - und zwar von ganz oben.