Hallo Nervensäg_innen!
Ab sofort ersetzt in ak der _Unterstrich das Binnen-I
Wir haben uns entschieden, mit dieser Ausgabe das große Binnen-I durch den Unterstrich zu ersetzen. Fortan werden wir nicht mehr von PolizistInnen, AktivistInnen und Nazis schreiben, sondern von Polizist_innen, Aktivist_innen und Nazis. Wenn es für den Sinnzusammenhang wichtig ist, dass eine Gruppe ausschließlich aus Männern besteht, dann schreiben wir von »Angreifern«; wenn es wichtig ist, dass ausschließlich Frauen gemeint sind, schreiben wir von »Angreiferinnen«. Und in zusammengesetzten Worten (»Arbeiterbewegung«) und Interviews verzichten wir wie bisher auf jede Einfügung.
Wir treffen diese Entscheidung im Wissen, dass es für ein soziales Problem bzw. für einen politischen Kampf keine sprachlichen Lösungen gibt. Gut wäre, wenn die Geschlechtlichkeit in den Bezeichnungen schlicht keine Rolle spielen würde. Das könnte unseren Horizont erweitern und unser Leben schöner machen. Jeder Mensch ein Individuum, völlig egal, ob Frau/Mann/wie auch immer. Eine solche Sprache ist leider nicht in Sicht. Der Unterstrich markiert lediglich ein Problem. Eine »gute Idee« ist er nicht. Aber er nervt. Immerhin. Bzw. hoffentlich.
In den vergangenen Jahren haben wir des Öfteren verärgerte, erstaunte oder neugierige Nachfragen erhalten, warum wir das Binnen-I und nicht den _Unterstrich verwenden. Die Antwort darauf ist gar nicht einfach. Die Intention bei Einführung des Binnen-I in ak war es, die verschleierte männliche Sprachnorm (»Demonstranten«) zu »entnormalisieren« und jene, die in der Schriftsprache unsichtbar gemacht wurden (die Demonstrantinnen), sichtbar zu machen. Das Binnen-I sollte der sprachlichen Ungerechtigkeit begegnen, dass Frauen systematisch unsichtbar gemacht werden, sobald es um die sprachliche und schriftliche Repräsentation geht. Der Unterstrich oder Gender_Gap, der in den letzten Jahren in viele linke Publikationen Einzug gehalten hat, soll nun auch jene Menschen repräsentieren, die sich weder eindeutig als Männer noch als Frauen begreifen oder die von der gesellschaftlichen Umwelt nicht mit dem Geschlecht identifiziert werden bzw. bei der Geburt wurden, mit dem sie sich selbst identifizieren. Andere Formen (etwa das Gender*Sternchen bei »Demonstrant*innen«) sollen zum Ausdruck bringen, dass jedwede geschlechtliche Identität eine Konstruktion ist (dabei bleibt das *Sternchen aber, wie inzwischen kritisiert wird, trotzdem in der Mitte zwischen den beiden Polen männlich und weiblich stehen). Lann Hornscheidt von der Humboldt Universität Berlin hat vor einigen Wochen großes Aufsehen in den deutschen Feuilletons mit der Bitte erregt, künftig weder als Professor noch als Professorin, sondern als Professx angesprochen zu werden.
Der Einwand, den man gegen all diese Verfahren machen kann, ist, dass sie a) die Bedeutung des geschriebenen Wortes überschätzen, b) ein gesellschaftliches Problem sprachlich regeln wollen und c) vor allem Leute zufriedenstellen, die viel mit Worten, Texten, Bezeichnungen und Symbolen hantieren bzw. für die Schrift eine große Bedeutung hat. Die Diskussion über a) wollen wir an dieser Stelle nicht aufrollen, denn sie hängt einerseits von erkenntnistheoretischen Prämissen ab. Andererseits ist ak nun mal eine Zeitung, in der das geschriebene Wort praktiziert wird, und da wäre es etwas paradox, die Bedeutung geschriebener Worte grundsätzlich infrage zu stellen. Zu b) können wir nur sagen: Richtig, ein gesellschaftliches Unterdrückungsverhältnis verschwindet nicht, indem man es sprachlich wegregelt. Aber davon sind wir weit entfernt. Misstrauisch dürfen wir werden, wenn irgendwann bei Spiegel Online, Bild oder PI-News der _Unterstrich Einzug hält. Bis es so weit ist, haben wir eher kein Verschleierungsproblem zu befürchten. Umgekehrt gehen gesellschaftliche Emanzipationsprozesse immer mit sprachlichen Veränderungen einher. Rassistische oder anders abwertende Ausdrücke werden aus dem Wortschatz geschmissen, neue Wörter, Bezeichnungen und Symbole halten Einzug ins sprachliche Handeln. Das ist auch bei uns so: ak-Artikel lesen sich heute anders als vor 20 Jahren - und irgendwann haben wir ja auch mal das Binnen-I eingeführt. Bleibt noch Einwand c), der die Einführung neuer Schreibweisen zur akademischen Leidenschaft erklärt und davor warnt, auf diese Weise andere Ausschlüsse zu produzieren (»Insidersprache«, Kompliziertheit, akademische Machttechnik gegen »Nicht-Akademiker_innen« etc.). Ja, wer keine Lesehürden aufbauen will, muss sich um Verständlichkeit bemühen. Wenn die eigenen Begriffe und Schreibweisen wichtiger werden als die Frage, ob man überhaupt verstanden werden möchte, ist Skepsis angebracht. Allerdings ist das meist doch eher eine Frage des allgemeinen Stils als einzelner Schreibweisen. Wenn jemand einen interessanten, fesselnden Artikel verfasst, werden sich nicht viele Leser_innen davon abschrecken lassen, dass sich darin ein ungewohntes Satzzeichen findet. Und wenn beim Lesen doch eine Irritation entsteht, umso besser.
Deshalb: Nein, die Einführung des Unterstrich in ak wird nicht die Gesellschaft umkrempeln. Nein, eine emanzipatorische Sprachpraxis lässt sich nicht verordnen, sie muss aus der emanzipatorischen Praxis entstehen. Und nein, richtig kann man hier gar nichts machen. Aber man kann nerven, auf die eine oder andere Art. In diesem Sinne hoffen wir auf wütende Reaktionen und auf Kritik und Selbstkritik, ihr Nervensägen.
Eure ak-Redaktion