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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 601 / 20.1.2015

Im Schatten der Black Panthers

Geschichte In den 1960er Jahren kämpfte die puerto-ricanische Befreiungsbewegung Young Lords in den USA gegen rassistische Polizeigewalt und für soziale Gerechtigkeit

Von Anita Starosta

Seit mehreren Monaten finden in den USA wieder einmal massenhaft Proteste gegen rassistische Polizeigewalt statt. Auslöser war dieses Mal der Tod des schwarzen Jugendlichen Michael Brown in Ferguson im Bundesstaat Missouri im August 2014. Vor allem die afroamerikanische Community rebelliert gegen Diskriminierung und die Nichtverurteilung von prügelnden - zumeist weißen - Polizist_innen.

In den USA gab es immer wieder rassistisch motivierte Polizeigewalt und Proteste dagegen. Erinnert sei etwa an die Unruhen in Los Angeles 1992 nach dem Freispruch von vier Polizisten. Damals starben bei Ausschreitungen 53 Menschen. Der brutale Übergriff der Beamten auf den afroamerikanischen US-Bürger Rodney King ein Jahr zuvor war zufällig gefilmt worden.

In den 1960er Jahren entstanden aus Protesten und Aufständen gegen Rassismus und Polizeibrutalität soziale Bewegungen und Organisationen wie die Black Panther Party (BPP). In deren Schatten und inspiriert durch deren Beispiel schlossen sich unter anderem Bewohner_innen asiatischer, mexikanischer und indigener Communitys zusammen.

Auch der Mord an dem unbewaffneten puerto-ricanischen Jugendlichen Arcelis Cruz in Chicago, Illinois, am 12. Juni 1966 war Auslöser für einen mehrtägigen Aufstand. Rund um die Division Street, das kulturelle und politische Zentrum der puerto-ricanischen Diaspora, lieferten sich vor allem Jugendliche Straßenkämpfe mit der Polizei und plünderten Geschäfte.

Die »Divison Street Riots« waren der Beginn einer radikalen Selbstorganisierung der puerto-ricanischen Community insbesondere in Chicago und New York. Dies gilt auch für die Chicagoer Straßengang Young Lords: Der strukturelle Rassismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen, die städtische Marginalisierung, eine sich radikalisierende schwarze Bürgerrechtsbewegung, Proteste anderer Vereinigungen von People of Color sowie der Studierenden waren entscheidende Elemente ihrer Politisierung.

Von einer Straßengang zur Young Lords Organisation

Ab 1968 organisierten sich in mehreren US-Städten puerto-ricanische Jugendliche, die in den USA aufgewachsen waren, als Young Lords Organisation (YLO). Die Zentren der Bewegung waren Chicago und New York. Die Aktivist_innen begannen die sozialen Konflikte der puerto-ricanischen Community in der US-Gesellschaft aufzugreifen. Aktionen gegen miserable Lebens- und Wohnbedingungen, unzureichende Sozial- und Gesundheitsversorgung, aber auch gegen Polizeigewalt standen in ihrem politischen Fokus.

Inspiriert von den revolutionären, marxistischen Ideen der Studierendenbewegung und anderer internationalistischer Gruppen vertraten sie die Idee einer sozialistischen Gesellschaftsform und setzten sich mit antikolonialen Theorien, etwa von Frantz Fanon, auseinander. Ihr Erkennungszeichen wurde eine violette Baskenmütze mit einem angesteckten Button, auf dem eine Faust zu sehen war, die ein Gewehr in der Hand hält, und auf dem die Aufschrift prangte: »Tengo Puerto Rico en mi corazón« (»Ich trage Puerto Rico in meinem Herzen«).

Für viele soziale Bewegungen der puerto-ricanischen Community in den USA war der Kampf für die Unabhängigkeit der Insel zentraler Bezugspunkt (siehe Kasten). Die meisten Aktiven waren in den USA geboren. Die Insel, Kultur und Sprache kannten sie nur von Erzählungen ihrer zumeist als Arbeitsmigrant_innen in die USA gekommenen Eltern. Die Jugendlichen befanden sich in einem identitären Zwiespalt: Mit der puerto-ricanischen Heimat - die sie zum Großteil nie besucht hatten - fühlten sie sich enger verbunden als mit den Normen der weißen US-Gesellschaft.

Kampf gegen städtische Verdrängung

In Chicago kamen die Young Lords bald in Kontakt mit der Black-Power-Bewegung und sympathisierten mit den Ideen der BPP. Entsprechend orientierte sich die YLO sowohl in ihrer strukturellen Verfasstheit als auch in politischen Fragen an der BPP. In einem 13-Punkte-Programm formulierten die Young Lords ihre politischen Grundsätze. Diese umfassten die Forderung nach Selbstbestimmung für alle Puerto-Ricaner_innen und die Befreiung der Insel vom US-Kolonialismus.

Die Ablehnung patriarchaler Strukturen und ein Fokus auf frauenpolitische Fragen gingen auf Interventionen von Feministinnen der Young Lords zurück. Anders als bei den Black Panthers setzte sich meistens eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen in allen Positionen der YLO durch. Debatten um Reproduktion und feministische Theorie wurden nicht ausgeklammert.

In Chicago wurden in den 1960er und 1970er Jahren in zentral gelegenen Stadtteilen massiv Stadterneuerungsprojekte vorangetrieben - mit dem Ziel, die Wohngegenden für Familien der weißen Mittelschicht attraktiver zu machen. Mitglieder der YLO waren daher besonders im Kampf gegen die Auswirkungen dieser Verdrängungsprozesse aktiv. In partizipativen Aktionen übten sie zivilen Ungehorsam und erhielten dabei Unterstützung durch befreundete Organisationen und aus der Nachbarschaft.

Mit Besetzungen und Aktionen im öffentlichen Raum übten sie Druck auf Stadtverwaltung und Investoren aus. Als Aktive standen sie nun zentral im Fokus der Polizei. Regelmäßig kam es zu gewalttätigen Übergriffen der Sicherheitskräfte und zu Verhaftungen. Die Repression gipfelte im Mord an dem führenden YLO-Mitglied Manuel Ramos im Mai 1969 durch einen Zivilpolizisten bei einer Auseinandersetzung während einer Abendveranstaltung der Gruppe.

In New York, dem zweiten Zentrum der puerto-ricanischen Selbstorganisierung, kamen die Gründungsmitglieder der YLO hauptsächlich aus dem studentischen Milieu. Viele waren zuvor beim Studierendenverband Students for a Democratic Society (SDS) oder in Organisationen der schwarzen Befreiungsbewegungen aktiv. Über Organisierungsprozesse und den Aufbau selbstverwalteter Strukturen nahm die YLO Einfluss auf die Nachbarschaft.

Im Stadtteil East Harlem gab es vor allem im Alltag Probleme, so etwa mit der städtischen Stadtreinigung, die nur unregelmäßig den Müll einsammelte. Im Sommer 1969 räumten die Young Lords selbst Gehwege und Straßen frei, weil sich der Abfall türmte. Nachdem die Behörden trotz mehrmaliger Aufforderung nicht mit dem Abtransport der Müllberge begonnen hatten, errichteten die Young Lords gemeinsam mit Anwohner_innen aus dem Unrat Straßenbarrikaden und setzten sie in Brand.

Die wiederholten Proteste gipfelten in Ausschreitungen und heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. In den ganzen USA wurde über den »Müllaufstand« berichtet, an dem sich tausende Bewohner_innen East Harlems beteiligten. Die Behörden gaben dem Druck der Straße nach.

Interne Konflikte und Auflösung der YLO

Der YLO war es gelungen, Teile der puerto-ricanischen Community zu aktivieren und sie entwickelte weitere soziale Projekte wie kostenloses Frühstück für Kinder, Kleiderbörsen und Kinderbetreuungen. Im Winter 1969/70 besetzten sie eine Kirche im Zentrum East Harlems. Sie erklärten die Kirche zur »people's church«; während der elftägigen Besetzung kamen mehrere tausend Anwohner_innen und nahmen die dortigen sozialen Angebote wahr. Außerdem gab es Vorträge über die indigene Bevölkerung Puerto Ricos, Widerstandskämpfe gegen den spanischen und US-amerikanischen Kolonialismus oder die afro-puerto-ricanische Kultur.

Die Kämpfe um Gesundheitsversorgung wurden zu einem zentralen Feld der politischen Arbeit der YLO. Krankenhäuser in Vierteln mit vorwiegend afroamerikanischer, asiatischer oder puerto-ricanischer Einwohnerschaft waren in der Regel mangelhaft ausgestattet. Besonders Frauen litten unter diesen Bedingungen, nicht selten wurden beispielsweise Sterilisierungen ohne deren Wissen oder Einwilligung durchgeführt. In einer Aktion kaperte die YLO einen Truck, dessen Anhänger als mobile Praxis mit einer Röntgenstation ausgestattet war, und stellten ihn für die Untersuchung von Tuberkulosekranken zur Verfügung. Außerdem eröffneten sie ein selbstorganisiertes Zentrum für Drogenentzug.

Schon 1972 begannen interne Auseinandersetzungen über die politische Ausrichtung der YLO. Es gab Streit über die politische Kultur zwischen dem eher studentisch geprägten Milieu der Young Lords in New York und den Aktiven in Chicago, die sich zumeist in Jugendgangs politisiert hatten. Letztlich setzte sich in New York das marxistisch-leninistische Lager durch, das den politischen Fokus auf die Mobilisierung der Arbeiterklasse legte.

Als revolutionäre Arbeiterpartei existierte dieser Zusammenschluss noch einige Jahre. Er hatte jedoch die Verankerung innerhalb der Community verloren und damit kaum noch gesellschaftliche Relevanz. Stark sinkende Mitgliederzahlen sowie ein autoritärer Führungsstil führten 1976 letztendlich zur Auflösung. Einzelne Mitglieder der Young Lords blieben jedoch weiter in Community-Projekten oder Unabhängigkeitsbewegungen aktiv - zum Teil bis heute. Von einzelnen Mitgliedern gibt es (biografische) Veröffentlichungen sowie Dokumentarfilme über ihre Zeit bei den Young Lords.

In der nachfolgenden Zeit hat es auch in den USA immer wieder puerto-ricanische Unabhängigkeitsbewegungen gegeben, wie die bewaffneten Untergrundorganisationen Macheteros oder MIRA (Movimiento Independista Armada), die in den 1970er und 1980er Jahren militante Aktionen gegen staatliche Einrichtungen verübten. Bis heute sitzen politische Gefangene aus Puerto Rico in US-Gefängnissen, am bekanntesten ist wohl Oscar López Rivera, der 1981 wegen »Vorbereitungen zum Umsturz« verurteilt wurde.

Anita Starosta hat in Köln Lateinamerikawissenschaften studiert.

Zur Geschichte Puerto Ricos

Das Verhältnis zwischen Puerto Rico und den USA ist bis heute von (post)kolonialen Strukturen sowie einer politischen und ökonomischen Abhängigkeit geprägt. Mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 wechselte die Kolonialmacht, und die Karibikinsel gehört seitdem zum nicht inkorporierten Außengebiet der USA. Der US-Präsident ist Staatsoberhaupt, die US-Regierung für Außenpolitik, Währung und Militär zuständig. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts besitzen Puerto-Ricaner_innen die US-Staatsbürgerschaft. Wegen der Lage im Karibikraum, der Nähe zu Kuba und nach Lateinamerika ist Puerto Rico von besonderer geostrategischer Bedeutung für die USA. Auf zugehörigen Nachbarinseln befinden sich große Stützpunkt des US-Militärs, bis 2003 wurden dort unter anderem Bombentests durchgeführt. Die Unabhängigkeit der Insel vom US-Kolonialismus war von Beginn an Ziel unterschiedlicher Parteien und (bewaffneter) Unabhängigkeitsbewegungen auf Puerto Rico und in den USA.