PEGIDA: Neue Qualität, örtlich begrenzt
Rechte Mobilisierung Was in Dresden erfolgreich ist, stockt beim Export in andere Städte
Von Felix Korsch
Auch wer das sogenannte Abendland nicht in Gefahr sieht, hat sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass sich dessen selbst berufene Verteidiger_innen in Größenordnungen sammeln, die bisher als unwahrscheinlich galten. Bereits gewohnt ist der Gedanke, dass die Bedrohung, die sie fürchten, »Islam« heißt, und sie meinen, dass er durch Migrant_innen getragen werde, die durch zunehmende Zahl für eine sukzessive »Islamisierung« sorgen.
Die neue Bewegung, die diesen Zirkel schließt, heißt »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (PEGIDA) und ihr Standort ist Dresden. Seit dem 20. Oktober vergangenen Jahres finden dort - mit bisher nur einer Pause - wöchentliche »Spaziergänge« statt, die fortgesetzt werden sollen, bis »die Politik sich ändert«. Gemeint ist die Asylpolitik, gemeint ist eine Änderung hin zu einer strikteren Regulierung. Insoweit sind die politischen Forderungen von PEGIDA konventionell zu nennen. Zu bestaunen ist dagegen, dass es sich bei den Demonstrierenden augenscheinlich - repräsentative Erkenntnisse stehen noch aus - um ein politisches Spektrum handelt, das zuvor weder in dieser Breite erschienen noch mit derartiger Mobilisierungskraft ausgestattet war. Das ist das eine.
Das Andere ist: Seit Dezember entstanden über die Republik verteilt mehr als 20, jeweils nach eigener Behauptung »offizielle« PEGIDA-Ableger sowie mehrere Dutzend weitere, die das zumindest sein wollen oder kurzzeitig waren (KÖGIDA, DÜGIDA, BOGIDA). Hinzu kommen Lookalikes unter anderem in Frankreich, Großbritannien, Italien, Österreich, Schweden und der Schweiz. Aber die Mehrzahl dieser Bestrebungen fristet eine virtuelle Existenz und betätigt sich, so weit erkennbar, als Multiplikatorin in sozialen Netzwerken.
Deren Wirkung ist nicht zu unterschätzen. Doch wo immer diese Ableger bisher versucht haben, auf die Straße zu gehen, blieben es derer viel weniger als in Dresden. In keinem Fall konnte eine Mobilisierungswelle initiiert werden, die dem sächsischen Original auch nur nahegekommen wäre. Zu dem ersten Befund über den Aufschwung der PEGIDA-Bewegung kommt somit ein zweiter, der ihm zu widersprechen scheint und insoweit nicht weniger erstaunlich ist: Die Bewegung tritt trotzdem auf der Stelle und ist, so weit sie sich des Versammlungswesens bedient, buchstäblich ver-ortet.
Warum ausgerechnet Dresden?
Dass der Schauplatz ausgerechnet Dresden heißt, verleitet zu unterschiedlich naheliegenden Überlegungen, welche Faktoren zu einem Erfolg der Bewegung gerade hier beitragen. In die bislang zumeist feuilletonistische Auswahl geraten mehr oder minder signifikante Eigenschaften, die der sächsischen Landeshauptstadt, dem Freistaat Sachsen oder in längerer historischer Linie gleich dem ganzen Ostteil der Republik zugeschrieben werden.
Die ausgesuchten Spezifika rekurrieren, rückwärts gerichtet, auf den autoritären Erbteil der Machtverhältnisse im Osten, auf das christdemokratische Fast-Alleinerbe in der sächsischen Landesregierung oder eine noch konservativere Prägung einiger in der Stadt und ihrem Umland ansässigen Bevölkerungsteile. Das ist alles diskutabel, aber nichts davon bezeichnet ein Alleinstellungsmerkmal Dresdens: Es ist vor allem nicht so, dass es dort keine im progressiveren Bürgertum goutierte oder gar dort hineingewachsene linke und zivilgesellschaftliche Protestkultur gäbe. Sie ist, ganz im Gegenteil, an den jährlichen Neonazidemonstrationen rund um den 13. Februar geschult und gewachsen.
Es handelt sich aber auch um eine ungleichzeitige Entwicklung, die das Zustandekommen des einst größten Neonaziaufmarsches Europas - und damit die Etablierung des Demonstrationsstandortes Dresden - begünstigt hat. Diese Spezifik ist ursächlich nicht eine der Landschaft und ihrer Leute, sondern begründet sich im normalisierten bis professionalisierten Gebrauch des Versammlungswesens durch, zunächst, Akteure der extremen Rechten. Zu den Orten, in denen sie Erfolge hatten, zählt insbesondere Dresden: Hier waren demonstrative Ausdrucksformen mit Massencharakter für die extreme Rechte zwar selten, aber möglich. Das weitere Spektrum der politischen Rechten hat solche möglichen Manifestationen gleichsam nicht angestrebt. Dann kam PEGIDA.
Statt in der Ungleichzeitigkeit der Entwicklung ein Zurückbleiben Dresdens zu erkennen, könnte vielmehr eine Normalisierung demonstrativer Ausdrucksformen im Spektrum der nicht-extremen Rechten in weiteren Städten erwartet werden. Sie werden nun gerade dort durch verschiedene PEGIDA-Ableger angewandt, wo das Mittel der Demonstration ebenfalls durch ein extrem rechtes Spektrum erprobt und über dieses Spektrum hinaus akzeptiert ist. Auf Dresden folgen daher planmäßig PEGIDA-Nachahmer in Leipzig (seit 12. Januar) und Magdeburg (ab 19. Januar), bisher aber nicht in weniger stark und weniger regelmäßig aufmarscherfahrenen Städten wie Chemnitz, Halle oder Erfurt.
Bis dato allerdings ließ sich der in Dresden zu beobachtende Zulauf auf überhaupt keine andere Stadt übertragen. An der »Legida«-Demonstration am 12. Januar in Leipzig beteiligten sich zwar laut unterschiedlichen Quellen 3.00 bis 5.000 Menschen; aber damit handelt es sich auch schon um die Oberkante dessen, was außerhalb Dresdens - und abgesehen von den »Hooligans gegen Salafisten« (HoGeSa) am 26. Oktober in Köln - bislang zu beobachten war.
PEGIDA-Positionen sind anschlussfähig
Was wir heute als gesichert annehmen können, gibt David Begrich recht, wenn er als Erklärungsansatz für die Attraktionskraft von PEGIDA gerade in Dresden auf die Anwesenheit einer »Generation Hoyerswerda« verweist, zu deren biografischer Erfahrung gehöre, »rassistische Forderungen auf der Straße durchsetzen zu können«. (Siehe ak 600) Ein dahin gehendes Interaktionsverhältnis zwischen Protestierenden und Landespolitik zu unterstellen, ist im Freistaat Sachsen keine üble Nachrede.
Beinahe synchron mit der Etablierung von PEGIDA hat der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) die Einrichtung einer »spezialisierten Gruppe bei der Polizei« angekündigt, »die sich mit den straffälligen Asylbewerbern intensiv beschäftigen wird«. Es handelt sich um eine gouvernmentale Konzession, die sich erkennbar nicht gegen die Träger und die Forderungen der PEGIDA-Bewegung, sondern gegen dessen Objekte richtet.
Das Sittenbild, das Daniel Lima dahin gehend in ak 600 vom Freistaat zeichnet, illustriert die Zustände bestens, überschätzt aber den Anteil des Neonazismus und verkennt dadurch die Hegemonie der verhandelten PEGIDA-Positionen. Sie begründen gerade keine »Systemopposition« wie die Forderungen des Neonazismus, sondern werden als demokratische Verhandlungsmasse rezipiert. Mit Frank Kupfer war es der CDU-Fraktionsvorsitzende im Landtag, der darum warb, »dass sich alle Beteiligten bei Asyl- und Flüchtlingsfragen an einen Tisch setzen«. Als Gesprächsgrundlage nennt er nicht etwa die Erfahrungen tatsächlich beteiligter Asylsuchender und Migrant_innen, sondern das 19-Punkte-Programm von PEGIDA.
Man kann weiter der Deutung Michael Lühmanns, Politikwissenschaftler am Göttinger Institut für Demokratieforschung, in seinem wütenden ZEIT-Kommentar zustimmen: Das alles ist der Ausweis einer spezifischen politischen Kultur in Sachsen - die durch das neue innerparlamentarische Wechselspiel von Christdemokratie und AfD keineswegs an Profil verliert. Ein vergleichbarer Resonanzraum in der Landespolitik, bis hinein in eine Landesregierung, dürfte andernorts und selbst in Sachsen andernzeits schwer zu finden sein.
Die Frage bleibt aber auch hier, warum es PEGIDA gelungen ist, diesen Resonanzraum von Dresden aus zu erschließen. Die Antwort könnte sich in einem Aspekt verbergen, der in der bisherigen Diskussion über die politische Einschätzung der PEGIDA-Bewegung und des darin repräsentierten Spektrums zu Unrecht hintansteht oder als Banalität vernachlässigt wird: Es handelt sich überhaupt um eine Bewegung, und zwar in dem näheren Sinne, dem eine außerordentliche - so von niemandem vorhergesehene - Dynamik und Mobilisierungskraft zugrunde liegt.
Gerade weil diese quantitative Dimension in der Perspektive heutiger Bewegungsforschung und im Alltagsgebrauch des Bewegungsbegriffs als nachrangig behandelt wird, ist darauf hinzuweisen, dass PEGIDA eine Massenattraktion ausübt und auch eine Massenpublizität erfährt, die der außerparlamentarischen Rechten in der Bundesrepublik sonst nicht in diesem Maße zukommt. Das ist die neue Quantität.
Die neue Qualität ist, dass PEGIDA offensichtlich ein Milieu zu repräsentieren vermag, das bisher ideeller Art und lebensweltlich kaum zu fassen war. Dass es sich jetzt zusammenfindet, ist die eigentliche, die buchstäbliche Bewegung. Sie mag von Beständen der extremen Rechten, vom Neonazismus und von dort her lancierten Kampagnenthemen zehren, aber sie hängt längst nicht von ihnen, vermutlich nicht einmal vom Standort Dresden ab.
Anlass zur Sorge bereiten nicht die Versammlungen an sich, sondern das zu diesem montäglichen Anlass versammelte Spektrum und dessen über Monate anhaltendes Wachstum. Daraus ward PEGIDA in Dresden: Die Bewegung entsteht in einem Prozess der Selbstwiederholung, der in dem Maße, wie er weitere Personen mitreißt, eine zunehmende Selbstermächtigung darstellt und eine Politik der Akklamation ermöglicht. Die Versuche, PEGIDA auf andere Städte zu übertragen, scheitern womöglich deshalb, weil sie keinen solchen Prozess durchlaufen, sondern das fertige Ergebnis nachahmen wollen.
Unübliche Massenattraktion und -publizität
Es mangelt demnach den einzelnen Beteiligten in anderen Städten an involvement, es fehlt der individuelle Anteil am (offenbar nicht abgeschlossenen) Prozess des Bewegung-Werdens und damit das für manche Persönlichkeiten bedeutsame Moment erfolgreicher Selbstermächtigung. Wer das sucht, kann abseits des Originalschauplatzes bislang nur schlechte Reproduktionen finden, die eher dazu gereichen, die Imagination zu widerlegen, man sei »das Volk«. Anteil an dieser Imagination und Identität mit ihr ist derzeit nur in Dresden zu erwerben.
Das alles kann sich noch ändern, der Punkt ist jedoch: Die mithin instrumentellen Reproduktionsversuche in anderen Städten - mal vom »Pro«-Spektrum betrieben, mal aus Schnittmengen von Fanszenen und der extremen Rechten heraus lanciert - sind wohl ein Effekt der PEGIDA-Bewegung, aber nicht sie selbst und bisher auch nicht Ausgangspunkt vergleichbarer Mobilisierungswellen, nicht Kristallisationspunkte strukturbildender Prozesse, keine Bewegung geworden.
Die in Dresden zu beobachtende Bewegung ergibt sich allerdings auch nicht aus einer ehernen Ortsbindung, sondern durch das beteiligte Milieu, aus dem heraus es spätestens seit der Etablierung der AfD gelang, neue politische Akteure zu konstituieren, die in der Zusammenschau ein politisches Spektrum umreißen. Diese Entwicklung ist ihrerseits Ausgang einer politischen Polarisierung, die sich etwa entlang des Sarrazin-Diskurses erzählen ließe, die unter anderem von der Normalisierung des antimuslimischen Rassismus handelt und die - auch die ostentative Pressefeindlichkeit in Dresden kann darüber nicht täuschen - schon immer wortgewaltig war.
Felix Korsch kommt aus Sachsen. Er forscht und publiziert über die außerparlamentarische Rechte.