Snowden ist überall
Aktion In Hamburg fand der 31. Kongress des Chaos Computer Clubs statt
Von Franziska Blendin
Es wird überwacht - überall und alles, was geht. Spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen ist das kein Science-Fiction mehr, sondern Realität. Doch ein kleines Dorf von 12.000 Menschen wehrt sich: der Kongress des Chaos Computer Club, der Ende Dezember in Hamburg stattfand. Der 31C3 ist der 31. Kongress seit 1983. Im Gegensatz zu früher ist der C3 aber kein Treffen von Underdogs mehr, sondern medial omnipräsent. Es wäre leichter aufzuzählen, welche Medien nicht über den C3 berichteten. Das war früher einmal anders. Der Nachrichtensender N24 titelt »Als der Fingerabdruck von Ursula von der Leyen gehackt wurde« und die Süddeutsche hatte die Schlagzeile »Woran die NSA scheitert«.
Die Anwesenden sind für die Medien keine Freaks mehr, sondern Expert_innen. Der C3 ist alles andere als ein »reiner« Technikkongress. Das Klischee von weltfremden Techniknerds, die nichts außer Computer oder Datenschutz im Kopf haben, löst sich auf. Vor allem, weil mittlerweile Computer und Smartphones so alltäglich sind, dass eine Auseinandersetzung mit Datensicherheit und Privatsphäre alles andere als »weltfremd« ist. Zudem wird der Begriff des Hackens auf dem Kongress nicht nur auf Computer bezogen. Hacken bedeutet: auseinandernehmen, verstehen, verändern, experimentieren, Neues schaffen. Deshalb macht auf dem C3 auch in jeder Ecke irgendwer irgendwas, es wird programmiert, gelötet, Star-Trek-Origami gefaltet, ein Podcast aufgezeichnet oder Bier gebraut. Und an jeder Ecke kann etwas gelernt werden.
Dass so viel Wissen an einem Ort versammelt ist, wird ausgenutzt. Wissen wird geteilt. Wenn ich etwas hacken will, aber es nicht kann? Es wird sich wer finden und mir helfen, beim Ausprobieren zur Seite stehen. Auch die Kongresshallen werden für die Zeit des Kongresses verändert. Überall ist Kunst. Die eigene Umgebung wird »gehackt«: Geländer und Gegenstände sind von einem gestrickten Bezug eingehüllt (Strickguerilla), eine Rohrpost führt durch das Congress Center Hamburg (CCH), im Bühnengraben ist ein Bällebad eingerichtet. An die Wände des Radisson-Hotels, gleich neben dem CCH, ist ein Batman-Symbol projiziert. Vor dem Haupteingang steht eine übergroße Rakete.
Die Vorträge finden in den riesigen Sälen des CCHs statt. Gesprochen wird zu Themen, über die später alle reden und Medien berichten werden. Themen sind die Sicherheitslücken in der Telekommunikation (UMTS), Handysicherheit, Wahlcomputer, Verschlüsselung und natürlich »Citizen Four«, der Film von Laura Poitras über Edward Snowden und den NSA-Skandal. Snowden ist in diesen Tagen überall, auf Stickern, Plakaten und in den Talks. (1)
Auf dem C3 wird nicht »geradeaus« gedacht, was eines der großen Potenziale des Kongresses ist. Wo es bei linken Kongressen häufig bei Absichten und kämpferischen Reden bleibt (»man sollte doch mal«), geht man es auf dem 31C3 einfach an, verändert und meckert nicht nur. Und wahrscheinlich ist all das ein Grund dafür, warum jedes Jahr immer mehr Menschen kommen. Nicht nur die 12.000 Teilnehmenden sind überwältigend viel, sondern auch dass etwa 1.000 Helfer_innen dabei sind. Aufgrund der gewachsenen gesellschaftlichen Relevanz von Computertechnik und der gesellschaftspolitischen Ausrichtung des Kongresses kommen auch immer mehr Gruppen und Institutionen zum C3-Kongress, denn es lohnt sich zu kommen, sich zu informieren, Kontakte zu knüpfen.
Viele sehen, dass auf dem C3 etwas passiert, dass sich Dinge verändern lassen, dass sich gemeinsam Probleme beheben lassen - wenn auch häufig technischer Art. Bereits auf kleinster Ebene - beim eigen Smartphone und PC - kann jede_r etwas tun: E-Mails verschlüsseln, die richtigen Programme benutzen, aber eben dadurch auch bei etwas Größerem mitwirken, sich gegen Staat und Überwachung wehren. Auch Kampagnen können der Politik und Waffenfirmen Feuer unterm Arsch machen - was der Vortrag des Zentrums für politische Schönheit sehr eindrücklich bewiesen hat. In Deutschland ist es einzigartig, wie auf dem C3-Kongress gesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Akteur_innen zusammenkommen. Vielleicht wächst da auf Dauer auch was zusammen - aber das wird man sehen müssen. Wünschenswert wäre es.
Franziska Blendin lebt in Frankfurt am Main, ist Bierfeministin mit großer Liebe für Technik, Star Trek und Fußball.
Anmerkung:
1) Einige Vorträge sind unter events.ccc.de/congress dokumentiert.
Was Thema beim C3 war
Signalisierungs System 7 (SS7): SS7 ist eine relativ veraltete Sammlung von Kommunikationsprotokollen, die fürs Festnetz und Internettelefonie verwendet werden - trotz bekannter Sicherheitslücken. Inzwischen ist auch bekannt geworden, dass auch die Kommunikation über das als relativ sicher eingestuften UMTS abgefangen werden kann. Verschlüsselungs-Netzwerk TOR: Das Tor-Netzwerk ist eine Anonymisierungssoftware, die den Datenstrom zufällig über unterschiedliche Server leitet, sodass am Ende nicht mehr nachvollzogen werden kann, von welcher IP-Adresse eine Anfrage kam. Das Surfen wird meist langsamer, aber es funktioniert. Das Projekt existiert seid gut 15 Jahren und ist eigentlich jedes Jahr Thema auf dem C3. Verschlüsselungsprotokolle: Es gibt verschiedene Arten und Weisen des Verschlüsselns. Bisher wurde zumindest angenommen, dass viele sicher sind. Zum Beispiel das SSL-Protokoll, das jeder HTTPS-Seite zugrunde liegt und bei Online-Banking oder Internetshops verwendet wird. Jacob Applebaum und Laura Poitras haben in ihrem Vortrag gezeigt, dass veröffentlichte NSA-Dokumente darauf schließen lassen, dass einige Verschlüsselungsprotokolle mittlerweile mitgelesen werden können, etwa SSL, TLS, SSH, VPN, IPsec.