»Es gibt da keinen kausalen Zusammenhang«
International Ein Jahr nach dem Tod von 15 Migranten in Ceuta fordern antirassistische und Menschenrechtsgruppen weiterhin die juristische Aufklärung
Von Miriam Edding
Am 6. Februar jährt sich die Tragödie von Ceuta zum ersten Mal. Der Tod von 15 Migranten aus Subsahara-Afrika aufgrund eines Einsatzes der spanischen Guardia Civil ist eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Rechtlosigkeit von Migrant_innen an den europäischen Außengrenzen. Ohne politischen Druck steht zu befürchten, dass die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Doch der ist nicht zu erwarten, da die europäische Öffentlichkeit diese Toten kaum zur Kenntnis genommen hat. In Spanien sind die sozialen Bewegungen außerdem zur Zeit vom Widerstand gegen das neue »ley mordaza« (»Maulkorbgesetz«) eingenommen, das faktisch einer Abschaffung der Demonstrationsfreiheit gleichkommt und nebenbei auch die bisher illegalen Pushbacks - sofortige Rückschiebungen von Migrant_innen - erlauben will.
Mit selbstgebastelten Schwimmringen durchs Meer
Am frühen Morgen des 6. Februar 2014 wollten circa 400 Migrant_innen die Grenze nach Ceuta auf dem Weg durchs Meer überwinden. Mit selbstgebastelten Schwimmringen versuchten sie, den ins Wasser hineinragenden Grenzzaun zu umschwimmen oder zu umwaten, um auf der anderen Seite auf spanischem Hoheitsgebiet wieder an Land zu gehen.
Die Guardia Civil postierte sich auf dem schmalen Streifen, auf dem der Grenzzaun ins Wasser gebaut ist, sowie auf der spanischen Seite des Strandes und brachte mehrere Boote zum Einsatz. Zeugenaussagen der Migrant_innen sowie Videos belegen die unglaublichen Szenen, die sich daraufhin abspielten: Die Polizist_innen schossen aus nächster Nähe mit Tränengas und Gummigeschossen auf Menschen, die sich in einer großen Gruppe watend und schwimmend im Wasser befanden. Sie knüppelten auf Menschen ein, die verzweifelt versuchten, sich an den Steinen der Grenzmole oder an den Booten festzuhalten, um nicht zu ertrinken. Panik brach aus und die zurückgedrängten Migrant_innen trafen auf diejenigen, die noch versuchten, Richtung Spanien zu schwimmen.
Durch das Tränengas ohnmächtig gewordene Menschen trieben in unzulänglichen Plastikringen auf dem Wasser, und die Boote der Guardia Civil fuhren mit hoher Geschwindigkeit zwischen den in Panik geratenen Menschen umher. Migrant_innen versuchten mit letzter Kraft, ihre durch Gummigeschosse am Kopf verletzten Freunde an Land zu bringen. »Ich watete über die Körper meiner Brüder«, berichtete geschockt einer der Überlebenden.
Mindestens 15 Tote waren die Folge dieses »Grenzschutzeinsatzes«. Die Leichen wurden teilweise direkt während des Geschehens auf der marokkanischen Seite angetrieben oder von den Migrant_innen selber aus dem Wasser geborgen. Oder sie wurden in den folgenden Tagen in Marokko an den Strand gespült. Die Migrant_innen, die es an den Strand von Ceuta geschafft hatten, wurden zum Teil brutal geschlagen und direkt zurück nach Marokko verfrachtet.
Hartnäckige Aufklärung
Sobald die Nachricht von den Toten bekannt wurde, leugnete die Guardia Civil jede Verantwortung - im Gleichklang mit dem spanischen Innenminister Jorge Fernandéz Díaz, der in einem seiner ersten Statements erklärte: »Es gibt da keinen kausalen Zusammenhang« (zwischen dem Agieren der Guardia Civil und den Toten). Die Polizei stritt schlichtweg ab, dass es einen Zusammenhang zwischen ihrem Handeln und den Toten gebe: Man habe weder Gummigeschosse noch Tränengas eingesetzt. Kein spanisches Boot sei in marokkanische Gewässer gefahren, um Migrant_innen zurückzuschieben.
Und da kein einziger Migrant spanisches Territorium erreicht habe, könnten auch die illegalen Pushbacks nach Marokko schlichtweg nicht stattgefunden haben. Da alle Toten in marokkanischen Gewässern angeschwemmt wurden, habe Spanien nichts damit zu tun. Die Guardia Civil scheute auch nicht davor zurück, die zur Aufklärung angeforderten Videos ihrer Überwachungskameras zu manipulieren, indem sie zentrale Stellen aus den Videos kurzerhand herausschnitt.
Erst die hartnäckige Arbeit von Journalist_innen und Menschenrechtsorganisationen, die die Vorfälle mit Videokameras gefilmt hatten und genaue Zeugenaussagen von den überlebenden Migrant_innen aufnahmen, zwang die spanischen Behörden dazu, ihre Version der Geschichte Stück für Stück zu revidieren. Jeder einzelner Tatbestand wurde so lange abgestritten, bis eindeutige Beweise vorlagen und sich die Lügen nicht mehr aufrechterhalten ließen. Bisher wurde als einzige Konsequenz der Kommandant der Guardia Civil in Ceuta, Andres López Garcia, nach Sevilla »strafversetzt«.
Der Tod von 15 Menschen als direkte Konsequenz des Einsatzes von Grenzpolizist_innen löste nur kurzzeitig auch international Betroffenheit aus. Die damalige EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malström, kritisierte den Einsatz und stellte den offensichtlichen Zusammenhang zwischen den Toten und dem Polizeieinsatz her. Die Gewerkschaft der Guardia Civil reichte als Reaktion darauf eine Klage gegen Malmström wegen Beleidigung ein, die aber von den spanischen Gerichten aus formalen Gründen nicht angenommen wurde.
Mit einem Verfahren ist dieses Jahr zu rechnen
Spanische Menschenrechtsorganisationen strengten eine Klage gegen die Guardia Civil an, die vom ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) in Berlin unterstützt wird und vor wenigen Wochen von einer Richterin in Ceuta an das zuständige Gericht auf dem spanischen Festland verwiesen wurde.
Die Klage und die Aufklärung der spanischen Öffentlichkeit über das tatsächliche Agieren der Guardia Civil sind der Arbeit einiger weniger spanischer Organisationen zu verdanken. Die Menschenrechtsorganisation Caminando Fronteras aus Tanger erstellte nach dem 6. Februar eine Dokumentation mit Zeugenaussagen von Migrant_innen und medizinischen Diagnosen der Wunden der Migrant_innen durch eine Ärztin. Sie half bei der Identifizierung der in Marokko angetriebenen Leichen.
Denn oft werden Migrant_innen, die beim Versuch, die Zäune zu überwinden, sterben, einfach namenlos auf marokkanischen Friedhöfen begraben. Die marokkanische Polizei hätte sich nie um eine Aufklärung der Tode bemüht und die Migrant_innen selbst haben keine Möglichkeit, sich selbst bei den gröbsten Menschenrechtsverletzungen wie dieser zur Wehr zu setzen. Der Zugang zu rechtlichen Schritten ist ihnen allein komplett unmöglich gemacht. Auch ohne die detaillierte Berichterstattung der spanischen unabhängigen Onlinezeitung eldiario wäre das Innenministerium mit seiner Vertuschungsstrategie durchgekommen.
Trotzdem steht zu befürchten, dass die spanischen Sicherheitsbehörden keine Konsequenzen zu befürchten haben. Ohne - und wahrscheinlich selbst mit - größtem öffentlichem Druck ist eine Verurteilung der Guardia Civil vor einem spanischem Gericht sehr unwahrscheinlich. Aber das in diesem Jahr zu erwartende Verfahren stellt zumindest den Versuch dar, den Toten von Ceuta und ihren Angehörigen Gerechtigkeit zu verschaffen und die systematischen Rechtsbrüche an Spaniens Grenzen nicht einfach durchgehen zu lassen.
Zum ersten Jahrestag der Tode in Ceuta haben verschiedene Organisationen zu Gedenkaktionen aufgerufen. In Ceuta und im marokkanischen Tanger organisieren spanische Gruppen zusammen mit Migrant_innen, marokkanischen Menschenrechtsorganisationen und europäischen Flüchtlingsaktivist_innen Aktionstage direkt an der Grenze.
Vom 5. bis zum 8. Februar findet zudem in Berlin das Treffen der internationalen Sans-Papiers-Koalition CISPM statt unter dem Motto »Stop War On Migrants«. In Workshops und mit einer großen Demonstration am 6. Februar soll der Toten von Ceuta gedacht werden. Auch in Düsseldorf sollen eine Gedenkkonferenz sowie Aktionen vor der spanischen und der marokkanischen Botschaft stattfinden.
Miriam Edding arbeitet für die Stiftung:do und als Aktivistin zur Situation an den europäischen Außengrenzen.