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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 602 / 17.2.2015

Push back Frontex!

Aktion Unter diesem Motto fordert eine Kampagne die Abschaffung der »Grenzschutzagentur«

Von Britta Rabe

Kurz vor Ende des letzten Jahres beherrschten zwei »Geisterschiffe« die Schlagzeilen. Die Frachtschiffe »Ezadeen« und »Blue Sky M« waren führerlos mit jeweils mehreren Hunderten Flüchtlingen an Bord vor der Küste Italiens aufgegriffen worden. Das unter der Flagge Sierra Leones fahrende Schiff »Ezadeen« trieb am 26. Dezember mit 450 Migrant_innen aus Syrien vor der Küste Italiens und wurde von einem Schiff der Frontex-Mission Triton in einen Hafen Kalabriens gebracht. Zwei Tage vorher wurden 796 Flüchtlinge von dem Frachter »Blue Sky M« vor Süditalien gerettet. Er fuhr mit Autopilot und war fünf Tage zuvor noch vor der türkischen Küste gekreist, um Passagiere einzusammeln und dann Richtung Westen zu fahren. Bereits Mitte Dezember 2014 hatte die italienische Marine einen Frachter mit 850 Flüchtlingen an Bord nach Sizilien abgeschleppt.

Für die EU-Grenzschutzagentur Frontex sind die »Geisterschiffe« ein weiterer willkommener Beweis für die ansteigende Skrupellosigkeit »krimineller Schleuserbanden«. Sämtliche Medien übernahmen einhellig ihre Empörung über den »neuen Grad der Grausamkeit«, mit dem Schleuser die Flüchtlinge auf den Frachtern ohne Treibstoff und Crew zurückgelassen hätten und damit riskierten, dass die Schiffe mit anderen Booten zusammenstoßen oder auf Felsen auflaufen würden. Doch der Diskurs um die »Geisterschiffe«, mit denen Schleuserbanden bewusst die Gefahr für Leib und Leben von Flüchtlingen in Kauf nehmen und zugleich riesige Gewinne machen, lenkt ab von der eigentlich nötigen Diskussion um Fluchtursachen und eine zu verändernde Flüchtlingspolitik.

So ist nicht nur die Bezeichnung »Geisterschiff« unpassend, denn die Fluchttransporte werden zwar ohne Steuermann aufgefunden, sind jedoch bei weitem nicht verlassen, wie die Bezeichnung suggeriert - haben sie doch stets Hunderte von Menschen an Bord, die in Hoffnung auf ein besseres Leben dem Krieg entfliehen. Zudem zwingt erst die Kriminalisierung als Schleuser die Schiffscrew dazu, beim Nähern der italienischen Küste in der Menschenmenge unterzutauchen oder das Schiff gar ganz zu verlassen.

Auch sind die großen Frachter ja nicht unsichtbar, sondern weithin sichtbar und müssen daher nicht fürchten, auf dem gut überwachten Meer übersehen zu werden oder gar unbemerkt die Küste Italiens zu rammen - sie werden schneller entdeckt und daher eher gerettet als kleine auf dem Meer treibende Boote. So profitiert vom Diskurs um die »Geisterschiffe« vor allem Frontex mit der weiteren Legitimation ihrer Operation Triton und der Kriminalisierung von Schleusern.

Aufruf zum Sterbenlassen auf See

Verantwortlich für den tausendfachen Tod auf See sind jedoch nicht professionelle Fluchthelfer, sondern zuallererst das EU-Grenzregime und dessen treibende Kraft Frontex. Wären die Grenzen offen und nicht hochgesichert und könnten Flüchtlinge sich gewöhnliche Fähr- und Flugtickets kaufen und damit so sicher und kostengünstig wie Tourist_innen reisen, wäre das Sterben auf See schon morgen Geschichte und »Schleuserbanden« wären arbeitslos. Zwar sind die als Fluchttransporte genutzten Fracht- und Handelsschiffe aufgrund ihres oft hohen Alters nicht ausreichend sicher, doch ist für Flüchtlinge die Überfahrt in kleinen Booten seit dem Ende der Operation Mare Nostrum ungleich gefährlicher.

Mare Nostrum, das Seenotrettungsprogramm der italienischen Marine, war nach dem Bootsunglück vor Lampedusa im Oktober 2013 ins Leben gerufen worden; in seiner Laufzeit wurden im zentralen Mittelmeer mehr als 170.000 Boatpeople gerettet. Es wurde Ende Oktober 2014 offiziell eingestellt und durch die Operation Triton der EU-Grenzschutzagentur Frontex ersetzt. Deren 25 Schiffe und neun Flugzeuge sollen - geht es nach Frontex - nur noch in der engen 30-Meilen-Zone vor der italienischen Küste fahren. Bislang können sie von der italienischen Seenotrettung zur Unterstützung von Einsätzen bis hin zur libyschen Küste angefordert werden.

Seit November, dem Beginn der Triton-Mission, kamen über 16.000 Boatpeople in Italien an - zu viele für Klaus Rösler. Der Deutsche ist seit 2008 bei Frontex als Direktor für die Abteilung Einsatzangelegenheiten tätig und fordert in einem Brief vom 9. Dezember 2014 das italienische Innenministerium auf, die italienischen Rettungen einzustellen: Die Schiffe von Marine und Küstenwache dürften nicht »außerhalb des operativen Gebietes von Triton« fahren, um dort Booten in Seenot Hilfe zu leisten. Derartige Anweisungen »entsprechen nicht dem operativen Plan« von Frontex. Nicht jedem SOS-Ruf sei zu folgen, allein schon aufgrund der Kosten. Rösler verweist zudem auf die Verantwortung der libyschen Küstenwache, die aber real wegen der dortigen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht mehr existiert. Im Klartext heißt das: Mit Klaus Rösler wurde von höchster Stelle der EU-Agentur direkt dazu aufgerufen, Menschen einfach sterben zu lassen.

Frontex führt offiziell seit 2005 für das EU-Grenzregime »Operationen« an See- und Landgrenzen durch und ist auch innerhalb von Staaten tätig, wie zuletzt mit der Kontroll- und Festnahmeaktion Mos Maiorum. (Siehe ak 599) Die inzwischen für ihre aggressive Abschreckungspolitik berüchtigte EU-Institution Frontex ist maßgeblich am Grenzüberwachungssystem Eurosur beteiligt und auch für die Koordination und Ausbildung des Grenzschutzes zuständig. Das schlechte Image veranlasste Frontex vor einigen Jahren zur Einrichtung eines beratenden Gremiums, das unter anderem mit Menschenrechtsorganisationen und Institutionen wie Amnesty International und Caritas besetzt ist.

Zehn Jahre Frontex: kein Grund zum Feiern

Seinen schlechten Ruf aufzupolieren, soll Frontex nicht gelingen. Die zentrale Rolle der »Grenzschutzagentur« beim Sterbenlassen auf See und speziell ihre Versuche unter der Ägide von Klaus Rösler, die Rettungen der italienischen Marine und Küstenwache zu verhindern, nehmen jetzt verschiedene antirassistische Initiativen und Netzwerke in den Fokus: Pünktlich zum zehnten Geburtstag von Frontex fordert eine transnationale Kampagne unter dem Motto »Push back Frontex!« deren Abschaffung und stattdessen Bewegungsfreiheit für alle und überall. (1) Erfahrungen aus erster Hand steuert das Alarmphone-Projekt von Watch the Med bei; es konnte in einem halben Jahr Einsatz bereits bei mehreren Booten in Seenot intervenieren und dies publik machen. (Siehe ak 599)

Eine erste Gelegenheit, um Frontex anzugehen, bietet sich auf dem Europäischen Polizeikongress in Berlin. Am 25. Februar spricht dort Klaus Rösler über »Grenzkontrollen als Element von Europäischem Sicherheitsrahmen und Migrationsmanagement - die Herausforderung Mittelmeer«. Die geplante Aktion in Berlin ist der Auftakt für eine Reihe von Aktionen gegen Frontex. Weitere Aktivitäten werden für den 18. März in Frankfurt zur Einweihung der neuen Europäischen Zentralbank vorbereitet, für Ende März auf dem Weltsozialforum in Tunis und für April in Straßburg.

Britta Rabe schrieb in ak 591 über die No-Border-Konferenz in Frankfurt.

Anmerkung:

1) Als Pushbacks werden die Angriffe der griechischen Küstenwache auf Flüchtlinge in Booten bezeichnet, um diese mit Gewalt an der Landung an der griechischen Küste zu hindern. Da Griechenland Teil des Operationsgebiets von Frontex ist, ist die EU-Grenzschutzagentur für diese Taten mitverantwortlich.