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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 602 / 17.2.2015

Ein Sekt auf die Partei und dann zur EZB

Blockupy Die Proteste gegen die EZB-Eröffnung sind eine Möglichkeit, die durch SYRIZA und Podemos ausgelösten Risse im Krisenmanagement auch im Zentrum der EU zu vertiefen

Von Nikolai Huke

Zwei Positionen stehen in den aktuellen Debatten um die Parteien SYRIZA und Podemos gegeneinander. Die eine geht davon aus, eine Regierungsübernahme linker Parteien biete »die beste Chance auf einen echten Wandel in Europa seit langer Zeit« (Griechenland entscheidet) (1) und sei der Moment, in dem »Machbarkeit von Geschichte wieder mehr als ein linkes Gerücht« (Mario Neumann und Margarita Tsomou in ak 601) werde. Die Parteien seien damit heute einer der »Orte der demokratischen Revolution ... und vermutlich auch der wichtigste« (Raul Zelik). (2) Die andere argumentiert, dass »die entscheidende Kraft für substanzielle Veränderungen ... nach wie vor die Bewegungen (bleiben). Auf der Straße, in den Stadtvierteln und Betrieben, nicht in den Parlamenten« (Heike Schrader in ak 601). Kritisiert wird hier die »Leichtigkeit, mit der derzeit die Parteipolitik als Abkürzung zur Revolution präsentiert wird« (John Mallory und Juan Mirand). (3) Die erste Seite kontert dies mit dem Vorwurf einer »pseudoradikalen deutschen Leier der Reformismuskritik, die immer nur die kompromisslose Treue zu einem Projekt beschwört, das in Wirklichkeit gar nicht existiert« (Neumann/Tsomou).

Anhand von vier Thesen wird im Folgenden gezeigt, dass beide Positionen tendenziell in die Irre führen: Einerseits ist die Übernahme der Staatsapparate nicht der einzige gangbare Weg, um die alltäglichen Lebensbedingungen zu verbessern und politische Veränderungen durchzusetzen. Der Staat ist darüber hinaus, wie die ehemalige Grüne Verena Krieger 1991 treffend formulierte, »kein Fahrrad, auf das man sich einfach setzen und in beliebiger Richtung losradeln kann«, und die Regierung nicht das »Hauptquartier der Macht« (Mario Candeias und Eva Völpel). (4) Andererseits blieben die Erfolge von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften im Kampf gegen Austerität und alltägliche soziale Krisen bisher begrenzt. Linke Parteien und Regierungen könnten hier durchaus die Spielräume für politische Veränderung erweitern.

Für soziale Bewegungen im Zentrum der EU - etwa in Deutschland oder Österreich - folgt aus diesen Dynamiken eine doppelte Notwendigkeit: Einerseits gilt es, das politische Projekt von SYRIZA und Podemos gegenüber den Apologeten der Austeritätspolitik zu verteidigen. Solidaritätskampagnen wie »Griechenland entscheidet« sind hier ein erster Schritt. Andererseits - und das ist sicher die herausforderndere Aufgabe - bleibt es auch weiterhin notwendig, eine parteiunabhängige Handlungsfähigkeit im Alltag, im Betrieb und im medialen Diskurs aufzubauen, die in der Lage ist, als Gegenpol zu den Zumutungen der Austerität und als Korrektiv zu linken Parteien und Regierungen zu fungieren. Teil davon ist auch eine Fortsetzung und Revitalisierung linker europäischer Krisenproteste und basisdemokratischer Vernetzung, für die gegenwärtig etwa die geplanten Blockupy-Proteste vor der EZB am 18.03.2015 stehen.

Alternativen zur Regierungsübernahme

Soziale Bewegungen, erklärt Mario Neumann in ak 593, seien in der Eurokrise durch ein »bloß symbolisches Politikkonzept« geprägt und beschränkten sich auf »letztlich erfolglose Abwehrkämpfe«. In ak 601 gestehen Neumann und Tsomou den Bewegungen immerhin zu, »tiefe Spuren im gesellschaftlichen Alltag hinterlassen« zu haben. Gleichwohl sei die Regierungsübernahme linker Parteien die einzige »realitätsgerechte strategische Alternative. Wir könnten uns das anders wünschen. Es ist jetzt aber so«. Die hier deutlich werdende Geringschätzung des politischen Potenzials alltäglicher Kämpfe und sozialer Bewegungen - sofern diese nicht in einer Übernahme der Staatsapparate münden - ist mit Blick auf die Entwicklungen in der Eurokrise mehr als fragwürdig.

Beispiele hierfür sind etwa die spanische Plattform der Hypothekenbetroffenen, der es in vielen Fällen gelang, die alltäglichen Wohn- und Lebensbedingungen von Betroffenen konkret zu verbessern; die Selbstorganisierung von Gesundheitsbeschäftigten (marea blanca), die in Madrid erfolgreich das öffentliche Gesundheitssystem gegen die Privatisierungspläne der Regierung verteidigte oder die medizinische Versorgung von Illegalisierten im Rahmen der Kampagne yo SÍ Sanidad Universal, nachdem diese im Zuge der Austeritätspolitik der rechtskonservativen PP-Regierung in Spanien den Zugang zum Gesundheitssystem verloren hatten. Soziale Bewegungen sind damit deutlich mehr als nur (potenzielle) Steigbügelhalter linker Wahlerfolge und Regierungen.

Potenziale von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften aufzuzeigen, heißt jedoch gleichzeitig, ihre Grenzen ernst zu nehmen. Formen der Selbstorganisation von Bevölkerung und Beschäftigten - etwa in der 15M-Bewegung oder den mareas - entwickelten nur temporär eine massenhafte Anziehungskraft und blieben prekär. »Kleine große Siege« (Ada Colau/Adrià Alemany) und konkrete Verbesserungen im Alltag zu erreichen, gelang gegenüber den kontinuierlichen austeritätspolitischen Attacken und den mit ihnen einhergehenden Verschlechterungen nur in Einzelfällen.

Gewerkschaften waren trotz dauerhafter - teils kämpferischer - Mobilisierungen und Streiks kaum in der Lage, effektiv Widerstand gegen die Demontage der Tarifsysteme und einen weiteren Machtverlust auf politischer und betrieblicher Ebene zu leisten. Vor diesem Hintergrund auf »antikapitalistische Agitation und das prozesshafte Herausarbeiten einer linken gesellschaftlichen Vision«, »Selbstorganisation und kollektive Organisierung, nicht als Nischenpolitik, sondern als Breschen gegen den kapitalistischen Alltag« und schließlich eine »offensive Auseinandersetzung mit rechten Krisenakteuren und ihren gesellschaftlichen Ursachen« (Mallory/Miranda) zu setzen, ist sicherlich nicht falsch. Eine Antwort auf bisherige Krisen und Schwächen von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen ist diese Strategie jedoch nur begrenzt.

Die Regierung ist kein Hauptquartier der Macht

Linke Parteien und Regierungen können hier hingegen neue Spielräume eröffnen, etwa durch den Ausbau von Arbeitnehmerrechten, die De-Kommodifizierung von (Teilen des) alltäglichen Lebens (Wohnraum, Gesundheitsversorgung), die Schaffung sozialer Zentren oder Betriebsübernahmen, aber auch durch einen öffentlichkeitswirksamen und medial präsenten Bruch mit der Behauptung alternativloser Austeritätspolitik. Sie bieten damit die Chance eines destituierenden Prozesses der Vergesellschaftung »von oben«, d.h. einer Einschränkung der Verfügungsgewalt von Staat und Kapital, die wiederum die Möglichkeiten erweitert, diesen auch »von unten« zu forcieren.

Die Möglichkeiten linker Parteien an der Regierung, reale politische Veränderungen durchzusetzen, sind jedoch stark eingeschränkt. Staaten und nationale Regierungen sind zwar »wesentliche Verdichtungspunkte von Macht« (Candeias/Völpel) - das sind jedoch auch Betriebe und der kapitalistisch durchstrukturierte Alltag. Ein strategisches Primat staatlicher Politik (»Hauptquartier der Macht«) ergibt sich daraus nicht. Staaten sind in hohem Maße von strukturellen Disziplinierungsmechanismen durchzogen, die sich aus der Abhängigkeit von Finanz- und Kapitalmärkten ergeben. Durch das austeritätspolitische Krisenregime der EU wird der Spielraum zusätzlich politisch eingeengt. Nicht nur die Frage, »wie linke Utopien Wirklichkeit werden können«, sondern auch das Problem, »wie eine humanitäre Katastrophe bearbeitet werden kann - wie man den abgeklemmten Strom umsonst wieder anschließen und eine Gesundheitsversorgung aller garantieren kann«, sind damit nicht automatisch dadurch gelöst, dass staatliche »Bastionen der Herrschenden gestürmt« (Neumann/Tsoumou) werden.

Die »Abgeschlossenheit des postdemokratischen Parlamentarismus« liegt nicht so sehr darin begründet, dass linke Wahlerfolge nicht möglich sind, sondern hängt zentral damit zusammen, dass der Handlungsspielraum für Regierungen - unabhängig von der Radikalität ihres politischen Programmes und dem Durchsetzungswillen und der Integrität der Regierenden - begrenzt ist. Diese Prozesse der strukturellen Entmachtung repräsentativdemokratischer Institutionen auch in linke strategische Überlegungen einzubeziehen, ist keine »Schulmeisterei«, sondern allein schon sinnvoll, um voreiligen Enttäuschungen vorzubeugen, wenn linke Regierungen nicht mehr erreichen als »einige kleine materielle Verbesserungen für die von der Austeritätspolitik drangsalierte Bevölkerung« (Schrader). Genauso wie jeder Erfolg von SYRIZA gegenüber der scheinbaren Alternativlosigkeit der Austerität die Erfolgschancen linker Parteien und sozialer Bewegungen in anderen Ländern erhöht, birgt sonst jedes Scheitern von SYRIZA - und sei es ein begrenzt erfolgreiches - stets die Gefahr einer Delegitimierung progressiver gesellschaftlicher Veränderung. Dennoch macht es einen Unterschied, wer regiert, wie bereits die ersten Tage nach der Wahl in Griechenland zeigten. So wurde etwa der Mindestlohn erhöht, die Privatisierung des Hafens von Piräus gestoppt und eine Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts in Angriff genommen.

Der Staat ist kein Fahrrad

Die Erfolge sowohl von SYRIZA als auch Podemos wären undenkbar ohne die Protestbewegungen, mit denen die griechische und die spanische Bevölkerung auf die Verschlechterung ihrer alltäglichen Lebensbedingungen durch ökonomische Krisen und Austeritätspolitik reagierten. Beide Parteien begreifen sich als Fortsetzung der außerparlamentarischen bzw. außerinstitutionellen Bewegungen. Innerhalb von Podemos kommt etwa basisdemokratischen »Zirkeln«, d.h. offenen thematischen oder räumlichen Treffen, eine wichtige Rolle zu. Die Zirkel sollen neue Bevölkerungsgruppen aktivieren und, so Íñigo Errejón aus der Führungsriege von Podemos, dazu beitragen die »Widerstandkultur« der sozialen Bewegungen zu überwinden, »die sie der Verpflichtung entbindet, sich mit der konkreten Diskussion, wie die Dinge zu tun wären, zu beschmutzen. Das bedeutet, dass sich die sozialen und politischen Organisationen (zunächst) in Brutstätten der Ideen und der technisch-praktischen Ausbildung verwandeln müssen, um nützlich für eine populäre Regierung der Transformation zu sein.«

Wie José Luis Carretero Miramar in der linken spanischen Wochenzeitung diagonal demgegenüber polemisch erklärt, trat Podemos mit dem Anspruch an, Schnittstelle der Bewegungen für die Wahlen zu sein. Real habe jedoch die »Schnittstelle ... die Bewegung selbst kolonisiert und ersetzt, wodurch sie erstickt wurde, und die Straßen zeigen sich jedes Mal leerer, was nicht durch eine Demonstration im Semester oder durch das Füllen eines Sportstadions für eine Versammlung gelöst werden kann«. Der hier aufscheinende Widerspruch zwischen Partei- und Bewegungslogik tritt nicht zufällig auf, sondern ist systematisch in die Logik der repräsentativen Demokratie eingeschrieben. Wie der ehemalige Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf (DIE LINKE) skizziert, begibt man sich schon »mit der Bildung einer Partei, die sich am parlamentarischen System beteiligt, in institutionelle Zwänge, parlamentarische Rituale und Spielregeln. Sie reichen von der parlamentarischen Geschäftsordnung über die Notwendigkeit der Einhaltung von (bürgerlichem) Recht und Gesetz bis zu durch die Verfassung gezogenen Grenzen des politischen Handels. Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende Druck, der von Medien und veröffentlichter Meinung ausgeht, diese Spielregeln anzuerkennen. (...) Als Bestandteil einer Regierung erhalten die institutionellen Zwänge eine neue Qualität.« (5)

Hinzu kommen innerparteiliche Selektionsmechanismen (die u.a. mit männerbündischen Strukturen verknüpft sein können), die Notwendigkeit einer Minimierung interner Konflikte, um die mediale Wahrnehmung der eigenen Partei nicht zu gefährden, oder Einschränkungen durch Kompromiss- und Koalitionsbildungsprozesse. Dass sich sowohl bei Podemos als auch bei SYRIZA durchaus auch Ansätze einer »straff hierarchisch und zentralistisch organisierten Partei« erkennen lassen, in der die »Basis der Partei mehr und mehr nur noch als Kulisse für die grandiosen Medienauftritte des Parteivorsitzenden« (Schrader) dient, ist etwa kein Zufall, sondern durchaus folgerichtig, wenn man das Ziel verfolgt, die eigenen Chancen auf Wahlerfolge zu maximieren. Gleichzeitig bieten diese bürokratischen Eigenlogiken und Disziplinierungsmechanismen der Staatsapparate stets die Gefahr einer Verselbstständigung auch der wohlwollendsten und radikalsten linken Parteien.

SYRIZA und Podemos eröffnen damit zwar neue Spielräume, sind jedoch kein Ersatz für im Alltag oder im Betrieb handlungsfähige soziale Bewegungen und Gewerkschaften. Events wie die Blockupy-Proteste zur EZB-Eröffnung am 18. März 2015 bieten hier einerseits die Möglichkeit einer kontinuierlichen europäischen Vernetzung unterschiedlicher Kämpfe und Akteure. Andererseits bieten sie die Chance einer diskursiven Intervention gegen die gesellschaftliche Akzeptanz von Austerität im europäischen Zentrum. Sie sind damit eine Gelegenheit, die Brüche und Risse, die sich selbst in Deutschland aus dem Wahlsieg von SYRIZA und den Erfolgen von Podemos ergeben, zu vertiefen und auszuweiten.

Nikolai Huke schrieb in ak 600 über Podemos und forscht über die Eurokrise und die Protestbewegungen in Spanien.

Anmerkung:

1) facebook.com/griechenlandentscheidet

2) raulzelil.net

3) owerclassmag.com

4) Mario Candeias, Eva Völpel: Plätze sichern! ReOrganisierung der Linken in der Krise. Hamburg 2014. Download unter www.rosalux.de/publication/40321. Vgl. ak 597.

5) zeitschrift-luxemburg.de/der-staat-ist-kein-fahrrad

Tracks zum Widerstand

Die Verhältnisse bringt man nicht mit Wahlen oder Abba-Songs zum Tanzen. Aber schon Emma Goldman wusste: »If I can't dance, I don't want to be part of your revolution.« Hier unsere vorläufige Playlist für den 18. März in Frankfurt am Main.

The Clash - My Daddy Is A Bankrobber

Dead Kennedys - Kill The Poor

Motörhead - Eat The Rich

Sleaford Mods - Five Pond Sixty

The Jam - Smithers Jones

Gang Of Four -To Hell With Poverty

Missy Elliott - Get Ur Freak On

Style Council - Shout To The Top

Pulp - Common People

Fauve - Voyon

Ton Steine Scherben - Letzte Schlacht

Peter Licht - Lied vom Ende des Kapitalismus

Tocotronic - Neue Zonen

Jacque Brel - Les bourgeois

M.I.A. - Galang

Beastie Boys - Sabotage

Judas Priest - Breaking the Law

Einstürzende Neubauten - Alles wieder offen

Black Flag - Rise Above

Bernadette La Hengst - Nie mehr vor Mittag

Großstadtgeflüster - Ich muss gar nix

Sleater Kinney - No Cities To Love

Tracy Chapman - Talking About A Revolution

Dackelblut - Edwin Van Der Sar

Talking Heads - Burning Down

Nina Simone - I've got Life

Men - Credit Card Babies