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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 602 / 17.2.2015

Den Bruch mit der Kürzungspolitik übersetzen

Blockupy Den SYRIZA-Wahlsieg zum Ausgangspunkt einer neuen Phase der sozialen Kämpfe machen

Von Lisa Mittendrein

Unabhängig davon, was SYRIZA in den kommenden Monaten noch erreichen kann und wird, stößt ihr bisheriger Weg für Linke außerhalb Griechenlands die Tür zu einem neuen Raum auf. Ob wir die Schwelle auch überschreiten, liegt an uns. Hoffnung ist zwar nicht unbedingt die »Kernkompetenz« linker Politik, aber es ist die Hoffnung, die sich nach sechs Jahren autoritärer Kürzungspolitik am 25. Januar 2015 durchgesetzt hat. Nach sechs Jahren der Entrechtung und Jahrzehnten der Entfremdung von den Versprechen der repräsentativen Demokratie haben die Menschen in Griechenland für die Möglichkeit gestimmt, dass es anders sein kann. Und in Zeiten der Alternativlosigkeit ist das radikal.

Bereits am Tag nach der Wahl überschlugen sich die Ereignisse. Gleich am Morgen wurde die kontroverse Koalition mit der rechten ANEL bekanntgegeben und am Nachmittag Tsipras als Premier vereidigt, einen Tag später folgte das gesamte Kabinett. Die Handlungen dieser ersten Tage wirken genau vorbereitet und vermittelten Durchsetzungskraft und Handlungsfähigkeit. Obwohl die Koalition mit ANEL und der geringe Frauenanteil berechtigte Kritik auslösten, gelang es der Regierung auch wichtige Signale an die Linke auszusenden. So ist Tsipras der erste griechische Premierminister, der die zivile statt der religiösen Vereidigung wählte ebenso wie große Teile des Kabinetts. Er legte außerdem nach der Vereidigung nicht wie üblich Blumen vor dem Kriegerdenkmal nieder, sondern in Erinnerung an die von den Nationalsozialist_innen ermordeten Kommunist_innen. Man mag das für linken Kitsch halten, aber Politik wird eben auch auf der symbolischen Ebene gemacht. Besonders deutlich wurde das, als die neue Regierung per Verordnung den Gitterzaun vor dem Parlament entfernen ließ, die dieses seit einigen Jahren vor den Menschen »schützen sollten«. Bei den Demonstrationen eine Woche später saßen Menschen auf den Stufen des Parlaments.

Wider das Kürzungsdiktat

Die große Frage ist nun: Was kann eine SYRIZA-Regierung eigentlich verändern? 2015 wird wohl nicht das Jahr, in dem sich die Europäische Union (EU) dem Sozialismus zuwendet. Möglich ist jedoch trotzdem Radikales: der Bruch mit der herrschenden Kürzungspolitik und damit neuer Spielraum für linke Politik. Sicher ist, dass die Ereignisse der kommenden Monate ein Lehrstück politischer Strategie für die gesellschaftliche Linke sein werden. Machen sich die taktischen Entscheidungen SYRIZAs für den rechten Koalitionspartner und die unmittelbaren Prioritäten bezahlt? Welche Handlungsmöglichkeiten kann eine linke Regierung innerhalb des rechtlichen und wirtschaftspolitischen Rahmens von EU und Euro erkämpfen? Entsteht zwischen Regierungsparteien, Bewegungen und Gesellschaft eine Dynamik, die radikalere Veränderung möglich macht? Die neue griechische Regierung steht vor zwei Aufgaben: Erstens: innenpolitisch die Linderung der humanitären Krise, den sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbau und erste Schritte hin zu einer radikalen gesellschaftlichen Transformation. Zweitens: auf der europäischen Ebene die unmittelbaren Verhandlungen mit den Gläubigerstaaten und -institutionen sowie der Versuch, das bisherige Kürzungsdiktat aufzubrechen.

Innenpolitisch besteht SYRIZAs erste Priorität darin, ihr Wahlprogramm zur Linderung der humanitären Krise umzusetzen. Dazu gehört der Wiederanschluss von 300.000 Haushalten ans Stromnetz, die Einführung von Lebensmittelmarken, der Zugang zu Gesundheitsversorgung für Nicht-Versicherte und mehr. Einige der Maßnahmen wurden bereits in Angriff genommen, andere wurden bis Ende des Jahres angekündigt - etwa die Erhöhung des Mindestlohns. Der unmittelbare Rückhalt in der Bevölkerung wird sich daran entscheiden, ob es der neuen Regierung gelingt, rasch die unmittelbare Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Darüber hinaus kommt es darauf an, dass sich nicht nur der materielle, sondern auch der politische Spielraum der Menschen erweitert. Radikale Veränderung kann nicht einfach von oben verordnet werden, denn es ist die politische Praxis der Menschen, die die Grenzen der bestehenden Verhältnisse überschreiten muss. Die Aufgabe der Regierung besteht darin, die Rahmenbedingungen für die Ausweitung neuer Formen des Lebens und Arbeitens von unten bereitzustellen. Radikale Veränderung ist nur möglich, wenn sie parallel auf allen gesellschaftlichen Ebenen erkämpft und durchgesetzt wird.

Eine besonders interessante Rolle kann dabei den solidarischen Initiativen zukommen. Als politische Akteur_innen können sie Druck auf die Regierung ausüben, Pläne wie die kostenlose Gesundheitsversorgung oder die Einführung geförderter Wohnungen auch tatsächlich umzusetzen. Wenn emanzipatorische Politik sie von der Notwendigkeit der Selbsthilfe befreit, können sie beispielsweise eine zentrale Rolle in der Neugestaltung der sozialen Sicherung einnehmen. Die Erfahrungen aus der Selbstverwaltung können dazu beitragen, neue Formen der sozialen Absicherung jenseits von neoliberalem Abbau und paternalistischem Wohlfahrtsstaat zu entwickeln. Selbstverwaltete Betriebe und Kooperativen können wertvolles Wissen zur längst überfälligen Neugestaltung des griechischen Genossenschaftsgesetzes bereitstellen. Eine linke Regierung muss aus ihren Erfahrungen lernen und bessere Rahmenbedingungen für solidarisches Produzieren schaffen - die dann von den Bewegungen wieder mit Leben gefüllt und weitergeführt werden können.

Kein Ersatz für Mobilisierung auf den Plätzen

Auf der europäischen Ebene geht es nun einerseits um die unmittelbaren Verhandlungen zu Schuldenerleichterungen und das Ende der Kürzungspolitik. Darüber hinaus geht es auch um die Frage, wie viel Einfluss die linke griechische Regierung auf die europäische Politik nehmen kann. Hinsichtlich der Verhandlungen schlägt SYRIZA eine Übergangslösung, um Zeit für eine Einigung zu gewinnen. Für SYRIZA und die Linke wird dabei elementar sein, dass ein Kompromiss unabhängig von den ökonomischen Aspekten auch auf der symbolischen Ebene keinen Rückschritt darstellt. Die Fesseln, die mit SYRIZAs Sieg zerschlagen wurden, dürfen nicht wieder angelegt werden. Wenn der Eindruck entsteht, dass die Geldgeber_innen weiter direkten Einfluss auf die griechische Politik nehmen, könnte gesellschaftliche Dynamik schnell verloren sein.

Es ist das erste Mal, dass sich eine europäische Regierung dem Kürzungsdiktat entschlossen entgegen stellt. In den vergangenen Jahren waren es die Menschen, die sich ihm massenhaft auf den Plätzen entgegen stellten. Dass dies nun auch eine Regierung tut, hebt die Auseinandersetzung direkt auf die Ebene der europäischen Staaten und somit auf unbekanntes Terrain. Bisher ist völlig offen, welchen Handlungsspielraum eine linke Regierung im Geflecht der europäischen Institutionen, Ministerien und Akteur_innen hat. Eröffnet dieses Netzwerk der Apparate die Chance punktuelle Brüche zu erzeugen oder macht es jede Bewegung abseits der herrschenden Politik unmöglich? In jedem Fall ersetzen die Verhandlungen nicht die Mobilisierung der Menschen auf den Straßen und Plätzen. Sie sind dabei in doppelter Hinsicht wichtig: als Rückhalt für die Regierung in der Konfrontation mit den europäischen Eliten, aber zugleich auch als Druck von unten um zu verhindern, dass die Regierung zurückweicht. Nur wenn die Gesellschaft von unten her diese Regierung als Chance nutzt, um Ansprüche zu stellen, gibt es die Chance, dass daraus mehr wird, als ein reformistisches Projekt unter schwierigen Umständen.

Wie kann nun Griechenland Europa verändern, über technische Lösungen und landesspezifische Lösungen hinaus? Mittelfristig scheinen zwei Wege möglich: über die Rolle der griechischen Regierung und über die Ausstrahlungskraft des Momentums der Veränderung. Ebenso wie die deutsche Regierung nicht nur die Interessen des deutschen, sondern bestimmter Fraktionen des transnationalen Kapitals vertritt, so könnte das griechische Projekt in Europa mehr repräsentieren als nur die Kämpfe vor Ort. Die griechische Regierung könnte zum Kristallisationspunkt und Sprachrohr der Interessen von Arbeitslosen, Lohnabhängigen, Migrant_innen und Bewegungen aus ganz Europa werden. Einen konkreten Anlass zur Konstituierung einer solchen Rolle bietet schon bald das Handelsabkommen TTIP. Weite Teile der Bevölkerung West- und Nordeuropas sprechen sich gegen TTIP aus, während ihre Regierungen dem Projekt zustimmen. SYRIZA ist gegen TTIP und wird es auf der europäischen Ebene bekämpfen.

Wie auf Griechenland sehen viele jetzt hoffnungsvoll nach Spanien, wo Ende des Jahres gewählt wird - und ebenfalls ein radikaler Bruch möglich scheint. Was nun mit Griechenland passiert, wird die Bedingungen für Podemos, die spanische Linke und Bewegungen jedenfalls neu formulieren. So bleibt zum Abschluss die Rolle der breiten Linken im Rest Europas. Die Katastrophe der neoliberalen Krisenpolitik ist direkte Folge unserer Schwäche. Die neue Hoffnung ist nicht unser Verdienst, aber sie ist unsere Chance - und vielleicht die letzte für eine Weile. Es ist jetzt unsere Aufgabe, den Bruch mit der Kürzungspolitik zu übersetzen und die Möglichkeit von Alternativen wieder sicht- und vor allem, erlebbar zu machen. Ganz ehrlich: Noch weiß niemand so recht, wie das gehen soll. Aber wir haben Blockupy! Fahren wir am 18. März nach Frankfurt und versuchen uns dort strategisch neu zu verorten. Machen wir Blockupy zum Ausgangspunkt einer neuen Phase der sozialen Kämpfe.

Lisa Mittendrein ist bei Attac Österreich aktiv.