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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 603 / 17.3.2015

Verhärtete Fronten aufbrechen

Diskussion Eine Replik auf zwei Artikel zur Prostitutionsdebatte in ak 598 und ak 602

Von Marco Pompe

Prostitution ist mit dem neuen Gesetzentwurf wieder Thema in Politik und Medien. Erwartungsgemäß zeigt sich ein Konflikt zwischen Liberalen und Konservativen, aber auch linke Feminist_innen mischen sich auf sehr unterschiedliche Weise ein. »Sexpositive« Queer-Feminist_innen solidarisieren sich mit selbstorganisierten Sexarbeiter_innen, die ihre durch das Prostitutionsgesetz von 2001 erlangten Rechte gegen neue Versuche der Kontrolle und Stigmatisierung verteidigen wollen. Gleich zwei Artikel in ak 598 und ak 602 positionieren sich in der Debatte in diese Richtung und übernehmen dabei sprachpolitisch bewusst den Begriff der Sexarbeit, den Traumatisierte als verletzend empfinden.

Auf der anderen Seite formiert sich ein neuer Radikalfeminismus für ein Sexkaufverbot unter Beteiligung von linken Feminist_innen bzw. Abolitionist_innen. Diese argumentieren mit dem dramatischen Anstieg der Prostitution in Deutschland, der zu einer wieder zunehmenden Verdinglichung von Frauen führe, sowie zu insgesamt mehr physischer und psychischer Gewalt und einer steigenden Zahl von Morden.

Entlang dieser unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen entstand in letzter Zeit ein innerlinker Konflikt, den es um der Notwendigkeit gemeinsamen Handelns willen besonnen auszutragen gilt. Dies zeichnet sich jedoch bisher nicht ab, die Fronten sind verhärtet: Die Abolitionist_innen beschuldigen die Legalisierer_innen, ein implizites Bündnis mit der Zuhälterindustrie einzugehen. Diese wiederum werfen den Abolitionist_innen eine überkommene patriarchale Sexualmoral und die Bevormundung von Sexarbeiter_innen vor.

Beide Vorwürfe scheinen mir nicht gänzlich unbegründet, jedoch sehen beide Seiten jeweils keinen Grund, sich auf die Kritikpunkte einzulassen. Die Abolitionist_innen empfinden die eigene Perspektive als moralisch erhaben über jede Kritik, die Legalisierer_innen sehen sich sachlich im Recht. Beide Seiten sind sehr ungenau und selektiv, wenn es um die Argumente der Gegenseite geht, und ignorieren die Details der Argumentationen, um die innere Stimmigkeit der eigenen Argumentation nicht zu gefährden.

Vielfältige Beteiligte, Interessen und Profiteure

Um in der Debatte voranzukommen, gilt es eine weitere Polarisierung jener Positionen zu verhindern, die den jeweiligen Gegner_innen bereits vorgeworfen werden: zum einen die neoliberale Unterwerfung unter den (Sex-)Markt und das moderne Patriarchat, zum anderen die Hinwendung des Feminismus zu konservativ-autoritären Mustern. Dieser Artikel will einige zentrale Fragen der Debatte nachzeichnen und die Komplexität des Themas aufzeigen.

400.000 Prostituierte und etwa fünf Millionen Freier wurden in Deutschland zuletzt geschätzt. Entsprechend vielfältig und unterschiedlich sind die mit dem Gewerbe verknüpften Interessenlagen, von denen in den aktuellen Diskussionen mal die eine, mal die andere aus dem Blickfeld gerät. Allein die Prostituierten/Sexarbeiter_innen sind in ihren Lebenssituationen, Wünschen, Forderungen und Problemen so unterschiedlich, dass eine einheitliche Politik oder staatliche Regulierung schwierig erscheint. Armutsflüchtlinge, die von kriminellen Banden zur Prostitution gezwungen werden, brauchen eine andere Form der Unterstützung als jene, die von Partnern und Familienmitgliedern ausgebeutet werden.

Auch die Tatsache, ob eine Person über einen »Loverboy« oder plumpen Zuhälter, über Drogenabhängigkeit und Missbrauchserfahrung oder über Neugier und die Verführung des schnellen Geldes in das Milieu gerät, ist entscheidend dafür, wie (un)beschadet sie am Ende wieder aussteigen kann oder nicht - und nicht nur die persönlichen Eigenschaften und Vorlieben, wie zuweilen suggeriert wird.

Sehr divers sind zudem die Profiteure des Geschäfts - von Bordellbetreibern und den Gewerbesteuer einziehenden Kommunen über die unterschiedlichen Typen von Freiern bis hin zu kriminellen Banden - sowie die ganz unterschiedlich motivierten Gegner_innen der Prostitution, von denen keineswegs alle einfach nur unverhältnismäßig moralisieren.

Große Unterschiede gibt es außerdem bezüglich dessen, welcher Anteil des Grauens (Dissoziation, Trauma, Gewalt, Sklaverei, Mord) in der Tätigkeit selbst gründet und welcher den Begleitumständen zuzuschreiben ist. Mit sehr gegensätzlichen Einschätzungen hierzu verknüpfen die beiden Extreme in der Debatte jeweils ihre politischen Forderungen. Sich der Frage gründlich und besonnen zu nähern, scheint nicht gewollt.

Fallstricke in den Argumenten der Legalisierer_innen ...

Ein Knackpunkt in der Argumentation gegen eine Verbotspolitik ist, dass manche Frauen gut mit dieser Arbeit klarkommen würden. Was auf der individuellen Ebene einleuchtet, verliert seine Bedeutung auf der gesellschaftlichen Ebene. In einer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft dem Mann ein verbrieftes Recht auf den Kauf von Frauenkörpern zu gewähren, erscheint vielen Feminist_innen zu Recht als totale Kapitulation vor den Verhältnissen. Wer auf eine emanzipatorische Perspektive Wert legt, kann dieses Missverhältnis von Zugeständnissen an die kapitalistisch-patriarchale Realität nicht einfach wegwischen - auch wenn damit gesellschaftliche Anerkennung und politische Partizipation erkauft werden.

Die Verwendung des Begriffs Sexarbeit veranschaulicht das Problem dieses Trade-offs: Der Begriff suggeriert, seinen Körper als Penetrationsobjekt zu verkaufen sei ein Job wie jeder andere - was unter den gegebenen Umständen zweifellos eine sehr unrealistische Sichtweise ist. Er verschleiert zudem den Umstand, dass die käufliche Penetration den Prostituierten nur in einer verschwindend geringen Zahl der Fälle tatsächlich Lust bereitet, obwohl sie diese permanent vortäuschen müssen, weil Lust anscheinend zum Sex dazugehört. Damit ist der Begriff eher der Werbung, der Selbstdarstellung und dem Umsatz der Branche zuträglich als der gesellschaftlichen Anerkennung von Prostituierten.

Zudem fehlt den Legalisierer_innen offenbar der Blick für die Ambivalenz des Empowerment-Konzepts. Mit ihren von Ökonomiekritik abgekoppelten, anerkennungspolitischen Interventionen laufen sie Gefahr, das eigentliche Herrschaftsverhältnis und das damit verbundene Leid zu verschleiern und so zu reproduzieren. Ann Wiesentals Artikel in ak 602 zeigt, zu welch haarsträubenden Kurzschlüssen ein solcher verkürzter Feminismus führt, wenn sie schreibt, der beste Schutz vor Gewalt und Zwang seien »nicht Zwangsauflagen, sondern die Dekonstruktion des Hurenstigmas.« Sie erläutert selbstverständlich nicht, in welcher Weise die gesellschaftliche Anerkennung eine Prostituierte konkret vor Gewalt schützt.

... und in denen der Abolitionist_innen

Die Abolitionist_innen hingegen können die Perspektive der selbstorganisierten Sexarbeiter_innen nicht integrieren, weil diese einer scheinbar widerspruchsfreien Positionierung für ein Sexkaufverbot schlicht im Weg stehen. Den Kampf um Anerkennung setzen sie deshalb gleich mit der Selbstunterwerfung unter Markt und Patriarchat. Dabei vergessen sie, dass es auch mit einem Verbot weiterhin Prostitution geben wird, dass also der Kampf gegen Diskriminierung und Kriminalisierung ohnehin nicht aus einem emanzipatorischen Projekt wegzudenken ist.

Das von Abolitionist_innen geforderte Sexkaufverbot (»schwedisches Modell«) steht zudem vor einem Datenproblem: Die Frage, ob ein solches Verbot Frauen wirklich schützen kann, hat sich zu einer Interpretationsschlacht qualitativer Studien entwickelt - Studien, denen eklatante methodische Mängel vorgeworfen werden, in denen quantitative »hard facts« weitgehend fehlen. Wenn Studien zur Lösung des Konflikts beitragen sollen, steht die eigentliche Arbeit also noch bevor.

In der Debatte um eine nationale Gesetzgebung unterschätzen Abolitionist_innen außerdem die Bedeutung des Sextourismus. Schließlich droht mit einem Sexkaufverbot in Deutschland oder der EU die (Rück-)Verlagerung von Prostitution in Nachbarstaaten und auf Urlaubsziele in Fernost. Dieses Szenario sollte wenigstens mitgedacht werden.

Wie weiter, um gemeinsam feministisch zu handeln?

Zweifelsohne hat die Verbotsforderung eine dringend notwendige Skandalisierung patriarchaler Realität im Gepäck, die durch die Politik der Anerkennung von Sexarbeit ad absurdum geführt wird. Doch auch wenn sich in Letzterer neoliberale und linke Konzepte überschneiden, sollten Aspekte der individuellen Befreiung selbstverständlich Teil einer konsequent emanzipatorischen Perspektive sein.

Um den innerlinken Konflikt in dieser Frage zu bearbeiten, wäre es mittelfristig von Vorteil, die Wirksamkeit und Übertragbarkeit des Sexkaufverbotes nach dem »schwedischen Modell« zu klären. Zwischenzeitlich könnte darüber nachgedacht werden, inwiefern eine Kampagne zur Skandalisierung des männlichen Anspruchs auf käufliche Penetration auch ohne Stigmatisierung der Prostituierten funktionieren kann.

Zudem könnte die neue prostitutionskritische Bewegung ihre Kraft eher auf ein effektives Zeugenschutzprogramm für illegale Zwangsprostituierte konzentrieren - ein politisches Projekt, an dem sich auch die Legalisierer_innen beteiligen dürften. Auf deren Seite müsste wiederum einer Entkopplung von sozialistischem und anerkennungsorientiertem Feminismus entgegengewirkt werden, um die Subjekte nicht dauerhaft dem Zugriff durch Kapital und doppelt herrschaftsförmige Sexualität (männlich und ökonomisch dominiert) auszuliefern.

Das größte praktische Problem wird sein, dass eine wirksame zivilgesellschaftliche und staatliche Intervention mit immensen Kosten verbunden ist, für deren Deckung eine starke hegemoniale Position im Diskurs nötig ist. Um diese zu erarbeiten, müssten sich beide Seiten der innerlinken Debatte aufeinander zu bewegen, um mit neuer analytischer und organisatorischer Kraft gemeinsam feministisch zu handeln. Auf Seiten der Abolitionist_innen wäre hierbei eine etwas weniger hitzig geführte Debatte sinnvoll, auf Seiten der Legalisierer_innen mehr Empathie für die Geschundenen. Eine emanzipatorische Position zur Prostitutionsgesetzgebung liegt derzeit keineswegs auf der Hand.

Marco Pompe arbeitet in der Behindertenhilfe und beschäftigt sich nebenbei mit kritischer Sozialtheorie (herrschaftskritik.org).