Mehr als Prozente
Wirtschaft & Soziales Worüber wir sprechen, wenn wir über Kitas sprechen - die Tarifrunde der kommunalen Sozial- und Erziehungsdienste
Von Stefan Kerber-Clasen
Gerade beginnt die Tarifrunde für die Beschäftigten der kommunalen Sozial- und Erziehungsdienste. In dieser verhandeln die Gewerkschaften ver.di und GEW mit den kommunalen Arbeitgeber_innen darüber, wie zukünftig die Arbeit von bei den Kommunen angestellten Sozialarbeiter_innen, Sozialpädagog_innen, Kita-Leiter_innen, Erzieher_innen, Heilpädagog_innen, Kinderpfleger_innen und vielen anderen entlohnt wird. Doch handelt es sich nicht um eine der ritualisierten Ein-oder-zwei-Prozent-mehr-Verhandlungsrunden, sondern um eine Auseinandersetzung, in der Politisches im Mittelpunkt steht.
Der politische Charakter resultiert entscheidend daraus, dass der Kita-Bereich das Zentrum der Auseinandersetzung bildet. Dieser hat wie kaum ein anderer öffentlicher Dienst in den vergangenen Jahren öffentliche Aufmerksamkeit, Reformen und Investitionen auf sich gezogen. Als Ergebnis gelten Kitas heute als jene gesellschaftliche Institution, die mehr denn je prägt, wie »unsere Kinder« durch frühkindliche Bildungsprozesse in ihre Rolle als Staatsbürger_innen und Arbeitnehmer_innen von morgen sozialisiert werden. Kitas sollen zugleich ermöglichen, Erwerbsarbeit und Familienverantwortung zu vereinbaren, und die gesellschaftliche Integration befördern. Bildung und Vereinbarkeit, Demografie und »Parallelgesellschaft«, Wirtschaftsstandort und die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, Mütter und Väter, Kinder und Kindheiten - über all das wird gesprochen, wenn über Kitas gesprochen wird.
Doch vor allem dreht sich die aktuelle Perspektive auf Kitas ums Geld: um die öffentlichen Mittel, die Bund, Länder und Kommunen für den Ausbau von Kita-Plätzen für Kinder unter drei Jahren bereitstellen (oder auch nicht); um die unzureichende Finanzierung der alltäglichen Kita-Arbeit, aufgrund derer die gestiegenen Bildungsforderungen im Kita-Alltag nicht wie angestrebt umgesetzt werden können; um die Renditen, durch die sich die Investitionen heute, morgen und übermorgen für die öffentlichen Haushalte und die Sozialversicherungen auszahlen sollen.
Es geht ums Geld - aber nicht nur
Ums Geld geht es auch den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in Kitas und anderen Bereichen der kommunalen Sozial- und Erziehungsdienste: Sie fordern in der aktuellen Tarifrunde durchschnittlich zehn Prozent höhere Gehälter. Dies wird damit begründet, dass sich die Tätigkeiten der Beschäftigten in den vergangenen Jahren so gravierend verändert haben, dass eine Neubestimmung der sogenannten Tätigkeitsmerkmale notwendig sei. Hieraus müsse, so die gewerkschaftliche Forderung, eine Neuregelung der Eingruppierungsvorschriften resultieren, das heißt, eine Höhergruppierung der Beschäftigten. So sollen beispielsweise Kinderpfleger_innen mit staatlicher Anerkennung künftig in der Entgeltgruppe S 6 statt wie bisher in S 5 eingruppiert werden. Entsprechende Veränderungen werden für Erzieher_innen und die anderen Berufsgruppen gefordert.
Erzieher_innen würde dann bei einer Vollzeitstelle, die allerdings nur knapp 40 Prozent von ihnen haben, statt monatlich rund 2.800 Euro brutto zukünftig rund 3.100 Euro verdienen. Diese Euros werden sich aus den öffentlichen Kassen nicht ohne politischen Druck auf die Konten der Beschäftigten bewegen. Dafür müssen die Beschäftigten aktiv kämpfen, also streiken - und das werden sie wohl auch tun. Doch was bedeutet es, dass Gewerkschaften im Erziehungs- und Sozialdienst für Gehaltserhöhungen von zehn Prozent kämpfen? Wie politisch ist die Tarifrunde?
Ein Blick zurück: Wegen des Kita-Streiks hatten im Frühjahr 2009 zahlreiche Kitas und andere kommunale Einrichtungen geschlossen. Besonders aktiv waren ver.di und die GEW in westdeutschen Großstädten. Dort wurde über Wochen an einzelnen Tagen gestreikt. Eltern kümmerten sich um ihre Kinder und manchmal um die anderer und mussten sich deshalb von der Arbeit frei nehmen. In den politischen Parteien und den Medien wurde geklatscht, denn faire Gehälter hätten die Erzieher_innen wirklich verdient, fanden fast alle. Doch mit zunehmender Dauer des Streiks wendete sich die Stimmung gegen die »unverschämten Streikenden«, die keine Rücksicht auf die Eltern nähmen. Und es wurde gestaunt, denn dass Erzieher_innen und andere zumeist weibliche Beschäftigte in wochenlangen, bundesweiten Streiks aktiv sind, gab es im Bereich sozialer Dienstleistungen zuvor nicht. Ausgerechnet Erzieher_innen - die mit dem Sorge-Gen, die doch gerne länger, härter und mehr arbeiten, um »ihre« Kinder nicht im Stich zu lassen, und die doch meistens einen Partner an ihrer Seite hätten, der das niedrige Gehalt ausgleichen könne.
Trotz dieses Engagements erreichten die gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten keine großen materiellen Erfolge. Die Gehälter wurden minimal angehoben, und ein Gesundheitstarifvertrag wurde abgeschlossen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Der schrieb allerdings in erster Linie fest, dass die Arbeitsbedingungen betrieblich untersucht werden müssen. Was daraus folgt, hängt wesentlich von dem Druck ab, den Personalräte und Beschäftigte auf die kommunalen Kita-Träger ausüben. Und der ist vielerorts nicht hoch genug, damit sich wirklich etwas ändert. Klar wird in den Streiks allerdings: Die Kita-Beschäftigten lassen sich nicht alles gefallen, sondern stellen Forderungen und treten für diese ein. Sie tun dies mit einem zentralen Argument: Wenn die Arbeit in Kitas gesellschaftlich wichtige Bildungsarbeit ist, dann soll sich dies auch materiell widerspiegeln - in der Bezahlung, in der Ressourcenausstattung der Kitas und in den Arbeitsbedingungen.
Da das aus Beschäftigten- und Gewerkschaftssicht nach wie vor nicht der Fall ist, nehmen die Gewerkschaften nun erneut Anlauf. Diesmal geht es allerdings vorrangig um die Neuverhandlung der Entlohnung der Beschäftigten. Hierfür konnten die Gewerkschaften die Initiative ergreifen, weil der zentrale Teil des 2009 geschlossenen Tarifvertrags, die Entgeltordnung, jetzt kündbar ist. Sie stoßen damit auch einen öffentlichen Diskussionsprozess über die Bedeutung, Wertigkeit und Finanzierung von Sorge-, Bildungs- und Sozialer Arbeit an, weil sie gesellschaftlich dominierende Ideen hinterfragen. Denn am Beispiel der Kitas wird darüber gestritten werden, wie und warum es (nicht) legitim ist, Arbeitende im Bereich sozialer Dienstleistungen schlecht zu bezahlen, die Arbeitsanforderungen zu erhöhen und die Rahmenbedingungen der Arbeit tendenziell zu verschlechtern. Dies mündet in der konkreten politischen Kritik kommunaler Sparpolitiken sowie in der Forderung nach einer angemessener Bezahlung und Finanzierung.
Die Gestaltung von Kindheit und Sorgearbeit diskutieren
Aus linker Position können die Auseinandersetzungen der Beschäftigten nur unterstützt werden. Unterstützung kann beginnen als Solidarität von Eltern mit den Streikenden in der eigenen Kita, beim gemeinsamen öffentlichen Protest vor dem Rathaus (1), oder im Eingriff in gesellschaftliche Diskussionen um die Ziele und Wege der Tarifrunde. Inhaltlich lässt sich die Solidarität mit den Beschäftigten mit anderen sozialen Auseinandersetzungen verbinden - etwa jene, in denen es um die Verteidigung und Weiterentwicklung öffentlicher Güter und Dienstleistungen geht oder um gleichstellungspolitische Forderungen nach besserer Bezahlung von Arbeit, die vor allem von Frauen geleistet wird. Auch für feministische Positionen aus dem Umfeld der Care-Revolution-Bewegung ist der Kampf der Beschäftigten anschlussfähig - oder für die Kritik der aktuellen Austeritätspolitiken wie bei Blockupy.
Allerdings ist auch eine kritische Auseinandersetzung mit gewerkschaftlichen Positionen und ihren Leerstellen nötig. Selten wird in den Gewerkschaften kritisch darüber diskutiert, in welche Richtung sich Kindheit, Geschlechterverhältnisse und der Bereich frühkindlicher Bildung und Betreuung aktuell entwickeln und was dies gesellschaftspolitisch bedeutet. Wie sollen unsere Kinder leben und gebildet werden? Welchen Stellenwert soll Erwerbsarbeit in der Gesellschaft einnehmen? An welchen Leitbildern kann sich Mutterschaft oder der Verzicht auf diese orientieren? Soll Bildungsarbeit besser bezahlt werden als Sorgearbeit?
Solche politische Fragen ordnen Gewerkschaften der Vertretung der Interessen der Beschäftigten als Lohnabhängige nach. So funktionieren Gewerkschaften. Diese Fragen auch während des Streiks zu thematisieren, kann nur dann gelingen, wenn aus anderen sozialen Bewegungen heraus lokale und mediale Räume der Diskussion geschaffen werden. Dann könnten auch emanzipatorische Ziele und Formen von Sorge-, Bildungs- und Sozialer Arbeit diskutiert werden, bestenfalls mit Kindern und Eltern, Beschäftigten, Gewerkschaften und anderen.
Stefan Kerber-Clasen forscht zur Entwicklung von Arbeit und Arbeitskonflikten im Kita-Bereich.
Anmerkung:
1) Im Kita-Streik 2009 zogen Eltern, Kinder und Beschäftigte zweier kommunaler Kitas mit Rasseln und Spielzeug ins Kölner Rathaus und funktionierten das Foyer zum Spielkreis um, um Druck auf die Stadt in den Verhandlungen auszuüben.