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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 603 / 17.3.2015

Griechenland in der Warteschleife

International Nicht alle Linken stellen der SYRIZA-Regierung ein gutes Arbeitszeugnis aus

Von Heike Schrader

Die gute Nachricht zuerst: Nach über einem Monat an der Regierung hat SYRIZA Anfang März 2015 endlich ihr erstes Wahlversprechen zur Umsetzung ins Parlament eingebracht. Mit dem »Gesetz zur Linderung der humanitären Krise« sollen verarmte Haushalte unentgeltlich 300 Kilowattstunden Strom pro Monat beziehen können. Bis zu 30.000 Familien soll eine monatliche Zulage zwischen 70 und 220 Euro für die Miete gezahlt werden. Und insgesamt 300.000 Menschen sollen (elektronische) Lebensmittelgutscheine bekommen. Der zuständige Vizeminister für Sozialfürsorge im Gesundheitsministerium, Dimitris Stratoulis, betonte dabei, das Kriterium für die Leistungsvergabe sei ausschließlich die finanzielle Situation und nicht etwa die Nationalität der Antragssteller_innen.

Und nun die schlechte Nachricht: Dies ist so ziemlich alles, was - zumindest vorläufig - von den Ankündigungen der griechischen Linkspartei aus Wahlkampf und Regierungserklärung übrig geblieben ist. Denn die mit dem erklärten (Wähler_innen-)Willen zur Durchsetzung eines Schuldenschnitts und der unverhandelbaren Umsetzung des eigenen Wahlprogramms angetretene SYRIZA-Regierung war innerhalb der Eurogruppe auf Beton gestoßen. Da nützt es auch nichts, wenn die Regierung versucht, beispielsweise die Annahme der eigenen Liste mit Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung seitens der Eurogruppe als Erfolg zu präsentieren. Zu unmissverständlich ist klar geworden, dass »die europäischen Partner« keine nennenswerten Abstriche bei der nicht nur Griechenland als alternativlos verkauften Austeritätspolitik akzeptieren werden.

Ein Austritt aus der »Gemeinschaftswährung« kommt jedoch trotzdem weder für die Mehrheit in SYRIZA noch der griechischen Bevölkerung infrage. Deswegen, und weil aufgrund der auch selbst auferlegten »strengen Haushaltsdisziplin« die Kohle fehlt, hat man bei SYRIZA die meisten der vollmundig angekündigten Aufkündigungen der Austeritätsmaßnahmen erst einmal auf Eis gelegt. Die im Wahlprogramm enthaltene Wiederanhebung des Mindestlohns von den troikabedingten derzeit geltenden 586 auf 751 Euro brutto im Monat soll jetzt schrittweise, »marktschonend« und von Ausgleichsmaßnahmen für die Unternehmer begleitet »bis Ende 2016« umgesetzt werden. Bereits vollzogene Privatisierungen werden nicht wieder rückgängig gemacht, noch laufende unter Auslotung der rechtlichen Möglichkeiten für Nachbesserungen im Interesse des »Gemeinwohls« fortgesetzt.

Und selbst die Regelungen über Erleichterungen beim Abstottern von Schulden gegenüber dem griechischen Fiskus, von dem sich die Regierung eine Einnahmeerhöhung verspricht, werden erst einmal von den nun nicht mehr Troika genannten Institutionen abgeklopft. Griechenland hängt sozusagen in der Warteschleife und es gibt lediglich das vage positive Gefühl, das zumindest der Abwärtstrend erst einmal gestoppt ist.

Wohin die Reise letztendlich geht, wird sich aber erst noch zeigen müssen. Den aufgeschoben ist nicht aufgehoben, sagen die Optimistischen in Bevölkerung, Partei und Regierung. Sie wollen Veränderungen behutsam angehen und können sich dabei nach wie vor auf den Wählerwillen berufen. Zwar sind die anfangs zur Unterstützung der griechischen Regierungsposition in den Verhandlungen mit den Gläubiger_innen organisierten Massendemonstrationen der »Front der Plätze« mittlerweile im Sande verebbt. In Umfragen stimmten jedoch immer noch etwa 60 Prozent der Befragten dem Verhandlungsergebnis zu und bezeichneten das Vorgehen der Regierung als positiv. Etwa 27 Prozent sprachen sich dagegen für einen Bruch mit der EU aus. Ein solcher aber war vor allem unter den Linken an der Basis von SYRIZA hoffnungsvoll vorausgesagt worden. Hier hatte man vor den Wahlen oft gehört, im Zweifelsfall werde Tsipras schon hart bleiben.

Alle Trecker stehen still

Das sich dies als Illusion herausstellen würde, davor hatte unter anderem die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) in der ihr eigenen sektiererischen Art von Anfang an gewarnt. Für sie sind Linksparteien im Allgemeinen und SYRIZA im Besonderen nichts als eine weitere Variante der Interessenvertretung für Teile des Monopolkapitals. Sie sind sogar besonders gefährlich, da sie unter »den Klassen des Volkes Illusionen schüren« und müssen deswegen sogar härter bekämpft werden, als ihre zumindest mit offenem Visier kämpfenden Konkurrentinnen aus dem rechten Lager. Folgerichtig fand die erste Massenkundgebung gegen die Politik der neuen Regierung am 27. Februar 2015 auch auf Aufruf der KKE hin statt. Deren Generalsekretär erläuterte dabei einen von der Partei vorgelegten Gesetzesentwurf über eine sofortige Aufkündigung aller Austeritätsmaßnahmen und forderte den Austritt des Landes aus allen imperialistischen Bündnissen wie EU und NATO.

Konkret sieht der Entwurf der KKE die Wiedereinführung aller Tariflöhne, wie sie vor der Krise galten, einen Steuerfreibetrag von 40.000 Euro pro Haushalt, die Zahlung von Arbeitslosengeld für die gesamte Dauer der Arbeitslosigkeit und vieles mehr vor. Zur Finanzierung solcher Pläne bietet die Partei allerdings lediglich den Verweis auf Bodenschätze und Industrie im eigenen Land an. Wie das derzeit nicht einmal in der Landwirtschaft autarke Griechenland ohne schwesterliche Unterstützung einer nicht mehr existierenden Sowjetunion kurzfristig in die Lage versetzt werden soll, diese auch auszubeuten - und sogar derart ertragreich, dass es für Milch und Honig für die Arbeiterklasse reicht - , bleibt das Geheimnis der KKE. Denn in Abwandlung eines im eigenen Parteisprech beliebten Slogans gilt: Alle Trecker stehen still, wenn kein Öl ins Land mehr will.

Aber auch nicht alle von denjenigen in SYRIZA, die nur unter Zähneknirschen bereits den Rückschritt der Partei hinter das wesentlich radikalere Programm vom Sommer 2012 hingenommen hatten, sind nun bereit, auch auf die Umsetzung der abgespeckten Version aus dem letzten Wahlkampf zu verzichten. Weder die Einigung in der Eurogruppe, noch die von Griechenland eingereichte Liste mit Reformen entsprächen dem Wahlprogramm informierten Stathis Kouvelakis und Dimitris Belandis in einem offenen Brief die Genoss_innen der deutschen Schwesterpartei DIE LINKE. (1) »Schlimmer noch: Die wichtigsten Punkte unseres Programms werden dadurch praktisch außer Geltung gesetzt«, konstatieren die beiden Mitglieder des Zentralkomitees von SYRIZA.

SYRIZA bricht nicht auseinander

In dessen Sitzung am 1. März wurde die Regierungslinie denn auch nur knapp abgesegnet. Insgesamt 56 Prozent der 170 ZK-Mitglieder stimmten dem entsprechenden Beschlusspapier zu. Ein von der Linken Plattform eingebrachter Gegenentwurf erhielt knapp 40 Prozent der Stimmen. In ihm war gefordert worden, SYRIZA solle »trotz der Vereinbarung mit der Eurogruppe« in der Folgezeit »unbeirrt und konsequent die Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus dem Wahlkampf und den Regierungserklärungen« vorantreiben.

Auch in der Fraktionssitzung wenige Tage zuvor war das Verhandlungsergebnis von einer durchaus relevanten Anzahl an Parlamentarier_innen verurteilt worden. Unter den Kritiker_innen befinden sich auch Regierungsmitglieder, darunter der ironischerweise für die Privatisierung des griechischen Energiekonzerns zuständige Minister für Wirtschaftlichen Wiederaufbau, Energie und Umwelt, Panagiotis Lafazanis. Lafazanis ist wichtigster Sprecher der Linken Plattform innerhalb von SYIRZA, die sich bereits vor den Wahlen zumindest für die Ausarbeitung eines den Euroausstieg beinhaltenden »Plan B« starkgemacht hatte, innerparteilich aber damit gescheitert war.

Wie damals ist aber auch jetzt nicht zu erwarten, dass SYRIZA an internen Konflikten auseinanderbricht. Bisher zumindest hat sich die immerhin 30 Prozent der Parteimitglieder repräsentierende Linke Plattform immer der Mehrheit um Parteiführer Tsipras gebeugt. Doch diese Mehrheitsverhältnisse könnten sich vielleicht in nicht allzuferner Zeit verschieben. Denn die Gegenstimmen auf der letzten ZK-Sitzung kamen nicht nur aus der Linken Plattform. Auch die bisher im Tsipras Lager verorteten Mitglieder der in SYRIZA aufgegangenen maoistischen Kommunistischen Organisation Griechenlands, KOE, stimmten für den Gegenentwurf.

Ein Teil der außerparlamentarischen Linken versucht unterdessen, SYRIZA an die Einhaltung ihres Programms bei Themen zu mahnen, die abseits von den »großen«, die Mehrheit der Bevölkerung unmittelbar betreffenden Themen liegen. So kritisieren insbesondere in der Flüchtlingsarbeit aktive Organisationen die Pläne der zuständigen SYRIZA-Minister für eine schrittweise Umwandlung der meisten Sammellager in offene Einrichtungen und die Gewährung der griechischen Staatsbürgerschaft für im Land geborene Kinder von Migrant_innen als unzureichend. Mit Demonstrationen vor verschiedenen Sammellagern wird stattdessen darauf hingewiesen, dass man »Konzentrationslager nicht verbessern oder korrigieren«, sondern nur »abreißen kann«.

SYRIZA muss an eigene Forderungen erinnert werden

In anderen Teilen der außerparlamentarischen Linken schwenkt man von einer kritisch-solidarischen auf eine Linie der scharfen Kritik an SYRIZA um. So hatte das antikapitalistische Linksbündnis ANTARSYA sich zunächst an den Demonstrationen für die Stärkung der Verhandlungsposition der Regierung beteiligt. Allerdings forderte man die Regierung dabei zu einem Ausstieg Griechenlands aus EU und Euro und einer einseitigen Schuldenstreichung auf. Nach der Einigung in der Eurogruppe war damit jedoch Schluss. Der griechische Antrag auf die Verlängerung des Kreditprogramms überzeugte ANTARSYA davon, dass »die Regierung aus SYRIZA und ANEL den Memorandenabstieg in eine zerstörte Gesellschaft fortsetzt, ihr Programm annulliert und antritt, die bürgerlichen reaktionären Reformen auf ihre eigene Art fortzusetzen«. (2)

Einem Aufruf zu einer Demonstration am 26. Februar in Athen »gegen die Erpressungsversuche von EU, IWF und EZB«, »für ein Nein zur Vereinbarung zwischen Regierung und Eurogruppe« und für »Schuldenschnitt und Austritt aus der EU« folgten immerhin einige hundert Anhänger_innen. (3) Da auch die Gewerkschaften angesichts der nicht eingelösten Versprechen über unmittelbare Verbesserungen in Tarifrecht und Lohnfragen mittlerweile unruhig werden, könnten die Verhältnisse bereits in naher Zukunft wieder zum Tanzen gebracht werden.

Dazu tragen auch Aktionen aus einem Spektrum bei, das Staat und Regierung prinzipiell feindlich gegenübersteht, unabhängig davon, ob diese nun von politisch linken oder rechten Kräften dominiert werden. Auf einer ersten anarchistischen Demonstration gegen einen faschistischen Aufmarsch in Athen Ende Januar 2015 hatte man der neuen Taktik der Regierung, die Bereitschaftspolizei eher diskret im Hintergrund zu halten noch etwas ratlos gegenübergestanden. Die provokant »ungeschützten« Bullenwannen vor dem Parlament wurden lediglich mit Farbe verschönert. Ein für das Stadtviertel nicht ungewöhnlicher Brandanschlag auf einen zu einem Unfall gerufenen Streifenwagen in Exarcheia wenige Tage später führte gar zu Diskussionen, in denen erstmalig den Militanten die Schuld an der nachfolgenden Polizeirazzia in die Schuhe geschoben wurde. Auf einer »antistaatlichen« Demonstration von Anarchist_innen Ende Februar in Athen wurden dann jedoch wieder recht selbstverständlich Banken angegriffen und Einrichtungen des Kapitals entglast. Die beispielsweise von dem anarchistischen Zentrum Resalto angeprangerte Taktik der neuen Regierung, im Interesse der Systemstabilität »das alte Dogma von Recht und Ordnung durch ein neues aus Hoffnung und Integration zu ersetzen«, scheint zumindest in diesem Spektrum nicht aufzugehen. (4)

Und auch ein Vorstoß aus dem Knast könnte die neue Regierung in starke Schwierigkeiten bringen. Am dritten März begannen die im Sondergefängnis von Domokos eingesperrten Mitglieder der beiden Stadtguerillaorganisationen 17N, Dimitris Koufontinas und Revolutonärer Kampf, Nikos Maziotis und Kostas Gournas zusammen mit fünf anarchistischen Militanten aus dem »Netz kämpfender Gefangener« einen Hungerstreik. Sie fordern die Abschaffung der Antiterrorgesetze und des Vermummungsgesetzes sowie der Sondergefängnisse vom Typ C (5), die Freilassung des schwer kranken 17N Mitglieds Savvas Xiros und rechtliche Standards im Umgang mit der gerichtlichen Verwertung von DNA-Proben - alles Forderungen, die auch die jetzt an der Regierung sitzende SYRIZA während ihrer Oppositionszeit vertreten hatte.

Heike Schrader ist freie Journalistin und lebt in Athen.

Anmerkungen:

1) facebook.com/stathis.kouvelakis, deutscher Beitrag vom 27.2.2015.

2) antarsya.gr/node/2953.

3) antarsya.gr/node/2954.

4) anarxiko-resalto.blogspot.gr.

5) Die als Hochsicherheitsgefängnisse verkauften Typ C Gefängnisse dienen nicht der Ausbruchsicherheit, sondern der vollständigen Entrechtung widerständiger Gefangener. Den im »Gefängnis im Gefängnis« Einsitzenden wird unter anderem das Recht auf Hafturlaub und auf Arbeit zur Verringerung der abzusitzenden Strafe entzogen. Darüber hinaus gelten starke Einschränkungen bei Besuchs- und Kommunikationsrechten.