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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 604 / 21.4.2015

Eine Geschichte über Liebe® und Manic Pixie Dream Girls

Kultur Laurie Penny schreibt über die gewinnbringende Marke Liebe und über eine Filmbranche, in der Frauen Teil einer Geschichte bleiben, die anderen zustößt

Von Laura-Solmaz Litschel

Es ist die verstörendste Szene in Laurie Pennys neuem Buch »Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution«: Penny sitzt in einem Café und wartet auf einen Mann. Als er schließlich auftaucht, tauschen die beiden eine Weile Höflichkeiten aus. Sie reden über seine Ehe und über Pennys Freund. Schließlich kommt Penny zum eigentlichen Grund für das Gespräch. In nüchternem Ton konfrontiert sie ihn damit, dass er sie vor einigen Jahren vergewaltigt hat, als sie vom Alkohol fast bewusstlos und bewegungsunfähig war. Zuerst versteht er nicht. Dann versteht er doch. Er wird rot. Nach einer Weile stammelt er, dass es ihm leid täte. Sie bedankt sich und sagt, er solle es nicht nochmal tun. Danach steht sie auf und geht. Am Abend bekommt sie eine wütende Email von der Ehefrau des Mannes. Sie habe etwas Schreckliches getan: Sie habe ihren Ehemann verärgert!

Die Banalität dieser Szene ist grauenhaft. Penny hat damals Freund_innen verloren, weil diese ihr nicht glaubten, hat sich selbst die Schuld für alles gegeben. Heute analysiert sie: Wenn Frauen sich gegen sexuelle Gewalt wehren, diskreditieren sie zwangsläufig andere, meist Männer. Dadurch ruinieren sie die der westlichen Gesellschaft heilige Illusion der »Gleichberechtigung«. Der gesellschaftliche Hass richtet sich dann auf die Frauen anstatt auf diejenigen, die wirkliche Freiheit durch ihre Misogynie verhindern.

In ihrem Buch zeigt Penny anhand von Beispielen aus ihrem eigenen Leben oder dem von anderen gesellschaftliche Umstände auf, die einer echten Emanzipation im Wege stehen. Auch die kapitalistische Vermarktung einer Liebe, die »Popsternchen beim Playback mit ihren Lippen formen«, erklärt Penny auf diese Weise. Sie zeigt, wie die märchenhafte romantische Liebe zum wettbewerbsorientierten Narrativ wird. Sie spricht deshalb von der Marke Liebe®.

Und sie beschreibt die Manic Pixie Dream Girls: Frauenfilmfiguren ohne eigene Geschichte, die laut dem Kritiker Nathan Rabin »ausschließlich in den Fieberträumen sensibler Autoren- Regisseure« existieren, die »grüblerisch schwermütigen jungen Männern beibringen wollen, das Leben mit seinen unendlichen Mysterien und Abgründen zu genießen«. Frauen bleiben Teil einer Geschichte, die anderen zustößt.

Laurie Penny ist deshalb verdammt wütend und damit sehr erfolgreich. Inzwischen schreibt sie für Zeitungen wie The Guardian und The New York Times. Allerdings wächst auch der Widerstand gegen sie. Schließlich hat sie mit zunehmender Bekanntheit begonnen, sich mit einer Gesellschaft anzulegen, in deren Verständnis Sexismus und Frauenverachtung allenfalls eine historische Dimension darstellen. Hass-Emails und Gewaltandrohungen sind für sie Alltag.

In »Unsagbare Dinge« lässt Laurie Penny kaum ein aktuelles Thema unbesprochen: Rape Culture, Abtreibungsgegner, Cybersexismus, Sexarbeit, Neoliberale Heterosexualität, Wirtschaftskrise, Occupy, Facebook. Auf der einen Seite ist diese Bandbreite fantastisch, weil sie die Dimensionen aktueller feministischer Debatten aufzeigt. Auf der anderen Seite ist auf 288 Seiten nicht genügend Raum, diese komplizierten Themen auszudiskutieren. Ihr Stil ist pathetisch bis aggressiv, sie gönnt den Leser_innen wenig Pausen, um die Informationen zu verarbeiten, die ihnen um die Ohren gehauen werden.

Gleichzeitig steht sie aber dazu, dass es sich dabei um ihre Meinung und nicht die einer allgemein gültigen, feministischen Schwarmintelligenz handelt. Sie macht deutlich, dass ihr Buch aus der Perspektive einer englischen, weißen Feministin geschrieben ist. Es zielt auf ein breites Publikum ab, es ist keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Streitschrift. »Ich habe kein Interesse an Feminismus, der in den Unis steckenbleibt«, sagt sie.

Ihre Wut macht dieses Buch extrem erfrischend. Es ist befreiend, dass sich endlich mal wieder jemand richtig aufregt. Über Zustände, die viele stören, denen die meisten aber nur noch mit abgeklärter Ironie oder resignierter Akzeptanz begegnen. Laurie Penny bleibt bei diesen Themen ernst und ehrlich. Das ist die Stärke ihres Buches.

Laura-Solmaz Litschel beschäftigt sich mit feministischer Gesellschaftskritik und hatte dieses Jahr schon das Vergnügen, Laurie Penny zu ihrem neuen Buch zu interviewen.

Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution. Edition Nautilus, Hamburg. 288 Seiten, 16,90 EUR.