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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 604 / 21.4.2015

Stachel im Fleisch der europäischen Asylpolitik

Aktion Mitte Mai startet das Projekt Sea-Watch mit seinen Fahrten im Mittelmeer

Von Christoph Hedtke und Sarah Ulrich

Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein im Kampf gegen die inhumanen Zustände vor den mediterranen Außengrenzen Europas. »Eine Demo auf eine andere Art«, wie Harald Höppner, Initiator des Sea-Watch-Projektes sagt. Denn die Situation im Mittelmeer ist katastrophal und hat sich in den letzten Jahren sogar noch verschlimmert. Gerade deshalb wollen die Initiator_Innen des Projektes zur Seenothilfe für Geflüchtete auf dem Mittelmeer etwas tun. Die Idee wuchs vergangenen November, als Höppner, seine Frau Tanja und ihr gemeinsamer Freund Mathias die »mediale Gehirnwäsche« der Berichterstattung über das Wendejubiläum nicht mehr ertragen konnten. Es ist ihnen zuwider, dass Geflüchtete als Objekte wahrgenommen werden, während der Diskurs über DDR-Geflüchtete in einen idealisierten Heldenkult gipfelt. Deshalb kauften die drei Brandenburger_innen kurzerhand einen alten Fischkutter und bauten diesen mit der Hilfe vieler Freiwilliger hochseetauglich aus.

Mit modernster Satellitentechnik, Schwimmwesten und Rettungsinseln ausgerüstet, tritt die Sea-Watch ab Mitte Mai dieses Jahres von Malta aus ihre Aufgabe als »ziviles Auge auf dem Mittelmeer« an. Dort will man beobachten, dokumentieren, Erste Hilfe für Geflüchtete in Seenot leisten und vor allem eins: Öffentlichkeit schaffen. Doch das, was hier Privatpersonen leisten wollen, sollte eigentlich Aufgabe der Europäischen Union sein. Laut ProAsyl sind seit dem Jahr 2000 zwischen Libyen und Italien mehr als 25.000 Menschen auf ihrem Weg nach Europa ertrunken, erstickt, verdurstet oder an Erschöpfung gestorben. Nach dem Unglück von Lampedusa im Herbst 2013 richteten die italienische Küstenwache und Marine die Seenothilfeaktion Mare Nostrum ein und konnten etwa 140.000 Geflüchtete retten. Durch mangelnde Unterstützung anderer EU-Staaten musste das Hilfsprogramm jedoch im Oktober 2014 wieder eingestellt werden.

Wir können nicht länger zuschauen

Was folgte, war die Operation Triton, durchgeführt von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Der signifikante Unterschied: Triton zielt weniger auf die Seenotrettung der Geflüchteten, als vielmehr auf die Abwehr dieser und Kontrolle der europäischen Grenzen. Sogar der stellvertretende Direktor bei Frontex, Gil Arias, spricht davon, dass Mare Nostrum eine »Such- und Rettungsoperation« gewesen sei, während Triton sich auf »Grenzkontrollen« fokussiert. Damit ist das erklärte Ziel europäischer Migrationspolitik die Sicherung der Grenzen statt Rettung von Menschen in Not.

Die fehlende Verantwortungsübernahme staatlicher Organisationen führt zu zunehmender Intervention ziviler Akteur_innen. »Wir können nicht länger zuschauen«, sagt Harald Höppner. »Wir müssen ein Stachel im Fleisch sein und offizielle Stellen in die Pflicht nehmen. Denn vor den EU-Außengrenzen, die auch deutsche Grenzen sind, ertrinken Menschen.« Die Pläne der Sea-Watch sind es, Geschehnisse vor Ort durch Bilder und Aufzeichnungen des Funkverkehrs in die Öffentlichkeit zu bringen und »die Zivilgesellschaft darüber zu informieren, welche Missstände im Mittelmeer herrschen«. Dabei setzen sie auf ein Netzwerk von Aktivist_innen, die sich schon seit Jahren bemühen, die Geschehnisse zu dokumentieren und die Situation zu verbessern. So zum Beispiel Watch the Med, welche die Verletzung der Rechte von Migrant_innen an den Meeresgrenzen der EU dokumentiert und damit Druck auf das EU-Regime ausüben will. (Siehe ak 602) Dafür haben sie eine Alarmnummer eingerichtet, mithilfe derer sie Geflüchteten im Falle von Push Backs oder Seenot unmittelbar Hilfe durch Weitergabe der Informationen leisten wollen. Nicht als Lösung des Problems, »sondern als Intervention im Notfall.« Denn auch eine Notfallhilfe gibt es bei der europäischen Grenzschutzagentur Frontex nicht.

Auch die Initiative borderline-europe versucht durch intensive Recherche eine kritische Öffentlichkeit zu schaffen und »auf Basis zuverlässiger Informationen den tödlichen Konsequenzen der Abschottungspolitik entgegenwirken«. Neben dem zivilen Ohr des Alarmtelefons und dem Sprachrohr borderline-europe zielt die Sea-Watch nun darauf, als »ziviles Auge« diesen Druck auf Regierungsautoritäten zu erhöhen. Höppner hofft folglich, die Problematik »in einer noch nie dagewesen Art in die Öffentlichkeit zu bringen«. Er glaubt fest daran, dass das Projekt dies schafft und Geflüchtete in Zukunft nicht mehr als Illegale nach Deutschland kommen oder auf dem Weg nach Europa ertrinken müssen. Denn fliehen müssten die Menschen aufgrund der dramatischen Lage in den Fluchtgebieten sowieso, sagt er. »Unsere Entscheidung ist nur, wie viele dabei sterben.«

Christoph Hedtke und Sarah Ulrich sind freie (Foto-)Journalist_innen aus Leipzig und arbeiten insbesondere zu den Schwerpunkten Politik, (Anti-)Rassismus und soziale Bewegungen.