Lohn für Facebook?
Wirtschaft & Soziales Das Internet hat neue Formen von Arbeit und Ausbeutung hervorgebracht
Von Moritz Altenried
»Sie sagen, es ist Freundschaft. Wir sagen, es ist unbezahlte Arbeit. Mit jedem like, chat, tag oder poke wird unsere Subjektivität zu ihrem Profit.« Diese Worte sind das Ergebnis eines Experiments der New Yorker Künstlerin Laurel Ptak. Sie nahm Silvia Federicis richtungsweisenden Text »Löhne gegen Hausarbeit« aus dem Jahr 1975, ersetzte das Wort Hausarbeit durch das Wort Facebook und stellte fest, dass große Teile des Textes weiterhin Sinn ergaben. Aus dieser Entdeckung entstand das Internetmanifest »Löhne für Facebook« (http://wagesforfacebook.com). Der Titel ist weniger eine konkrete Forderung als vielmehr ein Versuch, welche Debatten eine solche Forderung auslösen kann. Darin ähnelt die Aktion der ursprünglichen »Lohn für Hausarbeit«-Kampagne, deren politische Sprengkraft ebenfalls nicht zentral in der konkreten Forderung lag. Auch wenn es hier nicht darum geht, liken mit Hausarbeit und Facebook mit dem Patriarchat gleichzusetzen, gibt es eine Parallele zur Hausarbeit: Im Internet findet eine Vielzahl von Aktivitäten statt, die zwar nicht als Arbeit verstanden wird, aber dennoch Profite ermöglicht.
Konsum und Produktion verwischen
Ob Facebook, Twitter oder Youtube: Soziale Medien leben von Benutzer_innen, die Inhalte produzieren und ihre Daten preisgeben. Kann daher die Nutzung von Facebook als unbezahlte Arbeit verstanden werden? Wer ist verantwortlich für den 400-Milliarden-US-Dollar-Börsenwert von Google? Sind es die vergleichsweise wenigen Mitarbeiter_innen des Konzerns, ist es der Such-Algorithmus oder sind es doch die über 33.000 »Klickarbeiter«, die Google pro Sekunde benutzen? Schließlich sind es ihre Klicks und Informationen, die Google so wertvoll machen. Auch wenn diese Firmen unterschiedliche Funktionen im Netz erfüllen, findet sich doch eine wiederkehrende ökonomische Struktur: Unternehmen wie Google, Yahoo und Facebook stellen die digitale Infrastruktur, die von der Netzbevölkerung belebt wird. Sie produziert Inhalte, moderiert Fanforen, testet Betaversionen, perfektioniert durch ihr Surfverhalten die Suchalgorithmen und gibt dabei Daten preis.
Die Userdaten sind das wichtigste Produkt, das die Unternehmen verkaufen. Sowohl Facebook als auch Google generieren mehr als 90 Prozent ihrer Umsätze durch Werbung, 2014 waren das bei Google immerhin 59 Milliarden Dollar. Google und Facebook kartographieren die Daten ihrer Nutzer_innen und können so präzise Zielgruppen nach Herkunft, Alter, Hobbies und vielen anderen Indikatoren bestimmen und diese den Werbekunden anbieten. Wer bei Google zum Beispiel nach dem Stichwort »Winterurlaub« sucht, wird auf verschiedenen Seiten sofort Werbung für Snowboards und Skibekleidung finden. Diese Möglichkeit der zielgerichteten Werbung ist weitaus effektiver als Werbung auf Plakatwänden oder im Fernsehen. Den Unternehmen ist dabei durchaus klar, dass ihre digitale Infrastruktur erst durch Benutzer_innen profitabel wird, welche Inhalte produzieren, die ihre Seiten attraktiv machen und weitere Menschen anlocken, die wiederum alle eine Datenspur hinterlassen. Youtube zum Beispiel hat damit begonnen, besonders erfolgreiche Nutzer_innen für ihre Videos zu bezahlen.
Die Beispiele zeigen, dass die Grenzen zwischen Konsum und Produktion im sozialen Internet zunehmend verschwinden. Oft ist unklar, wer wann eigentlich arbeitet oder konsumiert. Inzwischen hat sich unter marxistischen Netztheoretiker_innen eine Debatte entsponnen, ob Nutzer_innen von Facebook und anderen sozialen Medien nicht als Arbeiter_innen zu verstehen sind. Ohne in die Details dieser Debatte einzusteigen, lässt sich, auch mit Blick auf Formen digitaler Lohnarbeit feststellen, dass das Internet den Charakter von Arbeit und Ausbeutung maßgeblich verändert.
Mehr als Überwachung und Privatsphäre
Die linke Diskussion über Facebook, Google und das Internet dreht sich noch immer zu weiten Teilen um Überwachung und Datenschutz. Die Macht einiger großer Konzerne wird regelmäßig kritisiert. Daraus folgen aber in Deutschland wenig systematische Analysen zu digitaler Arbeit und Ausbeutung, algorithmischer Produktion und Akkumulation oder neuen Monopolen - kurz zur politischen Ökonomie des Internets. Das erstaunt. Schließlich ist klar, dass vernetzte Computer als Produktionsmittel immer wichtiger werden und gleichzeitig immer mehr moderne Maschinen (auch) vernetzte Computer sind. Man denke etwa an einen Montageroboter bei Volkswagen oder eine Sortieranlage bei Amazon. Die unbezahlten »Klickarbeiter« sind somit nur ein kleiner Teil digitaler Arbeit; auch der Bereich der entlohnten Arbeit verändert sich rapide.
Ein Beispiel hierfür ist das sogenannte Crowdworking. Internetplattformen wie die Seite Mechanical Turk des Versandhändlers Amazon sind hierbei das digitale Äquivalent zur Straßenecke, an der Unternehmer Tagelöhner_innen abholen. Auf Seiten wie diesen finden sich eine Unmenge kleiner Jobs, sogenannte »Human Intelligence Tasks« (HITs). Dabei handelt es sich meist um simple Aufgaben wie die Kategorisierung von Bildern, die Recherche von Emailadressen, die Fehlersuche auf Webseiten oder ähnliche Aufgaben, bei denen Computer an ihre Grenzen stoßen. Übernommen werden diese Aufgaben von hundertaussenden digitalen Arbeiter_innen, meist von zuhause aus und für einen Lohn von etwa zwei bis acht US-Dollar pro Stunde. Auch beim deutschen Branchenführer »Clickworker« liegen die Löhne maximal auf Mindestlohnniveau, welches aber nur einige wenige erfahrene Klickarbeiter_innen erzielen. (1)
Diese Form der Organisation digitaler Arbeit erlaubt Firmen, Aufgaben direkt an die Crowd zu vergeben, ohne über Dinge wie Mindestlohn, Krankenversicherung oder Kündigungsschutz überhaupt nachdenken zu müssen. Darüber hinaus ermöglicht Crowdworking die digitale Wiedergeburt zweier historisch überwunden geglaubter Phänomene: Heimarbeit und Stücklohn. Es sind dann auch signifikant häufiger Frauen, die zusätzlich zu Hausarbeit und Kinderversorgung bei Amazons Mechanical Turk arbeiten. Auch wenn Crowdworking bisher ein Randphänomen bleibt - beim Mechanical Turk sind etwa eine halbe Million digitaler Arbeiter_innen registriert -, so könnte dieses Modell der Arbeitsorganisation in Zukunft immer wichtiger werden. Und noch etwas zeigt dieses Beispiel: Digitale Arbeit ist in den allermeisten Fällen nicht kreativ und erfordert keine formal hohe Qualifizierung.
Viele der Arbeiten, wie sie im Mechanical Turk zu finden sind - Pflege von Datenbanken, Kategorisierungen von Bildern, Auswertung von Fragebögen -, werden inzwischen in Länder wie Südkorea oder Indien ausgelagert. Ein wirtschaftlicher Sektor auf den Philippinen hat sich etwa darauf spezialisiert, die »content moderation« für westliche soziale Medien zu erledigen. Teilweise fließt die Hälfte an menschlicher Arbeitskraft, die für den Betrieb mancher sozialer Medien notwendig ist, in die Moderation der Seiten. So kommt es, dass Tausende digitaler Arbeiter_innen in den Vororten Manilas nichts anderes machen, als Bilder und Kommentare in sozialen Netzwerken als pornografisch, gewalttätig oder rassistisch zu klassifizieren. Die Arbeit ist hochgradig belastend, da die Moderator_innen einem ständigen Strom an gewaltvollen Bildern und Inhalten ausgeliefert sind. Es gibt zwar Filter-Algorithmen, die problematische Grafiken vorauswählen, am Ende fehlt es den Computern aber an sozialer Intelligenz, weswegen Menschen die letzte Entscheidung fällen müssen. Es gibt Millionen von ähnlichen digitalen Jobs in Bereichen, in denen es keine computerisierte Lösung gibt oder diese zu teuer wäre. Dies sind fast immer prekäre Niedriglohnjobs, die zunehmend in den globalen Süden verschoben werden. So hat sich ein neuer digitaler Taylorismus entwickelt mit internationaler Arbeitsteilung und entsprechendem globalen Cybertariat. Entgegen dem gängigen Klischee ist der Großteil digitaler Arbeit also nicht kommunikativ und immateriell, sondern prekär, repetitiv, langweilig, ermüdend - also sehr materiell.
Ein digitaler Taylorismus mit internationaler Arbeitsteilung
In der Wahrnehmung der allermeisten Nutzer_innen verschwinden diese Jobs meist hinter den blinkenden Benutzeroberflächen des Internets. Die Digitalisierung des Kapitalismus bedeutet mitnichten das Ende der Arbeit - eher trifft das Gegenteil zu - sie verändert aber im hohen Maße unsere Produktionsweise. Die Netztheoretikerin Mercedes Bunz hat die Art, wie unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen durch Algorithmen verändert werden, treffend als »stille Revolution« bezeichnet. (2)
Die Frage, wie Internet und Digitalisierung kapitalistische Produktion und Zirkulation, Wertschöpfung und Akkumulation verändert haben, erfährt immer noch zu wenig Aufmerksamkeit - gerade von links. Die Veränderungen im Zuge eines neuen zweiten Maschinenzeitalters sind aber keine Randerscheinungen, sondern verändern den Kern des Kapitalismus.
Diese Veränderungen sind nicht bruchlos, gerade der Wissenscharakter digitaler Waren und ihre endlose Reproduzierbarkeit erfordern eine ständige Einhegung des Internets, um privaten Profit zu sichern. Der exklusive private Besitz eines Computerprogramms erscheint aufgrund der Kopierbarkeit schließlich weitaus unlogischer als der eines Auto oder Brots. Die Widersprüche des digitalen Kapitalismus bieten so vielversprechende politische Ansatzpunkte. Zu diesen Kämpfen und Potenzialen gibt es bereits wichtige Diskussionen, etwa zu digitalen Commons oder zur Peer-to-Peer-Produktion. Diese Debatten bleiben aber zu häufig eng eingegrenzte Spezialdiskussionen. Denn eines ist klar: Wenn es eines Tages doch noch einen Kommunismus geben sollte, wird es ein digitaler Kommunismus sein.
Moritz Altenried lebt in Berlin und beschäftigt sich mit der politischen Ökonomie des Internets.
Anmerkungen:
1) Sebastian Strube: Die Entstehung des Digitalen Prekariats. Rosa Luxemburg Stiftung Standpunkte 2/2015.
2) Mercedes Bunz: Die stille Revolution: Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen. Berlin 2012.