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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 604 / 21.4.2015

Aufgeblättert

Linke Islamkritik

Slavoj Zizek ist zweifellos der größte Popstar unter den lebenden Philosophen. Seinen neuesten Essay schrieb er »nach dem Schock über das Gemetzel in der Redaktion von Charlie Hebdo« (Einleitung). Das nur 63 Seiten umfassende Büchlein trägt den Titel »Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne«. Gelesen habe ich es in der Erwartung, Zizek biete Handlungsanweisungen für die politische Praxis. Das zumindest suggeriert der Verlag, wenn er schreibt, »die säkulare Linke (sei) die einzige Kraft, die wir dem islamistischen Fundamentalismus entgegensetzen können«. Über das Wie dieses Wettstreits der Linken mit dem Islamismus erfährt man buchstäblich nichts. Anregend ist die Lektüre dennoch, besonders im zweiten Teil. Dort wagt Zizek einen »Blick in die Archive des Islam« und kommt zu überraschenden Erkenntnissen, etwa über die Rolle der Frau. So habe Mohammeds erste Frau Chadidscha ihrem Mann geholfen, »die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge zu ziehen, zwischen den Botschaften der Engel und denen der Dämonen«. Erst durch sie »war er von seinen Zweifeln geheilt und konnte seine Karriere als Sprecher Gottes aufnehmen«. Was beweist: »Eine Frau besitzt ein Wissen über die Wahrheit, das sogar dem Wissen des Propheten vorausgeht!« Hat der Islam also »verdrängte feministische Ursprünge«, die nur freigelegt werden müssen? Nein, sagt Zizek und begründet auch, warum man nicht einfach den »guten« Islam dem »schlechten« Islam entgegensetzen kann.

Daniel Ernst

Slavoj Zizek: Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne. Ullstein Verlag, Berlin 2015. 63 Seiten, 4,99 EUR.

Brillanter Psychotrip

»Niemand kann behaupten, es hätte mir freigestanden, die Zwillinge zu töten, so wenig, wie es mir freistand, sie auf die Welt zu bringen. Jedes dieser Ereignisse war unvermeidlich, ein Faden im Gewebe dessen, was man mangels eines besseren Wortes Schicksal nennen mag.« So beginnt der Bericht über ein »gescheitertes Experiment«. Schon die ersten Sätze machen klar, dass wir es auf den folgenden Seiten mit einer massiv gestörten Persönlichkeit zu tun bekommen. In der Tat ist John Burnsides »Haus der Stummen« nichts für schwache Nerven. Seit seiner Kindheit ist der Ich-Erzähler ein begeisterter Forscher und fasziniert von Tod und Verwesung, vor allem aber von Sprache und Spracherwerb, die irgendetwas mit dem »Sitz der Seele« zu tun haben müssen. Nach dem Tod seiner kalten und befremdlichen Mutter (Ödipuskomplex!) hält er in seinem Keller die Zwillinge: als »Labortiere«, um diesen Sitz der Seele zu finden. In zahlreichen Rückblenden vermischen sich »Forscherbericht« und eigene Kindheitserinnerungen. Und während der Erzähler immer tiefer in seinem Gedächtnis gräbt, passiert unten im Keller Unheimliches. »Haus der Stummen« ist ein grausames, verstörendes, brillantes Buch über kaputte Kinderseelen, die Topographie des Unterbewusstseins und einen manisch gewordenen »Willen zum Wissen«. Und es ist zugleich ein irritierend poetischer Großessay über die Grenzen der Mitteilbarkeit selbst, die Burnside mit seinem autistischen Ich-Erzähler auslotet.

Stephanie Bremerich

John Burnside: Haus der Stummen. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Knaus Verlag, München 2014. 256 Seiten, 19,99 EUR.

PEGIDA

Als plötzlich Tausende gegen die angebliche Islamisierung des Abendlandes marschierten, fragten viele nach den Ursachen. Es liege an Dresden, meinten manche. Andere beschuldigten die DDR, die Bevölkerung zu dumpfen Rassist_innen erzogen zu haben. Die allermeisten waren sich einig: Mangelnde Bildung sei das Kernproblem. Dass PEGIDA Ausdruck eines seit Jahren weit über Dresden hinaus und auch in den Mittelklassen verankerten modernen Rassismus ist, kam nur wenigen in den Sinn. Inva Kuhn argumentiert genau in diese Richtung. Ausgestattet mit Rüstzeug der Kritischen Rassismusforschung erkundet sie den hiesigen antimuslimischen Rassismus. Kuhn zufolge waren es Mainstream-Medien, etablierte Parteien und Prominente wie Thilo Sarrazin und Necla Kelek, die das Feld bestellten, das PEGIDA nun aberntet. Doch warum scheint gerade jetzt die Zeit reif zu sein? Kuhns Argument: Angesichts der neoliberalen Umgestaltung des Sozialstaats kommt antimuslimischem Rassismus eine spezifische Funktion zu. Mittels der Kulturalisierung sozialer Fragen werden arme Menschen zu Schuldigen erklärt und Widerstandspotenziale zu brechen versucht. Rechtspopulistische Parteien knüpfen an solche Krisenerklärungen an und verbinden diese mit dem Ruf »gegen die da oben«. Das Buch ist eine inhaltlich überzeugende und gut lesbare Einführung, die zugleich Anregungen liefert, nicht die Sorgen der »Patriotischen Europäer« ernst zu nehmen, wohl aber ihre Themen.

Sebastian Friedrich

Inva Kuhn: Antimuslimischer Rassismus. Auf Kreuzzug für das Abendland. PapyRossa Verlag, Köln 2015. 110 Seiten, 11,90 EUR.

Rojava

In einer Kooperation der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Kampagne Tatort Kurdistan ist jetzt beim Hamburger VSA-Verlag das Buch »Revolution in Rojava - Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen Embargo und Krieg« erschienen. Im Mai 2014 reisten Anja Flach, Ercan Ayboga und Michael Knapp für vier Wochen nach Cizire, einen der drei selbstverwalteten Kantone von Rojava im Norden Syriens. Als Ergebnis zahlreicher Gespräche und des Besuchs verschiedener Einrichtungen verschafft das vorliegende Buch einen tiefen Einblick in die Philosophie und Praxis der kurdischen Selbstverwaltung, die in den letzten Monaten durch die Verteidigung der Stadt Kobane gegen den Islamischen Staat vor allem in der Linken auf weltweites Interesse gestoßen ist. Das Zusammenspiel von Räten und repräsentativen Strukturen mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen etwa in den Bereichen Frauen, Jugend und Berufsgruppen unter Einbeziehung auch aller ethnischer und religiöser Bevölkerungsgruppen stellt einen schwierigen Spagat dar, dem die Autor_innen in ihren Ausführungen viel Raum geben. Ebenso widmen sie sich den konkreten politischen Umsetzungen und den aktuellen Schwierigkeiten etwa in den Bereichen Bildung, Gesundheitssystem, Ökonomie und Verteidigung. »Revolution in Rojava« ist eine umfangreiche Innenansicht der kurdischen Selbstverwaltungsstrukturen und liefert viele Informationen über deren Entwicklungsgeschichte und Hintergrund.

Elmar Millich

Anja Flach, Ercan Ayboga, Michael Knapp: Revolution in Rojava - Frauenbewegung und Kommunalismus zwischen Krieg und Embargo. VSA-Verlag Hamburg 2015. 352 Seiten, 19,80 EUR.