Titelseite ak
ak Newsletter
ak bei Diaspora *
ak bei facebookak bei Facebook
Twitter Logoak bei Twitter
Linksnet.de
Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 604 / 21.4.2015

Wiederbelebung einer Ehe

Gender Ein internationaler Kongress bringt marxistische Feministinnen wieder zusammen

Von Hannah Schultes

Gibt es ein neues weibliches Proletariat? Hat Identitätspolitik die Arbeitskämpfe ersetzt? Geht es bei Kämpfen um ein besseres Leben eigentlich um Kämpfe um Zeit? Auf wessen Rücken findet der Abbau des Sozialstaats statt? Sind wir in einer postkolonialen Situation, die überall auf der Welt »interne Kolonien« produziert, die dann der kapitalistischen Landnahme zum Opfer fallen? Die richtigen Fragen zu stellen, helfe oft mehr weiter als scheinbar richtige Antworten zu geben, so eine Binsenweisheit. Den am Wochenende vom 20. bis 22. März in Berlin versammelten Frauen ging es nicht nur um diese Fragen, sondern auch um richtige Antworten.

Der Kongress »Die Kraft der Kritik: Wege des Marxismus-Feminismus« geht zurück auf einen Streit. Auf den Wunsch nach einem Eintrag zu Marxismus-Feminismus im »Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus« wandten einige Männer in der Redaktion ein, so etwas habe es nicht gegeben und es sei daher auch kein Eintrag notwendig. Frigga Haug, bekannt für ihre Rolle in der zweiten Frauenbewegung und der Studentenbewegung, begann daraufhin in Beweisnot ehemalige Weggefährtinnen zu befragen. In Folge organisierte die Feministische Sektion des Berliner Instituts für kritische Theorie, deren Vorsitzende Haug ist, in Kooperation mit der Rosa Luxemburg Stiftung einen ganzen Kongress. So beginnt das Wochenende mit einem Ergebnis dieser Nachforschung: der Feststellung, dass das Fehlen von Zitaten, Urheberinnen und Fußnoten, die als Beweise für die Existenz eines Marxismus-Feminismus herangezogen werden könnten, vor allem der kollektiven Theoriebildung im Feminismus geschuldet ist.

Das Ziel, den Bindestrich überflüssig zu machen

Aus über zwölf Ländern haben sich 550 Teilnehmerinnen angemeldet: organisierte feministische Sozialistinnen, Feministinnen, die in kommunistischen Parteien oder Basisbewegungen aktiv sind, Koryphäen der Frauenforschung, Gewerkschafterinnen, Siebziger-Jahre-Feministinnen, Frauenrechts-Campaignerinnen sowie Studentinnen, die ein feministisches »Wir« suchen und in ihren queerfeministischen Zusammenhängen dafür angegriffen werden. Bereits Wochen vorher war der Kongress ausgebucht. Für einige der involvierten Frauen kam das große Interesse eher überraschend, für andere nicht. »Zu einem Kongress zum Ende der großen Ideologien wäre sicher niemand gekommen. Zu diesem schon, was aber nicht heißt, dass die Leute danach nicht das Projekt auseinandernehmen werden«, gibt die Feministin und Lacan-Marxistin Tove Soiland am Rande der Konferenz zu bedenken.

In feministischer Tradition leiten die meisten Vortragenden ihre Inputs mit Momenten ein, die für den eigenen Weg zum Sozialismus oder Feminismus entscheidend waren: eigene Gewalterfahrungen, das Aufwachsen mit kommunistischen Eltern, als argentinische Bildungsbürgerin die Notwendigkeit des Feminismus erst in der Konfrontation mit US-amerikanischen Kommilitoninnen erkannt zu haben. Darin hat auch die heiter vorgetragene, aber durchaus schmerzhafte Erfahrung Platz, von Marxist_innen als zu feministisch, von Feministinnen als zu marxistisch kritisiert worden zu sein.

»Weibliche Proletariate«, »Körper, Reproduktion und Bioökonomie«, »Feministisch-marxistische Analysen des Care-Sektors« sowie Perspektiven auf Organisierung in Krankenhäusern und Kindertagesstätten - ergänzt werden diese Workshops mit ihrem klassischen Fokus auf Frauen als Produktions- und Reproduktionsarbeiterinnen durch punktuelle Hinweise auf die Notwendigkeit, Imperialismus und Krieg, die Familie als Institution oder Heteronormativität mit zu berücksichtigen.

Die eigenen, Frauen betreffenden ökonomischen Fragen wurden in gemischten Zusammenhängen als »Frauenthemen« immer wieder in den Bereich des Soziokulturellen verwiesen. Für ein paar Frauen nimmt auch hier die Behandlung ökonomischer Fragen aus marxistischer Perspektive zu wenig Raum in der Diskussion ein. Was bedeutet Warenförmigkeit im Kontext von Leihmutterschaft, was ist hier die Ware? Weitere Fragen tun sich auf: Wenn Geschlechterverhältnisse Produktionsverhältnisse sind, wo bleibt dann das Geschlechterverhältnis als Herrschaftsverhältnis? Offen bleiben auch klassische Fragen: Wie ist die Gewalt gegen Frauen mit anderer Gewalt verbunden? Wichtig ist für einige die Frage, ob es um »feministischen Marxismus« oder um »marxistischen Feminismus« geht. Die meisten teilen jedoch das Ziel, den Bindestrich überflüssig zu machen.

Die Utopien oder Visionen der Teilnehmerinnen stellen sich schon widersprüchlicher dar. Sie reichen von der von Gabriele Winker verteidigten Care-Revolution als Transformationsstrategie über die von Frigga Haug entwickelte 4-in-1-Perspektive bis zum Appell, aus den Erfahrungen der Revolutionärinnen im Iran und gegenwärtig in Kurdistan, zu lernen. Wie häufig in linken Debatten wird als eine zentrale Frage die Rolle des Staates verhandelt. Ein sich abzeichnendes Feindbild sind Schichtentheorien, weniger als vermutet wird der Queerfeminismus kritisiert. Dann schon eher die Verbreiter des Paradigmas der »immateriellen Arbeit«: Michael Hardt und Antonio Negri. Dementsprechend kontrovers stellt sich auch die Debatte um »Subsistenzinseln« dar, in denen unkommerzielle Gemeingüter geschaffen werden. Sind sie notwendig, weil sie erahnen lassen, wie das gute Leben funktionieren könnte - oder entlasten sie schlicht Kapital und Staat von der Übernahme anfallender Reproduktionskosten?

Jenseits des liberalen Feminismus

»Lateinamerika ist ein Laboratorium - für die europäische Politik der Austerität und des Sozialstaatsabbaus«, mahnt die chilenische Politikwissenschaftlerin Veronica Schild. Die Rolle von Rassismus als soziales Herrschaftsverhältnis und Postkolonialität zu analysieren, erweist sich als schwierigstes Terrain auf dem Kongress. Denn beim Thema Intersektionalität wird deutlich: Es reicht nicht aus, festzuhalten, dass die Herrschaftsverhältnisse Rassismus und Patriarchat irgendwie verbunden, voneinander abhängig oder verflochten sind. Die nächste Konferenz soll im schwedischen Lund stattfinden und diese und andere Fragen bearbeiten.

Differenzen gibt es nicht nur dahingehend, wie man Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse in ihrer Verbundenheit analysieren kann. Ece Kocab?çak ist seit zwanzig Jahren in der türkischen und nun in der britischen Frauenbewegung aktiv. Sie sieht auf der Konferenz drei Ansätze vertreten mit unterschiedlichen Problemanalysen, aus denen heraus das Verhältnis von Feminismus und Marxismus unterschiedlich gefasst wird. »Ich verstehe den Marxismus als Instrument, um Frauenunterdrückung zu verstehen und zu zerstören«, skizziert sie ihre eigene Position. Damit stehen sie und andere in der Tradition von Heidi Hartmann, die Ende der 1970er Jahre mit ihrem Schlagwort von der »unglücklichen Ehe« eine Debatte über das Verhältnis von Marxismus und Feminismus auslöste. Das Hauptanliegen einer zweiten Gruppe bestehe in der Kritik am liberalen Feminismus, der sich um den Kapitalismus nicht weiter schert. Diese Frauen heben die unheilige Allianz zwischen Neoliberalismus und Feminismus hervor. So kam beispielsweise die alte Forderung nach mehr Frauenbeschäftigung einst dem spätkapitalistischen Bedarf nach Arbeitskräften entgegen. Eine dritte, den Kongress dominierende Fraktion, lege nahe, dass die Frauen sich dem Klassenkampf anschließen sollen. »Wir sind in einer Beziehung mit dem Kapital - ob wir es wissen oder nicht. Wir sollten uns nicht als atomische Monaden betrachten«, beschwört die US-amerikanische Marxistin Martha Gimenez die Anwesenden - und erhält erstaunlich viel Applaus für ihre Hervorhebung des Klassenverhältnisses.

Kurzfristige Begeisterung

Überraschenderweise kommen selbst bei der sonntäglichen Abschlussdiskussion noch um die 100 Leute zusammen. Immer wieder geht es um die Frage, welche Bedeutung und Funktion der Kongress nun hatte. Ging es um eine Vergewisserung darüber, was Marxismus-Feminismus ist und sein könnte, oder dass hegemoniale Männlichkeit, wie sie derzeit entworfen ist, »weg muss«? Zwischenzeitlich stehen 25 Frauen auf der Redeliste. Shahrzad Mojab, in Kanada lehrende Professorin aus dem Iran und ehemalige Revolutionärin, hat viele ihr bekannte Frauen dazu bewegt zu kommen: »Ich dachte, dass es ein historischer Moment werden würde und in ein paar Jahrzehnten werden wir alle das so sehen.«

Der Altersdurchschnitt lag deutlich höher als bei sonstigen feministischen Veranstaltungen - einige jüngere Frauen freut das: eine Möglichkeit, die Heldinnen zu sehen. Frigga Haug zufolge markiert das einen wichtigen Unterschied zu den »Emma-Feministinnen«: »Wir haben sie gerufen und alle sind gekommen. Wir sind es geblieben.« Mit »es« meint sie: dem eigenen (marxistischen) Feminismus treu geblieben. Manch Ältere ist erleichtert, dass überhaupt Jüngere gekommen sind. Lise Vogel, in den 1960er Jahren Aktivistin der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Frauenbewegung, hatte daran keinen Zweifel - trotzdem bleibt die Kritikerin des Intersektionalitäts-Paradigmas »langfristig Pessimistin«, wenn auch eine, die nach der Konferenz »kurzfristig begeistert« ist.

Im besten Falle wird ein marxistisch-feministisches Netzwerk sowohl in die Debatten und Zirkel der historischen Materialisten als auch in die Womens und Gender Studies und die frauenbewegten Zusammenhänge hineinwirken. Dass sogar ein paar Queerfeministinnen gekommen sind, macht Allianzen mit dieser Szene nicht gänzlich unwahrscheinlich.

Eine Teilnehmerin beginnt ihr Statement: »Ich bedanke mich jetzt nicht, um meine Kritik abzuschwächen.« Differenzen zu artikulieren und auszuhalten und dabei das Projekt im Blick zu behalten, ist eine Fertigkeit, die marxistische Feministinnen noch brauchen werden, auch weil wir, wie jemand ausdrückt, »nicht die Chance haben, uns voneinander zu entfernen«.

Hannah Schultes schrieb in ak 596 über den Aufbau sozialer Zentren in Istanbul und politische Arbeit nach den Erfahrungen der Gezi-Proteste.