Literatur in den Mühlen der Kulturindustrie
Linke & Literatur Sechs Streiflichter auf schriftstellerische Arbeit heute
Von Carolin Amlinger
Literatur treibt ihre Produzent_innen nicht selten zu einer ungesunden Schufterei; sie arbeiten rastlos, mal quälend langsam, mal rauschend schnell. Die Gehetzten ihrer Wörter sind frei, sich selbst zu knechten. Auch wenn sie der elenden Lohnarbeit im Prozess des Schreibens entzogen sind, ihr Produkt ist im Resultat eine profane Ware, die sich auf einem rasenden Literaturmarkt bewähren muss. (1) Schriftsteller_innen verkaufen Wörter, nicht ihre Arbeitskraft. Da Literatur unendlich reproduzierbar, das heißt potenziell jedem und jeder zugänglich ist, der kapitalistische Literaturmarkt aber auf Ausschluss und Eigentum beruht, bieten die Schriftsteller_innen die Nutzungsrechte ihres »Geisteseigentums« gegen Honorar an. Kurz: Sie behalten die freie Verfügungsgewalt über ihr Werk, bleiben aber abhängig von denen, die es bezahlen.
Arbeit
Die Verleger_innen, oft eine mythisch überhöhte Figur zwischen Geschäfts- und paternalistischem Kunstmensch, erwerben das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht an dem literarischen Werk. Während »normale« Lohnarbeiter_innen den diabolischen Vertrag schließen, für den von ihnen erarbeiteten Mehrwert zumindest so etwas wie die Reproduktionskosten ihrer selbst zu erhalten, können die Schriftsteller_innen sich nicht darauf verlassen. Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) hat zwar 1978 einen Normvertrag erkämpft (umfassend aktualisiert 2014), der eine Autorenbeteiligung in Höhe von zehn Prozent am Nettoladenverkaufspreis empfiehlt (durchaus ein Fortschritt), aber die Schriftsteller_innen können von einem monatlichen Lohnzettel nur träumen. Das ausgehandelte Autorenhonorar ist nicht bloß Sache der ungleichen Vertragspartner_innen, sondern es zählt ausschließlich die Anzahl der verkauften Exemplare, egal wie rauschend, flink, wortwürgend lange der Arbeitsprozess gedauert hat.
Markt
Literatur ist, wie Kunst im Allgemeinen, »zugleich ein Produkt wie ein Jenseits« des Kapitalismus. (2) Das Versprechen der Literatur, in den Sog möglicher Welten zu geraten, die so viel mehr über die Wirklichkeit verraten als diese uns zu sagen wagt, wird auf dem Literaturmarkt kapitalisiert. So lautet der Handel. Doch seit den 1980er Jahren wird dieser in einem schleichenden Strukturwandel aufgekündigt: Die Literatur wird als Ware stärker denn je Mittel zum Zweck der Kapitalakkumulation. Versuchte man in den Verlagen traditionell mithilfe der Buchpreisbindung durch eine Mischkalkulation die ästhetische Qualität eines Buches von dem ökonomischen Ergebnis zu entkoppeln, messen die großen Konzernverlage mit ihren gesteigerten Renditeerwartungen den Wert der Literatur an ihren Verkaufszahlen. Auf dem Markt gilt: Gute Literatur ist diejenige, die sich gut verkauft.
Damit wird aber in vielen Fällen auch der stillschweigende Pakt aufgekündigt, den Verleger_innen und Autor_innen im bundesrepublikanischen Nachkriegsdeutschland eingingen: Verlage sicherten sich über eine feste Verlagsbindung die lebenslange Treue der Autor_innen und machten dies über vorgeschossene materielle Wohltaten gut. Die Autor_innen fühlten sich dabei zwar eher als »abhängiger Wortproduzent«, so der Autorenreport der 1970er (3), aber die Abhängigkeit bot auch Sicherheit. Heute tritt das im Verlagsvertrag festgeschriebene Ausbeutungsverhältnis stärker in den Vordergrund. Bei Marktversagen kann die Zusammenarbeit jederzeit aufgekündigt werden. Die Autor_innen sind also über das Erfolgshonorar nicht nur am Realisationsrisiko beteiligt, sondern sie tragen verstärkt auch das in die Zukunft projizierte Marktrisiko.
Erfolg
Das Paradox der Programmgestaltung großer Konzernverlage liegt darin, dass sie das Unwahrscheinliche wahrscheinlich machen wollen. Bestseller ereignen sich selten, sie werden deshalb am verlegerischen Reißbrett geflissentlich geplant - und oft mit hohen Vorschüssen über literarische Agenturen eingekauft. Denn auf einem beschleunigten Markt, wo in immer kürzerer Zeit immer mehr Bücher (und damit auch Autor_innen) produziert werden, wird eine Steigerungslogik losgetreten, die ein Buch nicht selten nach sechs Wochen auf den Friedhof der »preisreduzierten Mängelexemplare« schickt.
Als wichtigste Fabrik für den Bucherfolg haben sich die Bestellerlisten etabliert, die - hat man einmal einen Platz erobert - zwar hohe Verkaufszahlen garantieren, aber auch irgendwie gerne das Gleiche ausspucken. Denn an der Spitze der Bestseller stehen nicht selten Autor_innen, die bereits als Bestsellerautor_innen reüssiert haben. Selbstreferentiell begründet sich Bekanntheit auf Bekanntheit.
Darum nimmt es nicht weiter wunder, dass auch das zwischen Verlag und Autor_in ausgehandelte Honorar unmittelbarer auf Marktresultate rückbezogen wird. Pikettys Analyse der sich verstärkenden sozialen Ungleichheit gilt auch für Autor_innen: Das Honorar erfolgreicher Autor_innen steigt, das der übrigen sinkt im Vergleich dazu aber immens. Der Konkurrenzkampf wird härter.
Stand
Sich antikapitalistisch düngende Literaturbetriebler_innen haben sich zur Aufgabe gemacht, gegen die »schlechte« Selektion des Marktes ihre »gute« zu setzen, die statt nach Markterfolg nach ästhetischer Qualität siebt, positioniert und hierarchisiert. Die Logik wird allerdings bloß umgekehrt: Markterfolg wird hier zum Misserfolg, haftet an ihm der »schlechte« Geschmack der Masse.
Über Preise und Stipendien sollen so auch jene Autor_innen zu Ruhm und Geld kommen, die auf dem Markt ein verhuschtes Mauerblümchendasein fristen. Akkumuliert wird in der Auszeichnungspraxis jedoch zunächst vorrangig das symbolische Kapital der Anerkennung, um sich im Literaturbetrieb exponiert positionieren zu können. Da der Prestigezuwachs nicht selten auch steigende Verkaufszahlen nach sich zieht, führt die Gegenbewegung zum Markterfolg paradoxerweise letztlich aber wieder zu Markterfolg - und das, was man verdammt, holt eine_n wieder ein.
Da auch hier diejenigen, die oben sind, bestimmen, was Qualität und was Schund ist, fungieren die Auszeichnungen als Schließungsmechanismen, die bestimmen, wer drinnen und wer draußen ist. Während der Markt zumindest die Illusion der Qualitätsselektion über die zahlende Leserschaft aufrechterhält, greifen in den engeren Kreisen des Literaturbetriebes ständische Prinzipien, die allen ihren unverrückbaren Platz im Wettstreit um die Dichterkrone zuweisen. Florian Kessler hat sich das nicht bloß ausgedacht, wenn er von schreibenden Bürgersöhnen berichtet. (4) Der bürgerliche Literaturbetrieb beklatscht immer noch seinesgleichen am liebsten.
Klasse
Neu ist es nicht, dass die Literatur ein bürgerlicher Betrieb ist. Neu ist aber, dass die schreibenden Arbeiter_innen lediglich noch zum exotischen Ausstellungsobjekt taugen. Bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von etwa 1.800 Euro brutto - so die Daten der Künstlersozialkasse - ist es augenscheinlich, dass die Schriftstellerei prekär ist: Nicht nur das Einkommen ist gering, als Soloselbstständige verfügen sie kaum über sozialen und rechtlichen Schutz. War das Arbeitslosengeld früher das Sabbatical der Künstler_innen, so geraten sie heute bei einer Schreibblockade oder Durststrecke gleich in die Disziplinierungsmaschinerie von Hartz IV, in der es mit kreativer Freiheit nicht weit her ist.
Die zunehmende Marktzentrierung des Literaturmarktes führt folglich zu einer gesteigerten Polarisierung im sozialen Ranggefüge der Schriftsteller_innen. Auf der einen Seite bilden sich selbstreferentielle, geschlossene Schriftstellernetzwerke, die eine relativ gesicherte (Macht-)Position im Literaturbetrieb besetzen. Auf der anderen Seite wird für diejenigen Schriftsteller_innen, die nicht Teil der bürgerlichen Elite sind, der ökonomische Druck des Literaturmarktes zu einem entscheidenden Prekaritätsfaktor: Für sie wird es immer schwieriger, sich und ihre Arbeit zu reproduzieren. Jene Writing Poor müssen sich in einem marktgängigen und schnelllebigen Literaturbetrieb bewähren. Sie ächzen zwischen Nebenjobs, mehreren Buchprojekten und haben eine literarische Reservearmee im Nacken sitzen, die die eigene Austauschbarkeit unter die Nase reibt.
Was sein könnte
Literatur wäre nicht Literatur, würde sie sich nicht zumindest teilweise von ihren Entstehungsbedingungen emanzipieren können. Dem fertigen Wort sieht man den Schweiß der Arbeit, die Armut, den Exzess nicht mehr an. Das ist ihr Segen und Fluch. Aber im Markt und Betrieb wird vor allen Dingen eine Literatur entlohnt, die in einem schlechten Positivismus das nachbildet, was ist und nicht, was sein könnte. Literarischer Realismus thematisiert heute vor allem Demenz, Krebs und andere Sorgen der Mittelschicht. Daraus zu schließen, Realismus per se sei ein »notwendiger Irrtum« (Dietmar Dath) ist nachvollziehbar, greift aber zu kurz: Entscheidend ist nicht, ob der Himmel grün oder blau ist, sondern ob der Horizont des Möglichen in ihm zu finden ist.
Carolin Amlinger promoviert zum Strukturwandel schriftstellerischer Arbeit. Ihr Buch »Die verkehrte Wahrheit. Zum Verhältnis von Ideologie und Wahrheit« wurde in ak 602 besprochen.
Anmerkungen:
1) Der Text beruht auf Gesprächen mit einigen gut und vielen schlecht verdienenden Schriftsteller_innen.
2) Markus Metz und Georg Seeßlen: Geld frisst Kunst - Kunst frisst Geld. Berlin 2014.
3) Karla Fohrbeck und Andreas Johannes Wiesand: Der Autorenreport. Hamburg 1972.
4) Florian Kessler: Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn! In: Die Zeit 4/2014.