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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 604 / 21.4.2015

Belletristik ist Frauensache

Linke & Literatur Torsten Meinicke und Gerlinde Schneider vom Buchladen in der Osterstraße in Hamburg über Lesegewohnheiten und die Möglichkeiten des unabhängigen Buchhandels

Interview: Jens Renner

Der Buchladen Osterstraße liegt in Hamburg-Eimsbüttel. Hier gibt es ak, hier kauft die ak-Redaktion ihre Bücher. Der Laden besteht seit 1978 als selbstverwaltetes Kollektiv. Torsten Meinicke ist seit 18, Gerlinde Schneider seit 16 Jahren dabei. Seit fünf Jahren gehört auch Doris Claus zum Buchladenteam.

Politische Fachbücher gibt es jede Menge, die bietet ihr ja sehr zahlreich an, und in ak werden viele davon rezensiert. Aktuell interessiert uns das Verhältnis im weitesten Sinne linker Leserinnen und Leser zur sogenannten schönen Literatur. Wird die gelesen? Was wird nachgefragt?

Gerlinde Schneider: Ich würde da unterscheiden zwischen Männern und Frauen. Der Großteil unserer weiblichen Kundschaft liest auch viel schöngeistige Literatur. Ich denke, dass viele aus politischen Bewegungen sich für literarisch gute politische Romane entscheiden, solche mit politischen Hintergrundthemen. Es gibt auch relativ viele, die in Lesekreisen sind und sich dafür Bücher ansehen und sich beraten lassen. Bei Männern ist das ein bisschen anders. Das sind eher Ausnahmen, die häufiger literarische Titel lesen. Die kaufen eher, um Bücher zu verschenken, und sind dann ganz dankbar, wenn sie von uns beraten werden.

Männer lesen lieber Fußballbücher?

Torsten Meinicke: Ja, vereinzelt auch, weil es ja mittlerweile viele gute, kritische Fußballbücher gibt. Beide, sowohl Männer als auch Frauen, lesen auch Krimis. Das ist auffallend. Ich tue mich selber immer schwer mit der Unterscheidung zwischen guter Literatur und Krimis. Es gibt ja Krimis, die auch gute Literatur sind, die explizit politisch sind. Das ist ein Bereich, der bei uns in den letzten Jahren konstant gewachsen ist. Wir haben natürlich auch die gängigen Krimibestseller stehen, oft aber auch selbstgemachte Bestseller, wie zum Beispiel, seit es sie in deutscher Übersetzung gibt, die Bücher von Dominique Manotti, die bei Assoziaton A und bei Argument verlegt werden, die wir bestimmt über 500 Mal verkauft haben. Manotti ist das Beispiel einer marxistisch geschulten, sehr politischen Autorin, die explizit politische »romans noirs« schreibt. Ansonsten würde ich Gerlinde recht geben. Da unterscheiden wir uns nicht von anderen Buchhandlungen. Belletristik ist in erster Linie Frauensache, bestimmt mit einem Anteil von 70 zu 30 Prozent - mindestens. Männer greifen zum politischen Sachbuch, allerdings nicht mehr in der Anzahl wie in bewegteren Zeiten. Einige nutzen unsere politische Auslage eher als eine Art Erinnerungstapete, Erinnerung an Zeiten, wo sie selber mal bewegter waren und politische Sachbücher gelesen haben. Die lesen stattdessen heute halt Krimis.

Versteht ihr euch als politisches Projekt in dem Sinne, dass ihr bestimmte Inhalte herausstellt, auch in der Beratung, als Hinweis: Hier ist ein wichtiges neues Buch erschienen?

G.S.: Das machen wir bei Kundinnen und Kunden, von denen wir wissen, dass sie sich für bestimmte Bereiche interessieren. Es spielt auch eine Rolle bei Bestellungen, wenn wir wissen, der oder die lesen viel zu dem Thema. Oder auch durch unsere Schaufenster, Hinweise im Newsletter und auf unserer Website oder in unserer Broschüre mit Buchempfehlungen vor Weihnachten.

Es gibt ja eine Reihe von linken Kleinverlagen, die sich unter prekären Bedingungen über Wasser halten, mit geringen Auflagen, die aber ein politisches Programm machen, das ihnen wichtig ist. Habt ihr ein besonderes Verhältnis zu denen, versteht ihr euch als Multiplikator von deren Erzeugnissen? Ist das ein Kriterium für die Auswahl eures Sortiments?

T.M.: Das ist auf jeden Fall ein Kriterium. Natürlich liegen uns solche Verlage tendenziell näher am Herzen als die großen Konzernketten. Was nicht heißt, dass nicht auch in großen Verlagen gute Bücher erscheinen. Was umgekehrt auch nicht heißt, dass in allen linken Kleinverlagen durch die Bank gute Bücher erscheinen. Aber natürlich haben wir da ein Augenmerk drauf, lesen die Verlagsvorschauen sehr genau, empfangen die Vertreter. Es macht einfach mehr Spaß, wenn Titel aus diesen Verlagen dann plötzlich doch einen Achtungserfolg erzielen. Man geht befriedigter aus dem Laden, wenn man stapelweise Bücher verkauft von Assoziation A, Edition Nautilus oder Verbrecher Verlag als irgendwelche Bestseller, die überall verkauft werden.

G.S.: Es gibt mit einem Teil der Verlage eine Kooperation über unsere Veranstaltungen. Die Verlage informieren uns frühzeitig, was sie gerade lektorieren und mit welchen Autorinnen und Autoren sie Lesereisen planen. Ich weiß auch von den linken Kleinverlagen: Wenn es die kleinen unabhängigen Buchhandlungen nicht gäbe, würden die Kleinverlage auch schnell verschwinden. Deren Verlagsvertreter werden zum Teil in den großen Buchhandlungen gar nicht empfangen.

T.M.: Man muss sogar verschärfend sagen: Alle diese Bücher aus den linken Kleinverlagen finden in den großen Buchhandlungen überhaupt nicht statt. Die kommen überhaupt nicht in deren Sortimente. Ich würde niemals sagen, wir machen mit dem Buchladen Politik, das ist mir ein bisschen zu viel der Ehre. Ich würde aber schon sagen, wir versuchen, Marken zu setzen und Angebote zu machen. Vor allem durch thematische Schaufenstergestaltung versuchen wir, auf aktuelle Themen aufmerksam zu machen, wo dann ja durchaus auch belletristisch einiges im Laden vorhanden ist. Vielleicht noch als Ergänzung zu der Frage: Was lesen Linke an Belletristik? Ich finde es sehr auffallend, dass viele unserer Kundinnen und Kunden sehr offen sind für Belletristik, die die ganze Migrationsproblematik, die Fluchtproblematik zum Thema hat. Bücher von afroamerikanischen Autorinnen, Bücher von Autoren wie Assani-Razaki und Abbas Khider, die über Fluchterfahrungen schreiben. Das sind immer Bücher, die bei uns stark nachgefragt werden und die wir natürlich auch gerne empfehlen.

Gerlinde, du hattest eure Veranstaltungen erwähnt. Das ist doch schon eine politische Aktivität mit großem Aufwand, die ihr vermutlich nicht macht, weil sich das rechnet?

G.S.: Wir machen ja meistens eine gute Mischung im Veranstaltungsprogramm. Wir versuchen, eine literarische Veranstaltung zu machen, mindestens eine mit einem ausgesprochen politischen Sachbuch und gern auch eine Krimiveranstaltung. Und dann gibt es noch unsere Buchvorstellungsabende. In der Kombination hat es sich so entwickelt, dass wir nicht allzu viel draufzahlen. Die Autorinnen und Autoren kriegen in der Regel ein Honorar, Reisekosten und Übernachtung werden erstattet. Da muss der Laden dann auch mit 70 Leuten voll sein. Bei den Sachbüchern ist es so, dass die Autorinnen und Autoren weniger oder manchmal gar kein Geld haben wollen. Leider werden die Sachbuchveranstaltungen deutlich schlechter besucht. Ausnahmen sind selten, etwa die Veranstaltung mit Christoph Twickel zu seinem Buch »Gentrifidingsbums« über Stadtentwicklung. Da kommen dann auch aus anderen Stadtteilen mal Leute, aber ansonsten werden unsere Veranstaltungen eher von Menschen aus dem Stadtteil besucht. Bei den Sachbuchveranstaltungen kommen dann auch mehr Männer. Bei den literarischen Veranstaltungen ist das Verhältnis etwa so, wie Torsten sagt: 70 Prozent Frauen.

Gibt es Bücher, die ihr bewusst nicht anbietet?

G.S.: Sarrazin!

T.M.: Wir wurden auch gelobt dafür, dass wir Sarrazin nicht da hatten ...

G.S.: Genau: Es kam ein junger Mann »mit Migrationshintergrund«, der sagte, er sei bei Heymann gewesen und da hätte ein Stapel Sarrazin an der Kasse gelegen, und er sei sofort wieder rausgegangen. Der hat dann bei uns was bestellt.

T.M.: Es gibt selbstverständlich, darüber muss man nicht reden, Naziliteratur und ähnliche Sachen, die finden im Laden nicht statt. Zu großen Themen, die die Linke immer wieder bewegen - Antisemitismus, Israel/Palästina - gibt es bei uns keine strenge Zensur und Ausrichtung: nur das oder nur das. Da stehen bestimmt auch Sachen im Laden, mit denen wir den Antideutschen nicht gefallen. Da sehen wir uns nicht als Zensurbehörde, sondern versuchen, ein möglichst gutes Gesamtangebot zur Verfügung zu stellen.

G.S.: Wir haben allerdings auch Sarrazin bestellt, wenn Leute den haben wollten. Wir können ja nicht den Menschen verbieten, sich damit auseinanderzusetzen. Bei "Fifty shades of grey", das wir auch nicht da haben, hat sich das Bestellproblem nicht gestellt, weil die Leute das immer sofort haben wollten ...

Meine letzte Frage betrifft die Zukunft. Der unabhängige Buchhandel hat es ja nicht leicht. Es gibt ja nicht nur die großen Ketten, sondern immer mehr auch den Internethandel. Wie seht ihr eure Zukunft? Wie lange macht ihr noch weiter?

G.S.: Das hängt ein bisschen von der Buchpreisbindung ab ...

T.M.: Solange die Buchpreisbindung erhalten bleibt, denke ich, dass es weiter gehen kann. Man merkt auch ein zunehmendes Bewusstsein, was die Krake Amazon angeht. Wir bieten ja auch seit einem Jahr über unseren Webshop die Möglichkeit, zu gleichen Konditionen das zu nutzen. Obwohl uns die Menschen im Laden natürlich nach wie vor wichtiger sind. Es wird garantiert auch die nächsten Jahre nicht die Gefahr bestehen, reich zu werden. Die bestand aber nie. Ich glaube aber, dass in den letzten Jahren ein bisschen mehr Bewusstsein entstanden ist für die Wichtigkeit solcher Läden, nicht nur Buchläden, sondern überhaupt des engagierten unabhängigen Einzelhandels, nennen wir es mal so, für die gesamten Sozialstrukturen in den Quartieren. Man merkt das auch dadurch, dass Buchhandelspreise ausgeschrieben werden, dass da ein zartes Pflänzchen ein wenig geschützt werden soll. Von daher bin ich vorsichtig optimistisch.

Vielen Dank! Das nächste Gespräch machen wir, wenn ihr einen dieser Preise gewonnen habt.

Torsten Meinicke und Gerlinde Schneider freuen sich über Rückmeldungen. Kontakt und Veranstaltungsprogramm: www.buchladen-osterstraße.de.

Was immer da sein muss, egal wie oft es verkauft wird:

Isaak Babel: Die Reiterarmee. Friedenauer Presse

Lily Brett: Chuzpe. Suhrkamp

Maryse Condé: Segu. Unionsverlag

Fatou Diome: Der Bauch des Ozeans. Diogenes

Gerd Fuchs: Die Auswanderer. Edition Nautilus

Christian Geissler: Wird Zeit, dass wir leben. Verbrecher Verlag

Georg K. Glaser: Geheimnis und Gewalt. Stroemfeld

Franz Jung: Der Weg nach unten. Edition Nautilus

Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen. Rowohlt

Primo Levi: Wann, wenn nicht jetzt? dtv

Amin Maalouf: Die Häfen der Levante. Suhrkamp

Michela Murgia: Accabadora. Wagenbach

Elsa Osorio: Mein Name ist Luz. Suhrkamp

Manès Sperber: Wie eine Träne im Ozean. dtv

Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland. Rowohlt

Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. Suhrkamp