Keine Gewalt ist auch keine Lösung
Aktion Nach Blockupy verstellen die Diskursregeln der Gewaltdebatte den Blick auf die wichtigen eigenen Fragen
Von Tobias Anders
Als das Buch »Der kommende Aufstand« vor ein paar Jahren auf Deutsch erschien, war das bürgerliche Feuilleton kaum zu bremsen: »Ein ersehnter Aufbruch« (Deutschlandfunk) klinge durch das Buch, das mit »schneidigem Ton, der einen packt« (Süddeutsche), das Ziel formuliert, »das System zu stürzen« (3sat). Ein »linksradikales Manifest ruft zum Widerstand« (Die Zeit), »bombastisch und militant«, »immer wieder anregend, aufregend« und »von bestechender Schärfe« (Tages-Anzeiger). Im grauen Literaturbetrieb lechzte die Pressemeute nach Abwechslung und etwas Sensationellem.
Als am 18. März die Europäische Zentralbank (EZB) eröffnet wurde, Blockupy den Aufstand probte, war das Geschrei groß: »Was die randalierenden Wanderkader mit Ziel Frankfurt im Sinn hatten, konnte jeder wissen. Es war nicht das erste Mal. Es sind Heuchler, die jetzt so tun, als hätte man Hass und Zerstörungswut nicht kommen sehen können.« (FAZ) »In den vergangenen Monaten ist viel über den Rechtsterrorismus gesprochen worden. Nach den NSU-Morden war diese Debatte überfällig. Dass es auch auf der linken Seite des Spektrums ein radikales und gewaltbereites Potenzial gibt, ist dabei offenbar ein wenig aus dem Blick geraten.« (General-Anzeiger) »Gestern fand kein Freiheitskampf gegen Unterdrückung und Willkür statt. Es war vielmehr eine hoch intelligent arrangierte Inszenierung, die nur ein Ziel hatte: Bilder zu produzieren, die beweisen, dass eine angeblich übermächtige Staatsmacht einen vermeintlich gerechtfertigten Protest niederknüppelt.« (Südwest Presse) »Es ist nicht gut, wenn es die Blödheit von Randalierern der Politik erleichtert, in ihrer eigenen Dummheit zu verharren. Es ist auch nicht gut, wenn notwendiger Protest den Krawallmachern überlassen wird.« (Süddeutsche) Und die Neue Zürcher Zeitung befand, dass die »blinde Gewalt und Zerstörungswut« nicht zu entschuldigen sei.
Ähnliche Zitate lassen sich auch für die vergangenen Jahre finden: für die G8-Demonstration in Rostock 2007, Anti-Nazi-Proteste in Dresden und anderswo. Nach den G8-Protesten vor 14 Jahren in Genua schrieb Werner Rätz (attac): »Gewalt ist Teil der Gesellschaft und Ausdruck jeder sozialen Bewegung. Nicht Militanz muss infrage gestellt werden, sondern die Art und Weise, wie sie eingesetzt wird.« Aber nicht nur Gewalt ist Teil der Gesellschaft, sondern auch die Art und Weise, wie darüber gesprochen wird und werden kann, wie die Regeln des Diskurses definiert werden.
Klassenkampf der Herrschenden
Das Gewaltgeschrei gehört zum Klassenkampf der Herrschenden wie das rutschige Gefühl zum In-Hundescheiße-treten - wenn es sich nicht um die Gewalt der Polizei handelt. Es gehört nun mal zum Beruf eines jeden aktiven und zukünftigen Innenpolitikers und Polizeisprechers, sich stets aufs Neue über das »nie dagewesene Ausmaß an Gewalt« aufzuregen. Wobei man sich eigentlich fragen müsste, wie oft eigentlich etwas »nie dagewesen« sein kann?
Die Regeln, die bestimmen, was gesagt werden darf und was nicht, sind also nicht selbst gesetzt. Seit Jahrzehnten ist bekannt, wie das läuft. Linke Aktivist_innen haben keine Kontrolle über die Debatte, keinen Einfluss auf die Deutung des Geschehens. Das hat sich mit Internet und Twitter nicht wesentlich geändert, auch wenn die abweichenden Stimmen vielleicht hörbarer geworden sind. Und die Linke erkennt die Spielregeln der Leitmedien an, lässt sich immer wieder darauf ein.
Die Distanzierungen von Gewalt laufen immer auf eine allgemeine Delegitimierung von Protest und auf politische Spaltung hinaus. Sie sind eine Form der Disziplinierung in der Aufmerksamkeitsökonomie des ganz normalen Medienwahnsinns. Die Presse führt keine linke Diskussion. Die Distanzierungsrituale sind Rituale zur Stabilisierung der Verhältnisse. Die Linke soll sich dem Monopol physischer Gewaltsamkeit, dem Staat und der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung an den Hals werfen.
»Friedlicher Protest« ist kein Selbstzweck
Mit dem Aufruf zur Distanzierung konfrontiert, stellen auch Linke nur selten die eigenen, die wichtigen Fragen. Meist springen sie über das Stöckchen, das hingehalten wird. Egal, ob sie den Spieß umdrehen und den gewaltvollen Aktionen die Polizeigewalt oder die Gewalt der Verhältnisse gegenüberstellen; oder ob sie beteuern, dass Blockupy einen klaren Aktionskonsens gehabt habe, der Auseinandersetzungen wie die in Frankfurt ausschloss; oder dass sie feststellen, dass alles doch gar nicht so schlimm sei, wie zunächst in den Medien behauptet (die meist eh nur Polizeimeldungen an die Öffentlichkeit durchreichen). Klar, die Debatte in Deutschland ist hysterisch. Das machte der SYRIZA-Politiker Giorgos Chondros in der taz deutlich: »In Griechenland würden die Leute sich kaputtlachen.« Auch der Polizeiforscher Rafael Behr, der von 1975 bis 1990 Polizeibeamter in Frankfurt am Main war, stellte fest: »Das hatten wir alles schon viel schlimmer.«
Wichtiger wäre jedoch, statt das Für und Wider zu debattieren, Relativierung und Rechtfertigung hin- und herzuwälzen, einen eigenen Maßstab anzulegen - statt sich eine allgemeine Diskussion über Gewalt aufzwingen zu lassen. Deshalb mag Peter Schaber im neuen deutschland zwar recht haben, dass sich bei »jenen, die ohne irgendeine Überlegung zu richtigen und falschen Zielen auf das Erzeugen von Trümmerhaufen stehen«, die »Militanz in Randale« verkehre und »leer« werde. Aber der Maßstab von Blockupy war doch ein anderer, oder? Wiese also die Fragestellung der bürgerlichen Presse zur eigenen machen?
Die Aktionsform der Blockade hat einen spezifischen politischen Zweck. Die Idee ist, ein Angebot des zivilen Ungehorsams zu machen und dadurch mehr als nur den harten Kern etwa dazu zu bewegen, sich Nazis in den Weg zu stellen, einen Castortransport möglichst teuer zu machen oder einen G8-Gipfel von der Außenwelt abzuschneiden. Das Blockupy-Bündnis hat es jedoch kaum geschafft, über die eigenen Kreise hinaus zu mobilisieren. Das war schon recht bald abzusehen. Es kamen zwar trotzdem viele, vor allem aus dem europäischen Ausland, aber eben kaum die, die dort abgeholt werden sollten, wo sie standen. Formal wurde am Aktionskonsens festgehalten, jedoch gleichzeitig mit Händen und Füßen über die nicht gestellte Frage abgestimmt, ob das angekündigte Blockadekonzept überhaupt sinnig ist, wenn nur die üblichen Verdächtigen auf der Straße sind. Der angekündigte »friedliche Protest« war schließlich kein Selbstzweck. Er verfolgte auch nicht das Ziel, einen Hofknicks vor der bürgerlichen Presse einzuüben.
Warum wurde vor und noch nach Blockupy nur intern über diese Fragen diskutiert? Es mag daran liegen, dass man sich hätte eingestehen müssen, dass die die Einladung »18nulldrei, ich nehme mir frei« nicht so breit angenommen wurde, wie man erhofft hatte. Das mag auch daran liegen, dass es kaum eine eigene Form der linken Öffentlichkeit gibt, in der derartige Fragen diskutiert werden können - eine Öffentlichkeit, die den Unterschied zwischen »Distanzierung« und dem Umstand kennt, dass man etwas politisch nicht richtig findet - etwa das Anzünden von Polizeiautos. Wie können Räume und Diskussionen organisiert und abgesichert werden, damit die Linke offen und solidarisch über Strategien und Aktionsformen diskutieren kann? Warum lässt sich die Linke immer von dem durch Mikrofone und Kommentarspalten abgesteckten Diskurs treiben, der von linker Gewalt viel, von der Gewalt der Verhältnisse jedoch wenig wissen will?
Noch viel wichtiger ist jedoch die Frage, wie nach der EZB-Eröffnung Widerspruch, Protest und Aufklärung in den Alltag getragen werden können, in die Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz, um die Kinderbetreuung und Rentenpolitik, öffentliche Güter, Schulden und Universitäten, die Gesundheitsversorgung und die Wohnquartiere. Wenn die Menschen nicht mit uns auf die Straße gehen, müssen wir mit ihnen dort den Aufstand proben, wo wir ihnen im Alltag begegnen.
Tobias Anders hat noch nie einen Stein geworfen.