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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 605 / 19.5.2015

Aufgeblättert

Entspannter Sofasex

Wer denkt sich eigentlich die Titel für Kirsten Fuchs' Erzählbände aus? Wie im Fall von »Eine Frau spürt sowas nicht« (2011) sollte man sich auch beim neuesten Schmiss der Berliner Lesebühnenautorin nicht von der Kalauerei auf dem Deckblatt irritieren lassen: »Kaum macht man mal etwas falsch, ist es auch schon wieder nicht richtig« bietet grandios erzählten Irrsinn aus dem Mikrokosmos »Alltag«, der über Schenkelklopfer-Niveau deutlich hinausgeht. Egal, ob die Autorin über Müll und misanthrope Hausmeister sinniert, sich in den Kopf einer fanatischen Harry-Potter-Adeptin versetzt (»Ich überlege, ob ich mich ein bisschen ritzen soll. An der Stirn. So in Blitzform.«), Geschlechterklischees auf den Prüfstand bringt (»Mannschine und Frautomat«), mit »Zweiarschregisseur« Til Schweiger abrechnet oder sich einfach nur nach »Schlumperhose« und entspanntem »Sofasex« sehnt: Zuverlässig treffen Komik und Tragik, Witz und Weisheit aufeinander und erzeugen genau das herrlich dreiste Gemisch, das Kirsten Fuchs so unverwechselbar macht. »Kaum macht ...« ist ein Buch, das man verschenken, behalten, empfehlen und immer wieder laut vorlesen möchte. Wem das zu anstrengend ist, kann auf die beigefügte CD ausweichen, auf der weitere Geschichten enthalten sind. »Wäre dies nicht zufällig ein lustiges Buch, man könnte es als Kreissäge benutzen«, lässt sich Torsten Sträter auf dem Klappentext zitieren. Besser kann man es eigentlich gar nicht zusammenfassen.

Stephanie Bremerich

Kirsten Fuchs: Kaum macht man mal etwas falsch, ist das auch wieder nicht richtig. Buch und CD. Voland & Quist; Dresden 2014. 160 Seiten, 14,90 EUR.

Frauen im Aberland

Im bestbürgerlichen Milieu Österreichs liegt es, das Aberland. Es ist bewohnt von Frauen, denen der Feminismus eine Ahnung davon gebracht hat, dass auch Frauen Subjekte sein können, Träume leben, für eine gerechte Arbeitsteilung kämpfen. Aber. Die Männer leben woanders, für sie hat sich wenig verändert. Gertraud Klemms zweiter Roman misst das Aberland für zwei Figuren aus: die in ihrer Resignation fast zufriedene Muttergattin und ihre unzufriedene Tochtermutter, deren Anklagen sehr treffend sind, sie aber nicht aus ihren Widersprüchen befreien. Der Tonfall des Romans geht auf. Gertraud Klemm hat die postkartenreifen Sätze und frischen Metaphern gut verwoben in die Figurenrede. Es ist ein Vergnügen zu lesen, wie zielsicher sie die offenen Wunden ausmacht und darin stochert. Die gesellschaftlichen Zumutungen, die den Alltag der Frauen durchdringen, spitzt der Roman zu, ohne dass viel passieren muss beim Muttertagsbrunch und beim Sonnenbaden, bei der Pensionierungsfeier und an Ostern bei den Schwiegereltern. In Klagenfurt diskutierte die Jury das erste Kapitel als »Wutliteratur« (Hildegard E. Keller) und »radikal banal« (Daniela Strigl), dabei »dringlich und drängend zugleich in jeder Hinsicht«. Es gibt keinen Ausweg, jedes Ausbruchsszenario holt das Aber ein. Der Weg der Mutter zum Scheidungsanwalt, vor vielen Jahren, bleibt ein Gespräch, an deren Ende sie sich als Immobilienbesitzerin im Nachbarort sieht. Weiter kann sie nicht denken.

Marie Goldt

Gertraud Klemm: Aberland. Roman. Literaturverlag Droschl, Graz 2015. 184 Seiten, 19 EUR.

Niedriglohnsektor

In Deutschland arbeitet rund ein Viertel aller abhängig Beschäftigen in sogenannter atypischer Beschäftigung, das heißt in Leiharbeit, befristet oder in Minijobs. In »Die Lastenträger« hat Günter Wallraff Dutzende Beispiele aus dem Niedriglohnsektor zusammentragen lassen. Seine Mitarbeiter berichten vom Rand der Arbeitsgesellschaft. Ein Fokus liegt auch auf denjenigen, die nicht einmal vom Mindestlohn profitieren: Beschäftigte mit Werkverträgen, Franchising oder Scheinselbstständigkeit. Besonders betroffen von Armut trotz Arbeit ist die AAA-Gruppe: »Alte, Ausländer und Alleinerziehende«. Da sie keine Rücklagen bilden können, kann eine Überbrückungszeit zwischen zwei befristeten Jobs für sie zur Existenzgefährdung werden. Andere erhalten als »Aufstocker« Unterstützung vom Jobcenter, trotz eines oder mehrerer Beschäftigungsverhältnisse. In dem Buch geht es um »Menschen in unterbezahlter, miserabel bezahlter und ausbeuterisch bezahlter Arbeit«, so Wallfraff. Der Autor von »Ganz unten« (1985) hatte sich zuletzt wieder selbst undercover auf Spurensuche begeben und als Hilfsbäcker für Lidl, als Paketauslieferer und als Callcenter-Agent gearbeitet. Zu den Themen in seinem neuen Buch gehören: Missstände in der Altenpflege (»Pflege-McDonald's«), Hungerlöhne bei Mercedes, Werkverträge in der Fleischindustrie und Schikanen beim Onlinehändler Zalando. Berichtet wird auch von kämpfenden Betriebsräten, streikenden Arbeiter_innen und Solidaritätsaktionen.

Florian Osuch

Günter Wallraff (Hg.): Die Lastenträger. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 302 Seiten, 14,99 EUR.

Linksextremismus

Anfang des Jahres sorgte die »Extremismusforschung« für gute Laune in der Linken. Eine Umfrage von Infratest Dimap hatte ergeben, dass erhebliche Teile der Bevölkerung »linksextreme« Neigungen haben. Das erfreuliche Ergebnis kann natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Extremismusforschung um eine Disziplin handelt, die statt Wissenschaft staatsfromme Ideologieproduktion betreibt. So auch die dickleibige »empirische Studie« über »Linksextremismus in Deutschland« im Rahmen der mit öffentlichen Geldern üppig alimentierten »Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin«. Als Autor_innen firmieren der Leiter des Forschungsverbundes Klaus Schroeder und seine Gattin Monika Deutz-Schroeder. Auf mehr als 600 Seiten tragen sie allerhand linksradikale Schrecknisse zusammen. Eine Innovation ist ihre »Linksextremismusskala«, die folgende »Dimensionen« berücksichtigt: »Anti-Kapitalismus«, »Anti-Faschismus«, »Anti-Rassismus«, »Demokratiefeindlichkeit«, »kommunismusnahes Geschichtsbild/Ideologie«, »Anti-Repression«. Das ist überwiegend grober Unfug, teilweise aber auch ganz lustig, etwa der Versuch, die einzelnen »linksextremistischen« Strömungen voneinander abzugrenzen. So unterscheiden die Schroeders allein im Lager der Autonomen »militante Autonome«, »undogmatisch-bündnisorientierte Postautonome« und »militant-kommunistische Postautonome«.

Jens Renner

Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder: Gegen Staat und Kapital - für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland - eine empirische Studie. Peter Lang Edition, Frankfurt am Main 2015. 654 Seiten, 29,95 EUR.