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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 605 / 19.5.2015

Hör mal, wer da hämmert

Aktion Im Hamburger autonomen Zentrum Rote Flora wird gebaut - und auf die Sommerbaustelle kommen zusätzlich 50 Wandergesell_innen, um zu helfen

Von Maike Zimmermann

Es ist ein warmer Tag, irgendwann im April. Auf der Piazza im Hamburger Schanzenviertel tummeln sich die sogenannten Schanzenjuppies und genießen die Sonne. Auf der anderen Straßenseite steht die Rote Flora, die »Trutzburg« gegen Gentrifizierung. Ich bin hier heute mit Robin verabredet, und so mache ich mich auf den Weg über die Straße, zur Seitentür, die seit etlichen Jahren der Haupteingang ist. Früher, in den 1990er Jahren, ging es noch durch die Tür am Ende der Treppe an der Frontseite in das besetzte Zentrum.

Neben der Flora vergnügen sich Skater im Skatepool. Ich suche mir eine der vielen Klingeln aus, höre nichts, nehme eine andere, höre das Klingeln durch die Eisentür. Blinzelt wird mir aufgemacht - hier in der Flora ist es dunkel und kühl, die Augen meines Gegenübers müssen sich erst an den Sonnenschein gewöhnen. »Geh einfach nach hinten durch.« Ich gehe am Leoncavallo vorbei - einem Raum, der nach einem autonomen Zentrum in Mailand, einem centro sociale, benannt ist - und durch die große Halle in die frühere Vokü, die Volxküche. In der großen Halle wird gerade aufgebaut - es ist Wochenende, heute Abend gibt es eine Veranstaltung. Mit dem Schritt durch die Vokü-Tür stehe ich im Nebel. Es staubt gewaltig, Robin schneidet gerade Fliesen.

»Ich zeig dir erstmal die Baustelle«, sagt er, während er sich die Staubmaske abnimmt. Wir gehen am neugebauten Tresen vorbei zu den neuen Toiletten. Hier wird gerade fleißig gearbeitet, an den Wänden sind bereits diverse Mosaike zu sehen, ein schwarzer Stern, der Maulwurf aus der Sendung mit der Maus. »Das sieht ja schon super aus«, sage ich, und Robin antwortet: »Naja, wir müssen uns ein bisschen ranhalten. Bis zur Sommerbaustelle muss das alles fertig sein, weil die Wandergesellen und Wandergesellinnen dann hier die Klos und die Duschen nutzen sollen. Da ist noch einiges zu machen.« Okay, Sommerbaustelle, Wandergesell_innen - da werde ich noch nachhaken müssen.

Der alte Kasten mit dem heruntergekommenen Charme

Aber zunächst gehen wir weiter durch den Anbau, der bereits fertig ist. »Das hier wird der neue Eingang«, erklärt mir Robin. »Und hier kommt dann der Aufzug für Rollifahrer hin.« Wir gehen weiter nach draußen, in den kleinen Hof hinter der Flora. Robin deutet auf den fertiggestellten Anbau. »Der ist jetzt in einer von vier Probefarben gestrichen. Du kannst dir wahrscheinlich vorstellen, wie lange darüber diskutiert wurde.« Ja, das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen. Und dabei geht es hier erstmal nur um die Farbe eines kleinen Anbaus. Die Wandergesell_innen, von denen Robin bereits sprach, wollen im Sommer unter anderem die Fassade erneuern - da wird eine neue Farbgebung wohl kaum ausbleiben. Die Rote Flora, der alte Kasten mit dem etwas heruntergekommenen Charme wird also bald auch von außen ganz anders aussehen. Bei solchen Themen können die Emotionen in kollektiven Projekten durchaus mal hochkochen. 50 Wandergesell_innen wollen kommen, zusammen mit weiteren Helfer_innen bilden sie die Sommerbaustelle. Vier Wochen lang arbeiten sie alle unentgeltlich. Wohnen werden die Gesell_innen dann in der Roten Flora, denn die bleibt in der Zeit geschlossen.

Wir gehen ein Stück weiter um das Gebäude zur Hinterseite mit einem kleinen Anbau aus den 1990er Jahren und einer Terrasse. »Ich weiß gar nicht genau, ob das hier so bleibt. Warte, ich hol mal Vitali.« Bei uns angekommen, schüttelt Vitali gleich den Kopf: »Nee, das bleibt erstmal so. Nur der obere Teil, der wird wahrscheinlich neu gemacht.« Wir unterhalten uns ein wenig über die Schwierigkeiten kollektiver Entscheidungsprozesse. Vitali ist von der Baugruppe, die seit ungefähr eineinhalb Jahren den Seitenflügel mit der ehemaligen Vokü umbaut. »Das war am Anfang nicht leicht, viele sind erstmal skeptisch, wenn man größere Veränderungen vorschlägt«, sagt er. »Und das, was wir jetzt hier machen, betrifft ja das ganze Nutzungskonzept.«

Mit dem Umbau eröffnen sich neue Möglichkeiten

Eine Idee, die ich ziemlich gut finde. Bislang gibt es nur eine Möglichkeit, in die Flora zu kommen. Durch den Seiteneingang. Egal, ob man in das Archiv der Sozialen Bewegung, zu einem Konzert im Keller, in der großen Halle oder im Leoncavallo möchte oder ob man eine Veranstaltung im ersten Stock besuchen oder in die Vokü gehen will - immer führt der Weg durch diesen einen Eingang. Wer also zum Beispiel ins Café möchte, muss erstmal klingeln - so wie ich heute -, hoffen, dass jemand aufmacht und dann einmal quer durch das Gebäude. An Toiletten gibt es einzig die Partyklos - und die sehen auch entsprechend aus.

Mit der Erweiterung durch den Anbau ändert sich das. Künftig wird es möglich sein, das Café durch einen neuen Eingang an der anderen Seite der Flora zu betreten. Hinter dem Tresen gibt es eine Küche mit Durchreiche und die neuen Toiletten. Darüber ist eine Decke eingezogen und dadurch eine weitere Ebene mit einem Tagungs- und Besprechungsraum für politische Gruppen entstanden. Zum neuen Eingangsbereich gehört auch eine Treppe, sowohl in den Keller als auch zu dem neuen Gruppenraum und weiter in den ersten Stock des Gebäudes, wo sich unter anderem das Archiv der Sozialen Bewegung befindet.

Dadurch wird es möglich, einzelne Teile der Flora separat zu benutzen, während die große Halle geschlossen bleibt. Und das könnte eben auch bedeuten, die Flora für mehr Menschen zu öffnen und nutzbar zu machen - für Veranstaltungen, Lesungen, Theateraufführungen, Ausstellungen usw. Denn bislang kostet es viele Menschen - außerhalb der großen Konzert- und Partyveranstaltungen - große Überwindung, das Gebäude zu betreten.

Mich überzeugt das, und daher bin ich etwas irritiert, als mir die beiden erzählen, dass das trotzdem alles gar nicht so einfach ist, dass es da durchaus immer wieder lange Diskussionen gibt. »Die Leute sind zum einen skeptisch, wenn es darum geht, das äußere Erscheinungsbild zu verändern«, erklärt mir Vitali. »Die denken: Erkenne ich die Flora danach überhaupt noch wieder? Das andere betrifft die veränderte Nutzung: Was sind denn das dann für Leute, die hier reinkommen? Wollen wir die überhaupt?« Ich erinnere mich an die Galão trinkenden Hippster von gegenüber. Nagut, wenn diese Leute plötzlich alle in der Flora rumhängen ... Aber das ist ja Quatsch - eine feindliche Übernahme durch die Schanzenjuppies scheint mir mehr als unwahrscheinlich.

Hoffentlich siegt am Ende nicht die Angst vor Veränderungen. Denn die 50 Gesell_innen haben im Sommer Großes vor. »Die wollen zunächst die Fassade instand setzen, dann wird es einen neuen Dachabschluss geben und der Balkon vor der Flora saniert. Außerdem wird die Decke im Leoncavallo erneuert und das Treppenhaus von Grund auf überholt«, erzählt Vitali und grinst: »Und dann haben wir noch so acht weitere Punkte. Aber da gucken wir mal, wie viel Zeit, Geld und Kapazitäten am Ende übrig bleiben.« Und das alles innerhalb von vier Wochen? »Das ist natürlich ganz schön ambitioniert. Ein so großes Bauvorhaben ohne staatlich kontrollierte Gelder hat es meines Wissens das letzte Mal in den 1980er Jahren in der Hafenstraße gegeben.«

»Hey, ist Vitali da?«, ruft ein junger Mann zu uns herauf. » Wir haben hier ein paar OSB-Platten für die Bühne von der Hafenvokü beim Hafengeburtstag. Können wir die erstmal bei euch unterstellen?« Klar, kein Problem, Projekte helfen sich schließlich gegenseitig. »Drinnen ist Folie, da könnt ihr euch ein Stück von holen.« Wegen des Hamburger Wetters, versteht sich.

Zurück im Gebäude zeigt Vitali mir eine Mappe. Die Flora im Wandel der Zeit. Das »Gesellschafts- und Concerthaus Flora« wurde 1889 eröffnet, 1890 wurde es um eine Konzerthalle erweitert: Im Garten hinter dem Gebäude entstand eine Stahl-Glas-Halle, der sogenannte Crystallpalast. Damals hatte die Flora zwei Stockwerke und ein Dachgeschoss. Im Nationalsozialismus wurde das Gebäude nochmals umgebaut und auch die Fassade verändert. In den 1950er und 1960er Jahren diente die Flora als Kino, später vermietete sie die Sprinkenhof AG an das Discountunternehmen 1000 Töpfe. 1974 wurden das Dachgeschoss und das zweite Obergeschoss abgetragen und durch ein Flachdach ersetzt. Denn die für eine Sanierung der beiden oberen Geschosse notwendigen rund 300.000 DM erschienen der Finanzbehörde seinerzeit zu teuer.

Vor über 25 Jahren wurde die Rote Flora besetzt

Als die Flora zugunsten eines neuen Gebäudes für das Musical Phantom der Oper abgerissen werden solle, bildete sich Widerstand. Dieser konnte jedoch nicht verhindern, dass im April 1988, der denkmalgeschützte Crystallpalast widerrechtlich abgerissen wurde. Der Widerstand gegen die Baustelle und das Bauvorhaben blieb jedoch bestehen, und die Flora wurde am 1. November 1989 für besetzt erklärt.

Seitdem sieht sie - mehr oder weniger - so aus wie heute. Hier und da veränderte sich mal die Farbe, sie wurde repariert und teilweise in Stand gesetzt, insbesondere nach einem Brand im November 1995. Nun soll die alte Dame eine Rundumerneuerung bekommen. Vitali deutet auf eine Bauzeichnung. »Die ist ganz aktuell, und es ist die erste vollständige Ansichtszeichnung seit 1936.« Ich betrachte die Zeichnung und frage: »Und die kleinen Lautsprecher neben den Fenstern, die kommen dann da auch hin?« »Nee, die sind da doch schon die ganze Zeit, das ist die alte KB-Anlage.« Ich bin überrascht, und das nicht nur, weil mir die noch nie aufgefallen sind. »Ich dachte, die liegt bei uns im Keller.« Schließlich war ak ja mal vor langer, langer Zeit Organisationszeitung vom KB, dem Kommunistischen Bund.

Robin erzählt mir von der Kampagne Sommerbaustelle. »Wir sind nicht die Baugruppe, sondern wir haben uns konkret zusammengetan, um die Sommerbaustelle möglich zu machen.« Nun ist aber noch gar nicht Sommer, und Robin steht trotzdem in Bauklamotten vor mir. »Ja, natürlich arbeiten wir auch jetzt schon auf der Baustelle mit. Aber eigentlich konzentrieren wir uns auf die Kampagne.« Die Zusammenarbeit scheint also eher fließend zu sein.

Aber die Kampagne Sommerbaustelle versucht nicht nur, das bevorstehende Bauvorhaben zu organisieren und die Infrastruktur zu stellen. Sie versuchen vor allem, Öffentlichkeit herzustellen - denn so ein Vorhaben kostet eine Menge Geld, Geld, dass rein aus Spenden zusammenkommen soll. Beispielsweise haben die Kiezhelden, also die soziale Seite des FC St. Pauli, eine Spendenaktion gestartet. »Allerdings bleibt das etwas hinter unseren Erwartungen«, sagt Robin. »Ich glaube, wir haben bislang nicht gut genug vermittelt, wofür wir das Geld brauchen.« Also mir ist das nach einem Nachmittag auf der Baustelle durchaus klar. Allein, was so viele Leute in einem Monat an Verpflegung brauchen ... und da hat man noch keinen Stein angefasst.

Als ich wieder draußen vor der Flora auf dem Achidi-John-Platz stehe, gucke ich mir den alten Kasten nochmal genau an. Und wirklich: Oben an den Fenstern hängen die Lautsprecher der alten KB-Anlage.

Anmerkung:

Spenden für die Sommerbaustelle und weitere Infos unter www.florabaut.noblogs.org.

Wiedereröffnung

Am 14. Juni 2015 wird die neue, alte Vokü und das, was sonst noch bisher gebaut wurde, wiedereröffnet - und zwar über den neuen Eingang. Dazu wird es auch eine Ausstellung geben mit den Schwerpunkten Baugeschichte - insbesondere bezogen auf die Fassade, Vorstellung der bisherigen Bauarbeiten und Ausblick auf die Sommerbaustelle. Auch die Vorderfassade soll zu diesem Zeitpunkt eingerüstet sein.