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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 605 / 19.5.2015

Der nette Konzern von nebenan

Deutschland Mit einer Attraktivitätskampagne wirbt die Bundeswehr um Nachwuchs

Von Thomas Mickan

Auf 26 Kilometern wird die Autobahn zum Parken gesperrt, Panzer werden vor die Kaserne gerollt, noch schnell ein paar Luftballons ans Geschütz gehängt und ein paar Tausend von den Nachwuchswerbeflyern nachbestellt: Der am 13. Juni erstmals stattfindende Tag der Bundeswehr kann kommen. An 15 aufregenden Standorten wie Nörvenich, Laupheim oder Burg darf Urgroßvaters Pickelhaube mitgebracht werden.

In Bonn, Wilhelmshaven und Koblenz gibt es für die Enkel Tarnschminke und das Kärtchen vom Jugendoffizier gleich direkt beim Rathaus. Wenn Opa dann doch ins Schwärmen kommt, kann er bei der Gulaschkanone abgegeben werden und die blonden Geschwisterkinder weiter die Panzerhaubitze 2000 erklimmen. Papa Enrico holt sich unterdessen Tipps, wie er bei der Marine quereinsteigen kann, während Mama Heidrun gleich von mehreren Karriereberater_innen umgarnt wird.

Anlass für die Feierlichkeiten ist nicht das 60-jährige Bestehen der Bundeswehr, sondern die Idee, Gesellschaft und Militär einander wieder näher zu bringen und das Verhältnis zu "normalisieren". Als einer von 29 Punkten auf der Agenda »Bundeswehr in Führung. Aktiv. Attraktiv. Anders.« soll das Spektakel »Tag der Bundeswehr« nun jedes Jahr stattfinden. Und während andere mit 60 Jahren von der Rente träumen, träumt die Bundeswehr vom heißen Wüstensand für die neu gewonnenen Rekrut_innen.

In Fritzlar fängt derweil die Nahkampfvorführung an, während in Manching der Eurofighter seine Flugshow abzieht. In Bischofswiesen geht es beschaulicher zu, hier darf bei Leopard, Marder und Biber Bier getrunken werden, während in Mürwik der Mast der Gorch Fock stilles Murmeln auslöst - sollte das Schiff nicht außer Dienst gestellt werden? Zu viel Tod und Gedenken passen eh nicht ins Programm, und so kann weiter am Flens genippt werden, während die achte Broschüre mit strahlenden Kadett_innen in der Tasche verstaut wird.

Broschüren sind wichtig - schließlich soll nach der Erstansprache weiter Kontakt aufgebaut werden, bis hoffentlich wieder eine_r ins Netz geht. Nachwuchswerbung ist letztlich das übergeordnete Ziel des Tages der Bundeswehr. Doch coole Kids zeigen der Rumpeltruppe seit Jahren lieber die Hacken als sie in Afghanistan oder Mogadischu zusammenschlagen zu müssen, während das Lied vom Kameraden spielt.

Tiere, Kinder, Sport

Deshalb steuert die Bundeswehr jetzt um und macht aus den Tagen der offenen Tür bei einzelnen Kasernen ein bundesweites »Event«. Die Attraktivitätssteigerung des deutschen Militärs für etwaigen Nachwuchs fügt sich in die Umwandlung der Bundeswehr zum Konzern. Die Zeiten, wo die Bundeswehr sich lediglich als »Unternehmen« verstanden wissen wollte, sind im Zuge der vermeintlich gewachsenen deutschen Verantwortung passé. »Konzern« betont ein globales Agieren, ein Wachsen und Expandieren der verschiedenen Sparten als eine Einheit.

»Petra, die haben hier sogar Esel«, ruft es dann am 13. Juni in Reichenhall - es ist sogar die größte Esel- und Maultierpopulation Europas -, Spitzensportler_innen »zum Anfassen« gibt es laut Bundeswehr auch. Tiere, Kinder, Sport - das geht immer und trägt zum positiven Gesamterlebnis bei. Die große Langeweile an Bord in der kargen Schiffsatmosphäre bei den vier- bis sechsmonatigen Einsätzen im Nirgendwo auf See am Horn von Afrika, das Ende der Privatsphäre in den engen Mehrpersonenkammern und von selbstbestimmter Freizeitgestaltung gibt es erst später.

Auch die hohe Trennungsrate von Paaren aufgrund häufiger Standortwechsel, insbesondere bei Offizieren, ist Teil der ernüchternden Realität, nachdem die letzten Luftballons zerplatzt sind, mensch vor dem Bundeswehrspind erwacht und die nächsten zwölf Verpflichtungsjahre des eigenen Lebens vorbeiziehen sieht. Der versprochene Flachbildschirm und der Minikühlschrank befinden sich dann womöglich schon in der Stube, wahrscheinlich werden sie aber defekt sein. Sie sind ein weiterer der 29 Punkte der Attraktivitätsagenda. In der Marketingsprache des Verteidigungsministeriums heißt das »Zuhause am Dienstort - ein zeitgemäßes, attraktives Lebens- und Wohnumfeld«.

Doch neben der Attraktivitätsagenda wurden auch handfeste Gesetzesänderungen erarbeitet. Das sogenannte Artikelgesetz beschloss der Bundestag am 26. Februar 2015. Es beinhaltet eine bessere Bezahlung, flexiblere Arbeitszeiten und Dienstgestaltung, bessere soziale Absicherung etwa mit Rentenregelungen und viele Detailregelungen, die kaum jemand außer dem Ministerium und dem Bundeswehrverband - einem der größten militärischen Lobbyverbände - durchschaut. Letzterer beeinflusste den Gesetzgebungsprozess im Vorfeld maßgeblich, unter anderem durch das Papier »Schlagkräftige Bundeswehr 2020«, wofür ihm in den Bundestagslesungen zum Gesetz auch ausführlich gedankt wurde. Kosten für die beschlossenen Maßnahmen: rund eine Milliarde Euro in vier Jahren plus indirekte Mehrkosten.

Militär mit menschlichem Antlitz

Flankiert werden die Attraktivitätsagenda und das Attraktivitätsgesetz mit einer stark auf persönliche, private Geschichten von Bundeswehrbeschäftigten zugeschnittenen Werbekampagne. Neben dem globalen Einsatz wird dort ein »menschliches« Militär dargestellt, der nette Konzern von nebenan, bei dem jede und jeder einen Platz findet. Darin unterscheidet sie sich von der vorangegangenen Werbekampagne »Wir. Dienen. Deutschland.« (ab 2011) unter Thomas de Maizière, die gerade eingestellt wird. Sie betonte stark das Wir der Kameradschaft und das Dienen im Arbeitsalltag, jedoch nie das Private.

Auf der neuen Kampagnenwebsite »Karriere beim Bund« unter Ursula von der Leyen hingegen gewähren »drei Mitarbeiter einen Einblick in ihr Leben als Bundeswehrangehörige. Eine Ingenieurin (zivil), eine Personaloffizierin (militärisch) und ein Hauptmann (militärisch) erzählen über Privates wie Berufliches und was das Besondere am Job bei der Bundeswehr ist.« Ganz im neoliberalen Marketingzeitgeist gefangen, verschmelzen dann Arbeit und Privatleben, die Arbeit durchdringt das Private, das Private wird kapitalisiert.

An erster Stelle steht der Zugewinn des Konzerns an »Menschenmaterial«, für das bereits vorhandenes Personal entsubjektiviert und zur Werbeplattform wird. Schmutziger und tödlicher Krieg, gähnende Langeweile sowie Drill und Gehorsam kommen darin nicht mehr vor. Im offiziellen Werbespot zu »Aktiv. Attraktiv. Anders.« werden vielmehr die Generaltugenden des Neoliberalismus beschrieben: Individuelle Teamplayer, kreativ, fit, jung, verfügbar und mobil, Privates und Arbeit sind verschmolzen ausbalanciert - optimiertes Leben, das an Leistungsgrenzen geht und dabei genießt. Für Schwäche und Zweifel sind sowohl im Neoliberalismus als auch beim Militär kein Platz.

Die zu Waren und Werbeartikeln gewordenen Soldat_innen locken dann im attraktiven Konzern Bundeswehr die Kundschaft, allen voran neue Bewerber_innen, in den Kriegseinsatz. Treffliches Beispiel für die Kundenwerbung ist der neue »Showroom« der Bundeswehr am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Seit der Eröffnung am 18. November 2014 sind nach Angaben des Leiters, Hauptmann Jürgen Klau, täglich 50 bis 60 Leute »hineingeströmt«. Der indirekte Werbeeffekt dürfte jedoch ungleich höher ausfallen. Der »Showroom« erfüllt nach Leiter Klau auf der Website der Bundeswehr eine wichtige Aufgabe: »Viele Passanten laufen vorbei und können sich auf Wunsch direkt über die Marke Bundeswehr informieren - ein Aushängeschild in zentraler Lage in Berlin.«

Ausgebaut wurde die Marke Bundeswehr bereits unter de Maizière mit einem neuen Corporate Design, dem Claim »Wir. Dienen. Deutschland.« und einem eigenen Audiologo. Fabian Hartjes schrieb in der Zeitung Die Zeit (2.12.2014) treffend: »Von Wir. Dienen. Deutschland., wie es über dem Eingang der neuen Militärfiliale heißt, ist es nicht allzu weit zu Wir lieben Lebensmittel.« Selbst die Bundeswehr hebt im »Etablierungskonzept des Showrooms« den kundenorientierten Zugang hervor: »Die Geschäftszeiten richten sich an den Gewohnheiten der Kunden aus. (...) Im Showroom findet der Kunde Ansprechpartner und Informationsmaterial zu allgemeinen Bundeswehrthemen.«

Während noch die letzten Krabbenbrötchen in Eckernförde und die letzten Töne des Konzertes der Bundeswehr Big Band verklingen, fragen sich die Opfer der Bundeswehreinsätze in Afghanistan und anderswo, wie ihr nächster Tag weitergehen kann. Schade, dass sie nicht auch eingeladen sind zum Tag der Bundeswehr am 13. Juni. Einen Gedenktag für die Opfer will der Konzern aber nicht, bringt nur schlechte Presse.

Thomas Mickan ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen und in der Friedens- und Antikriegsbewegung aktiv.