Die Agonie eines rechten Projekts
Deutschland Der Führungsstreit in der AfD eskaliert und könnte die Partei entzweien
Von Sebastian Friedrich
Kaum waren die Bürgerschaftswahlen in Bremen beendet, da rief Bernd Lucke zum letzten Gefecht in der Alternative für Deutschland (AfD). In einem Brief an alle Parteimitglieder bekundete er seine Sorge um die Partei. Die AfD sei gespalten: Denen, die sachorientiert kritisieren, aber sich auf dem Boden der wesentlichen Grundsatzentscheidungen der Bundesrepublik Deutschland befinden, stünden diejenigen gegenüber, die die Systemfrage stellen und sich »neutralistisch, deutschnational, antiislamisch, zuwanderungsfeindlich, teilweise auch antikapitalistisch, antiamerikanisch oder antietatistisch« äußern. Luckes offene Kampfansage: Der Konflikt müsse entschieden werden, auch wenn das zu Mitgliederverlusten auf der einen oder anderen Seite führen würde.
Was Lucke geflissentlich unterschlägt: Er war es, der die Partei einst strategisch nach rechts ausgerichtet hat. Knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl 2013 schrieb Lucke an seine Vorstandskollegen Alexander Gauland und Konrad Adam eine aufschlussreiche Mail, deren Wortlaut Der Spiegel zum Teil veröffentlichte. Gegenüber seinen heutigen erbitterten Kontrahenten forderte er einen Tabubruch, um den bis dahin schleppend laufenden Wahlkampf ein wenig in Fahrt zu bringen. So schlug er vor, Thilo Sarrazin zu vereinnahmen. Das könne viel Aufmerksamkeit, Kritik der linken Presse und viel Zuspruch in der Bevölkerung einbringen. Die mittlerweile aus der AfD ausgetretene Michaela Merz konnte die offene Werbung mit und für Sarrazin damals im Bundesvorstand verhindern. Rückblickend schreibt sie Lucke bei der Öffnung nach rechts eine Schlüsselrolle zu: »Er ist maßgeblich für die spätere Entwicklung verantwortlich, da er die Partei bewusst dem rechten und rechtspopulistischen Rand geöffnet hat.« Die Zusammensetzung der AfD veränderte sich nachhaltig: Die rechten Flügel wurden in der Folge immer mächtiger, und fast alle Liberalkonservativen verließen die Partei. Aus linker Sicht ist der Aufstieg der rechten Flügel eine gute Nachricht. Die AfD war in ihrer Gründung vor allem deshalb gefährlich, weil sie das Zeug hatte, National-Neoliberale und Rechtskonservative zu verbinden und dadurch ein rechtes Hegemonieprojekt zu etablieren. Die Basis des Projekts war die reaktionäre Mittelklasse, das Kleinbürgertum. Dieses scheint der Partei zunehmend den Rücken zu kehren - und sich wieder mehr in Richtung FDP zu bewegen. Noch vor einem Jahr unterstützten führende Fraktionen des mächtigen Verbands der Familienunternehmer im Zuge der Europawahl 2014 die AfD. Lucke wurde gar als Hauptredner zum Tag der Familienunternehmer nach Dresden eingeladen. Heute herrscht weitgehend Funkstille zwischen dem Verband und der AfD. Ende April fanden die Familienunternehmer-Tage in Berlin statt, bei denen neben Gauck auch Vertreter_innen aus FDP, SPD, den Unionsparteien und den Grünen auf Podien sprachen. Die AfD suchte man vergeblich. Die Entwicklung kommt einigen in der Partei gelegen. Alexander Gauland, der im Verlauf der vergangen zwei Jahre immer weiter nach rechts rückte, sprach sich kürzlich im Handelsblatt für eine Fokussierung auf den »kleinen Mann« aus und warnte davor, weiter auf »Stimmen des Bürgertums und früherer FDP-Anhänger« zu setzen.
Mitte Juni soll nun in Kassel auf einem Delegierten-Parteitag Klarheit geschaffen werden. Sollten sich die Rechtsaußen-Flügel durchsetzen, würde der national-neoliberale Flügel der Partei und dem rechten Projekt wohl verlustig gehen. Die Partei würde sich zu einer klassischen rechtspopulistischen Partei entwickeln, die vielleicht hin und wieder in ein Landesparlament einziehen kann, aber kaum das Zeug hat, Bindeglied eines hegemonialen rechten Projekts zu sein. Sollte Lucke sich durchsetzen, würde dieses Ziel zwar weiter verfolgt werden. Kaum vorstellbar ist aber, dass er über eine ausreichende Machtbasis verfügt, um die mächtigen rechten Flügel aus der Partei zu drängen. Die Geister, die er einst rief, wird er jetzt nicht mehr los, auch wenn er gerade eifrig versucht, sie zu vertreiben.