Wer soll das bezahlen?
Schuld Wie die deutsche Schuld angesichts der griechischen Staatsschulden diskutiert wird
Von Heike Schrader
»Das Thema ist nicht erledigt«, heißt es am Ende eines griechischsprachigen und englisch untertitelten Spots, der seit Mai 2015 in allen Stationen der Athener Metro lief. Der knapp eine Minute lange Videoclip zeigt den Einmarsch der Nazis in Athen am 27. April 1941. Gezeigt wird aber auch die erste Widerstandsaktion der einheimischen Bevölkerung: Nach Aufforderung des Senders Radio Athen, der kurze Zeit später von den Nazis übernommen wurde, verschwanden die Athener_innen von den Straßen und schlossen Türen und Fensterläden.
Seit Antritt der Regierung Tsipras ist das Thema Reparationszahlungen präsent wie nie zuvor - zumindest auf Staatsebene. Gleich die erste Amtshandlung des frisch gekürten Ministerpräsidenten war ein Besuch am Mahnmal im Athener Stadtteil Kesiariani. Dort hatten deutsche Wehrmachtssoldaten zwischen 1942 und 1944 Hunderte griechischer Widerstandskämpfer_innen erschossen, darunter den Bruder von Manolis Glezos. Der mittlerweile 93-jährige antifaschistische Widerstandskämpfer setzt seinen bereits vor Jahrzehnten begonnenen Einsatz für Entschädigungszahlungen derzeit als SYRIZA-Abgeordneter im Europaparlament fort. Dabei stellte er kurz nach dem Antritt der neuen Regierung klar, dass die Frage der deutschen Schuld nicht mit den griechischen Kreditschulden verknüpft werden darf: »Die beiden Themen sind vollkommen verschiedene und werden auch getrennt verhandelt werden«.
In der Anfang Februar im Parlament gehaltenen Antrittsrede bezeichnete Tsipras die Wiederaufnahme der Einforderung von Reparationen als »moralische Verantwortung gegenüber unserem Volk, unserer Geschichte und allen Völkern Europas«. Justizminister Nikos Paraskevopoulos kündigte an, gegebenenfalls den von seinen Vorgängern verhinderten gerichtlichen Pfändungsbeschluss deutschen staatlichen Eigentums in Griechenland für eine Entschädigung der Opfer des Massakers von Distomo in die Tat umsetzen zu lassen. Dies solle allerdings von »den politischen Umständen« abhängig gemacht werden. Auf die Gräueltat der Nazibesatzer verweisend hatte 2012 in Distomo auch die Gründungsveranstaltung der rechtspopulistischen Koalitionspartnerin von SYRIZA, ANEL, stattgefunden. Parteichef Panos Kammenos übernahm in der derzeitigen Regierung unter Tsipras das Verteidigungsministerium. Auf dessen Initiative geht eine Kampagne zurück, mit der bei Schüler_innen und Soldat_innen »das Bewusstsein für die Verbrechen der Nationalsozialisten« geschärft werden soll. Bisher werden in den Schulbüchern die Themen faschistische Besatzung und einheimischer Widerstand auf kargen acht Seiten abgehandelt. Nun wurde eine Broschüre in Auftrag gegeben, die sowohl in den griechischen Oberschulen als auch beim Militär verteilt werden soll.
Mitte März 2015 beschloss das griechische Parlament schließlich einstimmig, d.h. ohne eine Gegenstimme aus den Oppositionsreihen, die Einsetzung einer Kommission zum Thema Reparationsforderungen. Den Vorsitz übernahm Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou höchstselbst. Unter anderem liegen der Kommission 400.000 Seiten mit Dokumenten der Wehrmacht vor, die die griechischen Ansprüche gegenüber dem deutschen Rechtsnachfolger der Nazis untermauern sollen. Reaktionen aus Deutschland werden aufmerksam verfolgt, sowohl auf der Ebene der hohen Politik als auch in der Bevölkerung. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass allein die Rückzahlung des von den Nazis erpressten Darlehens eine zweistellige Milliardensumme in die überaus klammen griechischen Staatskassen spülen würde. Insgesamt geht es laut Einschätzung des stellvertretenden Finanzministers Dimitris Mardas um eine Summe von etwa 278 Milliarden Euro (spiegel.de, 7.4.2015), die zum Teil direkt den Opfern und ihren Nachfahren zustehen, zum Teil aber auch dem griechischen Staat, beispielsweise als Ersatz für zerstörte Infrastruktur.
Wichtiger aber ist der Aspekt der Gerechtigkeit. Dies gilt in erster Linie für die wenigen noch lebenden Überlebenden der faschistischen Massaker und ihre Angehörigen. Aber es gilt auch für die persönlich gar nicht betroffene überwiegende Mehrheit der heutigen griechischen Bevölkerung. Denn wenn Deutschland anerkennen würde, dass es Schulden gegenüber Griechenland hat, fiele es vielen hier leichter, damit umzugehen, dass das eigene Land mit hunderten von Milliarden Euro bei »den Institutionen« in der Kreide steht. So aber kommt zu der durchaus kolonialherrscherhaften Attitüde eines deutschen Finanzministers noch die Tatsache hinzu, dass die Führungsmacht in Europa, Deutschland, bei der Frage nach Schulden offensichtlich mit zweierlei Maß misst: Schulden komme von Schuld - und als solche müssen sie unbedingt beglichen werden. Allerdings nur, wenn es sich um die der anderen handelt.
In der innergriechischen Debatte ausgeblendet wird jedoch der Aspekt, wer denn konkret die Entschädigungszahlungen leisten sollte. Initiativen, wie die eines deutschen Touristenehepaars, das beim Besuch in Nafplio dem Bürgermeister den von ihnen ausgerechneten Eigenanteil am Zwangsdarlehen in die Hand drückte, wurden hier mit großer Anteilnahme aufgenommen. Aber es käme wohl kaum jemand auf die Idee, alle in Deutschland lebenden Menschen, von denen die meisten mittlerweile bei Ende des Zweiten Weltkriegs nicht einmal geboren waren, haftbar machen zu wollen. Denn auch in Griechenland fordert man ja zurecht, nicht für die von »denen da oben« gemachten griechischen Schulden zur Kasse gebeten zu werden.
Heike Schrader ist freie Journalistin und lebt in Athen.