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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 606 / 16.6.2015

Aufgeblättert

Gedenkstätten

Heft 16 der Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland behandelt Gedenkstätten und Geschichtspolitik in der Bundesrepublik. Cornelia Siebeck analysiert »postnationalsozialistische Identitäts- und Gedenkstättendiskurse in der Bundesrepublik vor und nach 1990«. Sie zeigt, wie der chassidische Spruch »Im Erinnern liegt das Geheimnis der Erlösung« seit Richard von Weizsäckers berühmter Rede am 8. Mai 1985 zum »Leitmotiv einer bundesrepublikanischen Läuterungserzählung ex negativo« wurde. Unterschiedlich beurteilen die Autor_innen des Bandes die Verschiebung der offiziellen deutschen Gedenkpolitik zugunsten vermehrter Beschäftigung mit der SED-Diktatur. Caroline Pearce sieht es als »Chance« der Gedenkstätten mit »doppelter« Vergangenheit ..., verschiedene Geschichtsphasen in ihrem spezifischen Zusammenhang darzustellen«. Dagegen warnt Detlef Garbe davor, »im 20. Jahrhundert nur den Antagonismus von Totalitarismus und Demokratie zu sehen«. Er sieht eine Verharmlosung des NS, wenn etwa Hubertus Knabe das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen als »Dachau des Kommunismus« bezeichnet. Auch der 2009 eingeführte europäische Gedenktag am 23. August für die »Opfer aller totalitären Regime« verstärke diese Tendenz. Leider wird die Lektüre mehrerer Beiträge erschwert durch akademischen Jargon, Schachtelsätze und Nominalstil.

Jens Renner

KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Gedenkstätten und Geschichtspolitik. Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 16. Edition Temmen, Bremen 2015. 201 Seiten, 14,90 EUR.

Schöne neue Welt?

An Vorschusslorbeeren mangelte es nicht: Als »1984 des Internetzeitalters« (Die Zeit) wurde Dave Eggers' Roman »The Circle« bereits Anfang 2014 vom deutschen Feuilleton gefeiert. Nun liegt das Buch auch in deutscher Übersetzung vor. Und überzeugt nur leidlich. Dabei hat die Idee wirklich Biss: Eggers' Anti-Utopie spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft, in der der »Circle« regiert. Google, Facebook, Twitter und Apple: Das hippe Unternehmen mit Stammsitz in Kalifornien hat sie alle geschluckt und das Internet revolutioniert - unter anderem mit TruYou, einem System, das diverse Nutzerkonten und Passwörter, vor allem aber verschiedene Netzidentitäten überflüssig macht. Pöbeln und pussy86 waren gestern, denn mit dem Klarnamen kehren Anstand und Transparenz zurück in die Community. Anonymität gibt es nicht mehr. »Der Circle« ist ein gar nicht mal so unrealistischer Roman über eine schöne neue, virtuelle Welt, in der der »gläserne Mensch« zum Role Model und das »Teilen« zum kategorischen Imperativ geworden sind: »Geheimnisse sind Lügen. Teilen ist Heilen. Alles Private ist Diebstahl.« Der Einfallsreichtum, mit dem Eggers die vielfältigen technologischen Daumenschrauben vorführt, beeindruckt. Einigermaßen windschief dazu steht jedoch die konservativ »gängelnde« Erzählweise. Wenig subtil, mitunter regelrecht plump beschwört Eggers das Bild einer totalitären Demokratie herauf und lässt nichts ungesagt. Entmündigt werden somit letztlich vor allem die Leser_innen.

Stephanie Bremerich

Dave Eggers: Der Circle. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 560 Seiten, 22,99 EUR.

Tod einer Rentnerin

Im April 2013 starb die Berliner Rentnerin Rosemarie Fließ, nachdem sie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt worden war. Zum zweiten Jahrestag ihres Todes hat Margit Englert unter dem Titel »Rosemarie F. Kein Skandal« im Münsteraner Verlag Edition Assemblage ein Buch herausgebracht, das sein im Untertitel gegebenes Versprechen, »Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex« zu liefern, vollständig einlöst. Die Autorin lernte Rosemarie Fließ im Berliner Bündnis Zwangsräumung verhindern! kennen, wo die Rentnerin Unterstützung bei ihrem Kampf gegen die Räumung suchte. Zu den Treffen brachte sie auch die Unterlagen und amtlichen Dokumente mit, die Grundlage des Buches geworden sind. Dabei ist Englert sehr sensibel mit den persönlichen Daten der Rentnerin umgegangen. Schon im Vorwort macht sie deutlich, dass es in dem Buch nicht um das Leben der Rentnerin geht, sondern um die Verhältnisse, die zu ihrem Tod führten: »Denn es ist klar, was Rosemarie widerfahren ist, ist kein Einzelschicksal. Es geht in diesem Text also nicht darum, Rosemarie als einen besonderen oder außergewöhnlichen Menschen herauszustellen«. Anders als ein Großteil der Medien, die nach dem Tod der Rentnerin die Ursachen im Verhalten der Frau suchten, richtet Margit Englert den Fokus auf die kapitalistischen Verwertungsbedingungen, die Wohnraum zu einer Ware machen, und benennt die Profiteur_innen und Verlierer_innen.

Peter Nowak

Margit Englert: Rosemarie F. Kein Skandal. Einblicke in den sozialstaatlich-immobilienwirtschaftlichen Komplex. Edition Assemblage, Münster 2015. 134 Seiten, 7,80 EUR.

Georg Lukács

Es gehört zum Standard marxistischer Ideen- und Theoriegeschichte, Lukács neben Korsch und Gramsci als Erneuerer marxistischen Denkens zu benennen. Der vorliegende Sammelband verdeutlicht, warum es sich hierbei längst nicht (nur) um eine zur Floskel geronnene, rituelle Pflichtaufzählung handelt. Agnes Heller, Frank Engster, Detlev Claussen, Roger Behrens und andere argumentieren anhand der Auseinandersetzung mit Lukács' Hauptwerk »Geschichte und Klassenbewusstsein«, dass sich die Beschäftigung mit Themen wie Verdinglichung und Totalität sowie Bewusstsein noch immer lohnt, ja angesichts heutiger gesellschaftlicher Zustände für die Linke geradezu unumgänglich ist. Lukács wird dabei nicht als unantastbarer Klassiker präsentiert, sondern kritisch beleuchtet, historisch eingeordnet, auseinandergenommen, bisweilen verworfen und vor allem plausibel aktualisiert, ohne einen konkreten Umgang als wahrhaft und einzig richtig vorzugeben. Die häufig genannte »Anziehungskraft« Lukács' erweist sich in der Tat als »ungebrochen« und überträgt sich beängstigend schnell auf die Leser_innen. Auch in sprachlicher Hinsicht überzeugt der Band und bietet sich daher geradezu als Einführung und Wegweiser an. Im Übrigen ist die Zeit reif für eine kritische Neuausgabe von »Geschichte und Klassenbewusstsein«; das Interesse für diese Schrift wird mit diesem Sammelband hoffentlich spürbar zunehmen. Die Diskussionsgrundlagen sind gelegt.

Sebastian Klauke

Hanno Plass (Hg.): Klasse Geschichte Bewusstsein. Was bleibt von Georg Lukács' Theorie? Verbrecher Verlag, Berlin 2015. 320 Seiten, 20 EUR.