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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 606 / 16.6.2015

Die Pflege ist am Boden, aber wir stehen auf

International In Österreich kämpfen Krankenhausangestellte für bessere Arbeitsbedingungen

Von Sandra Stern und Florian Weissel

Join the CaREvolution - mit diesem Slogan und einem YouTube-Video machte ein Betriebsrat Ende Februar auf die niedrigen Löhne im Pflegebereich der Salzburger Landeskrankenhäuser aufmerksam. Binnen weniger Tage schlossen sich hunderte Pflegekräfte der Aktion an. Sie posteten Fotos von sich und ihren Kolleg_innen auf Facebook, teilweise ganze Stationen und mit selbst gebastelten Schildern. Mit einem Schlag wurde die Pflege öffentlich sichtbar und widersprach dem auch unter Pflegekräften weit verbreiteten Bild, sich ausschließlich für ihre Patient_innen aufzuopfern.

Es rumort schon lange in Österreichs Krankenhäusern. Seit Mitte der 1990er Jahre sinken die Einnahmen und stagnieren die öffentlichen Ausgaben im Gesundheitsbereich. Es wurden, ähnlich wie in Deutschland, die Leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung (LKF) sowie die Ausgabenobergrenzen eingeführt - und das bei steigenden Patientenzahlen und wachsendem Versorgungsbedarf. Wenngleich die Privatisierung des Gesundheitssektors langsamer von statten geht als in Deutschland, handelt es sich dennoch um einen schleichenden Prozess. (Siehe Kasten). Mittels Ausgliederungen, Leiharbeit und Public-Privat-Partnerships ebneten Landesregierungen in den letzten Jahren privaten Unternehmen und Konzernen den Weg in den Gesundheitssektor. (ak 584)

Im Jahr 2007 führte die damalige ÖVP/FPÖ-Bundesregierung eine neue Regelung für die 24-Stunden-Betreuung ein, mit der die überwiegend migrantischen Pflegekräfte in die Scheinselbstständigkeit gedrängt wurden. Die Folgen alldessen waren chronischer Personalmangel, Arbeitsverdichtung sowie eine hohe Fluktuation und Burnoutrate unter den Beschäftigten. Die Kosten wurden in Form von Eigenbeteiligungen auf die Patient_innen abgewälzt, die Qualität der Gesundheitsversorgung ist spürbar gesunken. Ambulanzen wurden geschlossen, die Wartezeiten für Operationen und dringend notwendige Therapien stiegen stark an. In manchen Krankenhäusern müssen Patient_innen mittlerweile damit rechnen, dass sie in einem Bett am Gang liegen.

Zu Beginn dieses Jahres lief das Fass über. Mit dem 1. Januar 2015 musste in Österreich die EU-Arbeitszeitrichtlinie umgesetzt werden. Diese begrenzt die maximale Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden. Bis zu diesem Zeitpunkt arbeiteten Ärzt_innen in österreichischen Krankenhäusern bis zu 72 Stunden wöchentlich. Für sie bedeutete die Arbeitszeitreduktion massive Lohnverluste. Und obwohl diese EU-Richtlinie bereits seit über zehn Jahren existierte, gab es seitens der politisch Verantwortlichen auf Bundesländerebene keine Vorbereitung darauf. Kurzfristig kündigte etwa die Stadt Wien an, ärztliche Tätigkeiten im Rahmen des »mitverantwortlichen Tätigkeitsbereichs« wieder an die Pflege zu übertragen und weiteres Personal abzubauen. Die oberösterreichische Landesregierung kündigte Kürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich von 25 Millionen Euro an.

Asklepios wurde vom ÖGB heftig bekämpft

Österreichweit formierte sich Widerstand gegen diese Pläne, aber auch gegen Gewerkschaft und Ärztekammer, die den Neuregelungen in manchen Bundesländern bereits zugestimmt hatten. Es kam zu Betriebsversammlungen, Demonstrationen und Protesten in Landesparlamenten. Nach dem Vorbild des Marburger Bundes gründete sich Asklepios, eine neue Gewerkschaft außerhalb des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Diese forderte das Verhandlungsmandat sowie Lohnerhöhungen von 30 Prozent für angestellte Ärzt_innen und wurde dafür vom ÖGB heftig bekämpft.

Die Proteste weiteten sich rasch auf die Pflege aus. Nach der erwähnten Facebook-Initiative in Salzburg thematisierten Pflegekräfte und Betriebsräte die teils eklatanten Gehaltsunterschiede von Pflegekräften zwischen einzelnen Bundesländern sowie die drastischen Folgen staatlicher Ausgabenkürzungen und permanentem Personalmangel für Beschäftigte und Patient_innen. Vor allem letzteres motivierte viele Pflegekräfte, sich an den Protesten zu beteiligen. »Jetzt reicht es«, sagte eine der Krankenschwestern, die sich beim SPÖ-Maiaufmarsch bei einem Flashmob symbolisch auf den Wiener Rathausplatz legte. »Die Direktionen ignorieren die Probleme und geben ohne jegliche Information unrealistische Anordnungen.« Eine andere Kollegin berichtete, dass der Arbeitskampf der Ärzt_innen für sie ein weiterer Grund war, sich an der Aktion zu beteiligen: »Die Ärzte und Ärztinnen haben eine starke Vertretung und können ihre Interessen durchsetzen. Wenn uns niemand vertritt, müssen wir selbst für Aufmerksamkeit sorgen, damit wir von der Politik gehört werden.«

Häufig wird die zersplitterte Gewerkschaftszuständigkeit als Grund für die schwache Interessenvertretung von Krankenhausbeschäftigten angeführt. Für die Pflege allein sind vier verschiedene Gewerkschaften zuständig (vida, GPA-djp, GdG, GÖD). Die Ärzt_innen haben mit der Ärztekammer eine zusätzliche gesetzliche Standesvertretung. Das größere Problem ist jedoch, vor allem im öffentlichen Bereich, die große Nähe zwischen politischen Parteien und Interessenvertretungen sowie die hohe Kompromissbereitschaft mancher Gewerkschaften. In Wien etwa hatten die mehrheitlich sozialdemokratische Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG) sowie die Ärztekammer der Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie durch die rot-grüne Stadtregierung ohne Einbindung der Beschäftigten zugestimmt. Angesichts des sich ausbreitenden Widerstands der Ärzt_innen ruderten sowohl Gewerkschaft als auch Ärztekammer zurück.

In der Steiermark kam es nach Ankündigung der dortigen Landesregierung, 25 Millionen im Kultur-, Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich kürzen zu wollen, bereits Anfang 2011 zur Gründung der »Plattform 25«. Gewerkschaftsvertreter_innen waren zwar involviert, stimmten jedoch letztlich für das rot-schwarze Kürzungspaket. Doch es geht auch anders. In Oberösterreich etwa sind Gewerkschaften im Gesundheitsbereich mit einer ÖVP dominierten Landesregierung konfrontiert. Dort kann die Pflege auf eine gewerkschaftsübergreifende Vernetzung und Arbeitskampferfahrung zurückgreifen. 2013 kam es in den oberösterreichischen Ordensspitälern zu Warnstreiks - in Österreich nach wie vor eine Seltenheit. Mittlerweile fordern Pflegekräfte auch in Tirol und Kärnten Lohnerhöhungen von bis zu 20 Prozent.

Ein Anfang ist gemacht

Im Gesundheitsbereich ist vieles in Bewegung geraten. Krankenhausbeschäftigte haben in den vergangenen Monaten große öffentliche und mediale Aufmerksamkeit erlangt. Ärzt_innen und Krankenpfleger_innen haben sich Gehör verschafft und die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Arbeit thematisiert - und das überwiegend selbstorganisiert. Der Anfang ist gemacht. Zukünftig wird es darum gehen, dass sich die verschiedenen regionalen Initiativen und Organisationen stärker vernetzen und abstimmen - auch über Krankenhausmauern hinaus. Die letzten Monate haben deutlich gemacht: Eine gute Gesundheitsversorgung braucht gute Arbeitsbedingungen. Das heißt, auch wir Patient_innen und Angehörige sind gefragt, denn Gesundheit geht uns alle an. Und es ist klar geworden, dass es nicht nur eine Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen braucht.

Der Widerstand muss vor allem im Alltag, also auf der eigenen Station oder Abteilung, spürbar werden. Gemeinsam Überlastungsanzeigen zu verfassen, nicht mehr einzuspringen, mit den eigenen Kolleg_innen zu sprechen und kollektive Strategien zu entwickeln - das alles sind die Voraussetzungen dafür, um gegenüber Krankenhausbetreiber_innen und Landesregierungen Druck erzeugen zu können. Die Ärzt_innen haben in vielen Bundesländern binnen weniger Monate die geforderten Lohnerhöhungen durchgesetzt und damit bewiesen, dass sich kämpfen lohnt. Noch vor wenigen Monaten hätten die meisten Pflegekräfte zugestimmt, dass sie keine Lobby haben. Heute sagen viele von ihnen: »Die Pflege ist am Boden, aber wir stehen auf!«

Sandra Stern ist basisgewerkschaftlich aktiv und eine Freundin der analyse & kritik Wien (akw). Florian Weissel ist Aktivist der Revolutionär Sozialistischen Organisation und Mitinitiator der CARE Revolution Wien.

Privatisierung in österreichischen Krankenhäusern

In Österreich befinden sich nach wie vor 85 Prozent aller Krankenhäuser in öffentlicher Hand, das heißt in Verwaltung eines der neun Bundesländer oder einer der 22 Sozialversicherungsträger. Die übrigen 15 Prozent sind entweder private oder konfessionelle Krankenhäuser. Letztere, häufig handelt es sich um Ordensspitäler, sind zwar meist gemeinnützig, also nicht profitorientiert organisiert und erhalten daher staatliche Subventionen. Die Ausgliederung von Arbeitsbereichen wie etwa Reinigung und Wäscherei ermöglicht jedoch zugleich Gewinne. Die Krankenanstalten der Sozialversicherungen finden sich v.a. im Kur- und Rehabilitationsbereich. Anfang der 2000er Jahre wurde in diesem Bereich erstmals das Management eines Krankenhauses an ein privates Unternehmen übertragen. Seither wird das Neurologische Zentrum Rosenhügel von der Vamed Management und Service GmbH geführt. Vamed ist neben Humanomed der aktuell größte private Player im österreichischen Spitalswesen.