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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 606 / 16.6.2015

Fast and Furiosa

Kultur KrachBummPeng!!! »Mad Max: Fury Road« entsorgt den männlichen Actionhelden, stattdessen prügelt, rast und ballert: Charlize Theron

Von Toby Ashraf

Über Sexismus zu reden, hat in Hollywood momentan Konjunktur. Feministische Forderungen nach gleicher Bezahlung, gleicher Behandlung und einem fundamentalen Umdenken in punkto Geschlechterfragen werden lauter, und sie werden offener vorgebracht. Da gab es Patricia Arquette, die ihren Oscar-Sieg dazu nutzte, unter Jubel gleiches Gehalt für Schauspielerinnen zu fordern. Da gab es Cate Blanchett und Reese Witherspoon, die sich öffentlich darüber beschwerten, dass Frauen auf dem roten Teppich immer noch objektiviert und in Interviews nach ihren Kleidern statt nach ihrer Arbeit befragt werden. Die feministische Hashtagkampagne #AskHerMore machte daraufhin auf Twitter die Runde. Auch die Tatsache, dass die einzige im Kino prominent vertretene Actionheldin des Marvel-Comic-Universums, Scarlett Johansson als Black Widow bzw. Natasha Romanoff, aus dem Spielzeug-Franchise der Avengers verschwand, blieb nicht unbemerkt. Mit der Frage #WheresNatasha und dem Hashtag #WeWantWidow beschwerten sich nicht nur Kinder darüber, dass weibliche Figuren in der männerdominierten Actionwelt nach wie vor zu kurz kommen, und forderten endlich einen eigenen Black-Widow-Film.

Meryl Streep fasste diese Actionfilme, die für den ungebrochenen Trend stehen, Frauen auf Nebenrollen zu reduzieren oder gar nicht erst vorkommen zu lassen, scherzhaft als »Man Movies« zusammen. Denn ob Superman, Batman, Iron Man, Terminator oder Captain America - die Prequels, Sequels und Spin-Offs der Männerhelden-Filme scheinen kein Ende zu nehmen. Da verwundert es nicht, dass auch George Miller seinem 1979 geborenen Anti-Helden Mad Max ganze 30 Jahre nach dem dritten und bisher letzten Teil der Saga einen neuen Aufguss verpasst. Dieser spielte seit dem Kinostart Anfang Mai weltweit bereits mehr als 300 Millionen US-Dollar ein.

In »Mad Max: Fury Road« spielt statt Mel Gibson nun der 37-jährige Tom Hardy die Rolle des Max Rockatansky und hat - das ist die größte Überraschung - im Gegensatz zur wahren Hauptfigur des Films, Charlize Theron als Imperator Furiosa (Doppel-sic), wenig zu sagen und wenig zu melden. Eine festgeschraubte Stahlklaue verdeckt zunächst sein Gesicht, auch nach seiner Befreiung aus der Gefangenschaft als lebender Blutspendebeutel ist Max in Ketten gelegt. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass er das Ende des Films überhaupt erlebt. In einer Kampfszene mit Furiosa hält diese ihm die Knarre ins Gesicht und drückt ab - einzig eine technische Fehlfunktion garantiert Max das Weiterleben.

Feministische Aneignung des Actionmovies?

In einer weiteren denkwürdigen Szene ist Max Furiosas Beifahrer und muss sich gegen die nahenden Angreifer wehren. Da er im Gefecht versagt, übernimmt Furiosa, schießt zweimal gezielt aus dem fahrenden Wagen heraus und konfrontiert den Titelhelden lässig mit seiner eigenen Impotenz. Ein Fest für die feministische Filmkritik - will man der Freudschen Logik folgen, dass mit der Aneignung von Phallussymbolen wie der Pistole ein antipatriarchaler Gender-Switch einhergeht. Penisneid von gestern in einer Dystopie, die von einer Frau von Übermorgen bestimmt wird.

Charlize Theron, die knappe zwei Stunden in einem Dildo-gleichen Truck auf 16 Rädern durch die Wüste brettert, ist die gleich mehrfache Heldin eines Films, dessen Geschichte sich als eine einzige ausgedehnte Verfolgungsjagd beschreiben lässt. Das Setting ist eines von staubiger Hoffnungslosigkeit, eine Ödnis, in der Männer regieren und Frauen Gefangene sind.

In einer unbestimmten postapokalyptischen Zukunft, an einem Ort namens Wasteland herrscht der monströse Patriarch Immortan Joe mit Hilfe einer Armee von weißen Jungs über ein Reich, das wie der Rest der Welt unter Ressourcenknappheit leidet. Öl, Wasser und Nahrung sind Mangelware, Krankheit, Wahnsinn, Elend und Maschinen bestimmen die archaischen letzten Tage. Frauen kommen hier zwei Rollen zu: Als Muttermilchspenderinnen und Haremsdamen fristen sie, an Pumpmaschinen gefesselt, tatenlos ihr Dasein. Oder sie fungieren als Gebärmaschinen - »Breeders« heißen sie im Film -, die einzig dazu da sind, als Sexsklavinnen von Immortan Joe dessen Kinder in die Welt zu bringen. Diese fünf Frauen, schlanke Schönheiten aus dem Modell-Versandhauskatalog, befreit Furiosa von ihrer Pein, um sie an einen besseren Ort zu bringen. Doch der existiert, wie sich herausstellt, längst nicht mehr. Und so macht der Konvoi, verstärkt von einer altfeministischen Frauenbrigade auf Motorrädern, kehrt, um die Bastion zurückzuerobern und ihren Herrscher zu töten. Am Ende wird Immortan in einem blutigen Abendmahl vom Volk verspeist, Furiosa zur neuen Herrscherin erkoren.

Über die fünf Nymphen, deren Flucht der Film verhandelt, kann man sich auf den ersten Blick mit einigem Recht beschweren. Sie sind Fleisch gewordene Schaulust in weißen Roben, dürfen sich im Gegenlicht mit Wasser bespritzen und bekommen Gewehre nicht rechtzeitig geladen. Und dennoch sind sie in einem Film, der auf Story, Nebenstränge und Figurenbiografien verzichtet, gerade deshalb genau richtig. »Mad Max: Fury Road« ist ein Film, der mehr als Storyboard, denn per Drehbuch entstanden ist. Er funktioniert durch Bilder, Schauwerte und Montage und überlässt die Analyse dem Publikum. Da die Sklavinnen des Herrschers als reine, saubere und unversehrte Göttinnen die wahren Fremdkörper in einem Universum der Verwundeten, Vernarbten, Schmutzigen und Wahnsinnigen sind, ist ihre Gefangenschaft in einer Welt, die keine Schönheit mehr kennt, doppelbödig zu verstehen. Den praktischen Umgang mit Bolzenschneidern lernen sie zudem schnell - erst, um sich von ihren mit Metalldornen besetzten Keuschheitsgürteln zu befreien, und später, um andere Ketten der Tyrannei zu durchtrennen.

Der weibliche Körper als Nahkampfwaffe

Charlize Theron hingegen, deren Karriere als Fashionmodel ihr überhaupt erst den Weg nach Hollywood ebnete, sieht man hier mit kurzen braunen Haaren, Schmierfett-Camouflage und Armprothese. Sie entfernt sich zwar nicht so weit von ihrer außerfilmischen Schönheitsnorm wie in »Monster«, lässt in Performance, in Kostüm und Maske aber Actionheldinnen wie Lara Croft und selbst die Black Widow in deren körperbetonten Kampfoutfits Lichtjahre hinter sich. Furiosa ist eine furchtlose Kämpferin mit eigener Mission. Sie bewegt sich in einem Netz weiblicher Solidaritäten, misstraut Männern im Allgemeinen, Max im Besonderen, sie prügelt, tötet, rast und ballert. Dabei blickt die Kamera zwar gerne nah auf ihr Gesicht, ihr weiblicher Körper fungiert in der Anarchie des pausenlosen Kriegszustands aber ausschließlich als Nahkampfwaffe, und das trotz des fehlenden Unterarms.

Stellt Furiosa dadurch einen anderen Fetisch dar? Der amputierte Frauenkörper als heterosexuell-männlicher Zerstörungstraum wie etwa Rose McGowan als beinamputierte Stripperin in Robert Rodriguez' »Planet Terror«? Wohl kaum, denn George Miller meint es ernst mit seiner Actionheldin, deren Behinderung als solche kaum zum Tragen kommt. Zum Vergleich 1: Immortan Joe muss seine keimenden Ekzeme unter einem Körperschutzschild verstecken und wird durch eine permanente Gesichtsmaske künstlich beatmet, während seine Wild Boys, an Maschinen gekettete, drogenabhängige Kamikazekrieger, sich ein Silberspray in den Mund sprühen, um furchtlos angreifen zu können. Zum Vergleich 2: Die einzig annähernd entsprechende Frauenfigur aus der Mad-Max-Reihe war im dritten Teil Tina Turner als Aunty Entity (Doppel-sic), die als Quasi-Herrscherin in ständiger Abhängigkeit von einer Methan produzierenden Unterwelt lebte, keine Kampfszenen und insgesamt nicht viel mehr als einen längeren Kurzauftritt hatte.

Frauen kamen auch vor - so könnte man die früheren Mad Max-Filme zusammenfassen. In »Mad Max« (1979) hatte Max' Ehefrau als Mutter und sterbendes Opfer lediglich eine Katalysator-Rolle, um aus dem Polizisten überhaupt erst »Mad Max - Der Vollstrecker« (1981) zu machen. Aber es gab im ersten Teil auch May Swaisey, eine rüstige Rentnerin mit Gehhilfen, die mit ihrem Gewehr erst eine Horde psychopatischer Biker in die Scheune sperrt und schließlich in die Flucht schlägt. Ähnliche Rollen gibt es in »Mad Max: Fury Road« mehrfach - ältere todesmutige Frauen, die den Lauf ihrer Flinten lachend in die Gesichter der Männer halten. In »Mad Max - Der Vollstrecker« bleibt einzig Virginia Hey als Warrior Woman im Gedächtnis, und in »Mad Max - Jenseits der Donnerkuppel« (1985) regiert dann Aunty Entity (im Deutschen: »Tantchen«) fremdbestimmt als unausgegorener Side-Kick die Postapokalypse.

All das ist nicht im Ansatz vergleichbar mit der Figur der Furiosa und etwa der Szene am Ende des Films, in der sie den Patriarchen entmachtet. Selbst schon schwer verletzt, springt sie auf den Wagen von Immortan Joe, spuckt ein hasserfülltes »Remember me?« in seine Richtung und reißt ihm mit seinen Beatmungsschläuchen gleich noch Teile des Gesichts heraus, die sich in den staubigen Rädern der Karosse verfangen.

»Männerlobbyisten« laufen Amok

Falls das die feministische Message des Films sein sollte, ist sie angekommen. Unter dem wütenden Titel »Why You Should Not Go See Mad Max: Feminist Road« riefen die rechtspopulistischen antifeministischen Autoren des Blogs Return of Kings zum Boykott des Films auf, der sein Publikum um den männlichen Helden betrüge und ihn dem Kommando einer Frau unterstellt. »Niemand kommandiert Max Mad herum!«, erbost sich Autor Aaaron Clarey. »Oh doch - und zum Glück«, möchte man lächelnd entgegnen.

Über Fortsetzungen wird wild spekuliert, denn George Miller verkündete per Twitter, dass »Fury Road« nicht der letzte Teil der Reihe gewesen sei. »Mad Max: The Wasteland« scheint in Vorbereitung, auch der Titel »Mad Max: Furiosa« macht bereits die Runde. Vielleicht ist es nach diesem fulminanten Neuanfang an der Zeit einzusehen, dass Max Max als Figur den Franchise verlassen sollte, damit es endlich und erstmals ein weibliches Spin-Off geben kann. Tom Hardy blickt jedenfalls in der letzten Einstellung des Films von unten auf die neue Herrscherin Furiosa und verschwindet in der anonymen Masse. Die Bühne überlässt er endgültig einer Frau.

Toby Ashraf ist freier Filmkritiker, Übersetzer, Moderator, Performer und Kurator in Berlin. 2014 gründete er das Berlin Art Film Festival.