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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 606 / 16.6.2015

Eine Regierung ohne Furcht und Tadel

Deutschland Protestbewegungen müssen sich auf ein engmaschiges Netz von Überwachung einstellen und sich unter diesen Bedingungen neu organisieren

Von Susanne Lang

BND-Gesetz, Verfassungsschutzreform, Vorratsdatenspeicherung, IT-Sicherheitsgesetz - in diesem Sommer werden etliche Gesetzesvorhaben verabschiedet und auf den Weg gebracht, die den gesamten sicherheitspolitischen Bereich neu ordnen und die Bedingungen demokratischer Teilhabe erheblich einschränken. Staatskritische Protestbewegungen müssen sich auf ein engmaschiges Netz von Totalüberwachung und Repression einstellen und sich unter diesen Bedingungen neu organisieren. Vor allem aber müssen wir uns fragen: Wie konnte es dazu kommen? Warum können all diese Vorhaben fast protest- und kritiklos die Parlamente passieren?

Der aktuelle Gesetzesentwurf zur Verfassungsschutzreform, der von der Regierung als Reaktion auf das durch den NSU-Untersuchungsausschuss zutage getretene sogenannte Versagen des Verfassungsschutzes (VS) entworfen wurde, löst das Problem der mangelnden rechtsstaatlichen Praxis des Geheimdienstes auf eigenwillige Art: Statt das völlig außer Kontrolle geratene Amt wieder einzuhegen, wird die Gesetzgebung der Praxis angepasst. Vermutlich ist der Regierung längst klar, dass die deutschen Geheimdienste, der Verfassungsschutz vorneweg, längst nicht mehr der staatlichen Kontrolle unterliegen, sondern ein beträchtliches Eigenleben entwickelt haben. Nach dem Motto »Legalize it« wird nun der Schein aufrechterhalten, der Apparat ließe sich noch rechtsstaatlich kontrollieren. Das klingt wie linksradikale Polemik? Mitnichten.

Mit der Verfassungsschutzreform »sind die Barrieren für einen umfassenden, fast voraussetzungslosen und verfassungswidrigen Datenfluss gefallen.« So urteilt Andrea Voßhoff, Bundesdatenschutzbeauftragte und CDU-Mitglied über den Gesetzesentwurf. Die Konsequenz solcher klaren Worte folgt auf dem Fuße: Die Datenschutzbeauftragte wird des Raumes verwiesen und darf an der Bundestagsanhörung zum Gesetz gleich gar nicht erst teilnehmen. Der Vorgang kann auch als Signal verstanden werden, wie zukünftig mit Kritik und demokratischen Prozessen umgegangen wird. Aber auch die Mehrheit der in die Anhörung geladenen sachverständigen Anwält_innen und ehemaligen Richter_innen stellen fest: Gestärkt wird das, was zum Problem NSU geführt hat. Ob ihre Meinung eine Veränderung des Gesetzesentwurfs zur Folge haben wird, bleibt abzuwarten.

VS-Befugnisse werden erweitert

Worum geht es im Einzelnen? Das Gesetz ist lang und enthält viele Details, die in ihrer Tragweite schwer zu durchschauen sind. Aber allein die Eck- und Rahmendaten lassen einen erschaudern:

- die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz werden erweitert. Jetzt ist dieser für jede »gewaltgeneigte Bestrebung« zuständig. Selbst den sogenannten Extremismus scheint der VS also nicht mehr für die Legitimation seiner Arbeit zu brauchen.

- Es wird eine gemeinsame Informationsdatenbank aufgebaut (NADIS), die sämtliche Daten der VS-Landesämter und des Bundesamtes zusammenführt. Weil es praktischer sei, wird gleich alles als Volltext abgelegt, dann kann jede Behörde auf alles direkt zugreifen. Alles wird erfasst, was den Behörden in die Finger kommt. Es gibt keine Regelungen für die Aufbewahrungsdauer, für die Analysebefugnisse oder für eine demokratische Kontrolle. Für immer und für jede Art von Auswertung gibt es dort einen völlig unregulierten riesengroßen Datenbestand.

- Die dreckige V-Personenpraxis, die dazu führt, dass riesige Mengen Geld in den Aufbau von Neonazistrukturen fließen, wird nicht etwa abgeschafft, sondern gesetzlich legalisiert. V-Personen sollen jetzt rechtlich legal straffrei ausgehen, wenn ihre Straftaten »szenetypisch« sind. Gelder fließen nach wie vor, besondere Beschränkungen bei der Auswahl von V-Personen gibt es nicht. Der Verfassungsschutz entscheidet.

- Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist angehalten, Daten an Strafverfolgungsbehörden weiterzugeben, wenn sie es für relevant erachten. Verpflichtet ist es dazu nicht. Auch hier entscheidet der jeweilige Behördenleiter.

- Damit das alles auch finanziell solide ist, bekommt das Bundesamt 17 Millionen Euro extra und 260 neue Planstellen - natürlich nur durch dieses Gesetz. In den anderen Gesetzesentwürfen sind zusätzliche Mittel für die Ämter vorgesehen.

Auch wenn diesem Gesetzesentwurf noch etwas abgerungen, vielleicht durch zähe parlamentarische Verhandlungen der eine oder andere Paragraf abgeschwächt oder nachgebessert werden könnte, wird es vermutlich nicht abzuwenden sein. Solch ein Gesetz wird doch nur gegen den Protest der gesamten linken und bürgerlichen Bevölkerung durchzusetzen sein, oder? Die Humanistische Union bemüht sich seit Wochen, eine Kampagne dagegen zu starten. 20 Menschen konnte sie mobilisieren, vor dem Bundestag während der Anhörung ein paar Protestschilder in die Luft zu halten. Und dabei handelt es sich hier um ein Gesetz, das als direkte Reaktion auf die NSU-Morde ein direkter Schlag ins Gesicht der Angehörigen und der überlebenden Opfer der durch den NSU Ermordeten ist. Ein direkter Schlag ins Gesicht all derjenigen, die sich gegen Neonazis zur Wehr setzen.

Ist das alles? Nein, es kommt noch besser. In den nächsten Wochen wird die Vorratsdatenspeicherung durchgewunken, danach der BND nach dem gleichen Schema reformiert: Mittelaufstockung, Befugniserweiterung, Einschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, sodass die Ergebnisse des NSA-Untersuchungsausschusses von Anfang an ins Leere laufen.

Der Untersuchungsausschuss läuft ins Leere

Der Umbau der deutschen Sicherheitspolitik hin zu digital operierenden, totalüberwachenden und gezielt repressiv intervenierenden Sicherheitsbehörden kommt nicht unangekündigt. Zu Beginn der NSU- und NSA-Untersuchungsausschüsse war bereits klar, dass deren Ergebnisse zu einer Verschlimmbesserung der Situation führen werden, zu einer Aufrüstung und Modernisierung der Geheimdienste - wenn es keinen politischen Druck gibt, der das verhindert. Dass eine Linke einen solchen Umbau hinnimmt, ohne auch nur im Ansatz zu protestieren, ist erschütternd und die Quittung für eine leider fest verankerte Tradition getrennter linker parlamentarischer und außerparlamentarischer Politik. Es ist die Quittung für eventbasierte Politik, ohne das Durchhaltevermögen, strategische Debatten nicht nur anzuzetteln, sondern auch über mehrere Jahre Druck aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Sicherlich gibt es noch weitere Gründe, warum es der Gesamtumbau der Sicherheitsbehörden nicht auf den Aufmerksamkeitsradar schafft. Für scheinbar nur netzpolitische Themen - wie die Vorratsdatenspeicherung - fühlen sich viele Linke schlichtweg nicht zuständig; Netzpolitiker_innen wiederum beschränken sich in ihrem Blick zu gern auf einen engen Begriff von Netzpolitik, bei dem dann Sicherheitspolitik gerne rausfällt. Und schließlich ist die Auseinandersetzung mit Repression auch immer mühsam, frustrierend und wenig handlungsmotivierend. Alles gute Gründe, dass die Regierung bei einem Umbau der Sicherheitsbehörden vor Protesten ihrer Bevölkerung keine Sorge haben muss.

Susanne Lang interviewte in ak 603 Matthias Spielkamp von der NGO Reporter ohne Grenzen zu den Snowden-Enthüllungen.