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Verein fuer politische Bildung, Analyse und Kritik e.V.

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 607 / 18.8.2015

Ohne Dolmetscher den Staat zerstören

International Während in der Tschechischen Republik die Repressionsschraube gegen linke Aktivist_innen angezogen wird, erhalten Rassist_innen breiten Zuspruch

Von Alena Becker

Ende April begann mit der »Operation Fénix« in der Tschechischen Republik eine breit angelegte Kampagne der tschechischen Polizei gegen »Linksextremisten«. (ak 605) Am Ende einer ganzen Reihe repressiver Maßnahmen stand damals die Inhaftierung dreier Aktivisten. Ihnen wird vorgeworfen, gemeinsam mit drei weiteren Personen einen Anschlag auf einen Güterzug geplant zu haben. Nun wurde ein vierter Anarchist verhaftet; einer der drei ursprünglichen Fénix-Gefangenen kam frei.

Die Medienstrategie der Sondereinheit zur Extremismus- und Terrorismusbekämpfung ging auf: Ganz Tschechien war davon überzeugt, vor einem schrecklichen Terroranschlag gerettet worden zu sein. Doch dann wurde bekannt, dass die beiden Herren, die im Prozess gegen die vermeintlichen Terroristen als Hauptbelastungszeugen aussagen sollten, in Wirklichkeit verdeckte Ermittler waren. Sie waren in die anarchistische Szene eingeschleust worden und an der Planung des Anschlags beteiligt. Seit ein Auftrag der tschechischen Polizei zur Programmierung eines Virus ähnlich dem »Bundestrojaner« aufflog, hat diese auch noch das Amt für Datenschutz am Hals, das die Ansicht vertritt, die Polizei habe widerrechtlich gehandelt.

Die Verantwortlichen zeigen sich davon jedoch unbeeindruckt. Nachdem eine bislang unbekannte Person Anfang Juni drei Molotowcocktails auf den privaten Wohnsitz des Verteidigungsministers, Martin Stropnický, warf und eine vierte Flasche im Beet liegen ließ, wurde anlässlich einer antifaschistischen Blockade in Brno am 26. Juni der 20-jährige russische Student Igor S. verhaftet. Igor stammt aus Irkutsk und hielt sich zum Zeitpunkt seiner Verhaftung seit etwa einem Jahr in der Tschechischen Republik auf. Er lernte Tschechisch und hatte gerade erfolgreich die Aufnahmeprüfungen für ein Studium an der Philosophischen Fakultät der Prager Karls-Universität absolviert.

Im Rahmen der »Operation Fénix« war er bereits verhört worden; man ließ ihn jedoch vorerst wieder gehen. Nach der Verhaftung von Igor S. in Brno entschied der zuständige Richter Krystof Nový jedoch, dass es zwar keine Beweise dafür gebe, dass Igor die ihm vorgeworfene Tat begangen habe, aber dass er theoretisch die Möglichkeit gehabt hätte, einen Brandsatz in den Garten des Verteidigungsministers zu werfen.

Wie Petr Uhl in einem Artikel für die Zeitung Lidové Noviny herausstellt, gilt diese Logik der Haftbegründung für jede_n, der oder die nicht beweisen kann, in jener Nacht gar nicht in die Nähe des Hauses gewesen zu sein. Igor hat zwar ein Alibi, doch die Polizei zeigt wenig Interesse daran, es zu überprüfen. Zum Tatzeitpunkt schlief er in seinem Zimmer im Studentenwohnheim, dessen Ein- und Ausgänge videoüberwacht und dessen Fenster vergittert sind. Die Aufnahmen sichtete die Polizei bislang jedoch nicht.

Eine Polizeihündin als Hauptbelastungszeugin

Stattdessen pocht sie weiter auf Geruchsproben, die sie an der im Beet aufgefundenen Flasche gefunden haben will und die von einer Polizeihündin angeblich als Igors Geruch identifiziert worden sind. Aufgrund solcher Geruchsproben wurde bereits 1992 der damals 19-jährige Student und Anarchist Petr Wohlmuth für den versuchten Mord am damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM), Jirí Svoboda, verurteilt. Vor Gericht stellte sich jedoch heraus, dass der Staatsanwalt die Öffentlichkeit belogen hatte, als er behauptete, Wohlmuth habe die Tat gestanden. Es dauerte sieben Jahre, bis das Fehlurteil gegen Wohlmuth aufgehoben wurde. Wer das Attentat verübte, ist bis heute ungeklärt.

Im Fall Igor erkundigte sich die tschechische Polizei beim russischen Inlandsgeheimdienst nach seiner Person. Igor wurde in Russland bereits mehrfach aufgrund von regierungskritischen Aktivitäten verurteilt. Laut Geheimdienst sei Igor nicht wegen des Studiums nach Prag gekommen, sondern er habe nur deswegen Tschechisch gelernt, weil er in Prag einen Ableger einer »anarchobolschewistischen« Gruppe habe aufbauen wollen. Er habe den Staat zerstören wollen, ohne dabei auf einen Dolmetscher angewiesen zu sein.

Während die Aktivist_innen mit der Abwehr der Repression und der Unterstützung der Gefangenen beschäftigt sind, nehmen islamophobe und rassistische Aktivitäten immer weiter zu, die Kapazitäten zur Gegenwehr jedoch immer weiter ab. Die PEGIDA-ähnliche Bewegung »Islam v CR nechceme« (»Den Islam wollen wir in der Tschechischen Republik nicht«) erhält von vielen Seiten Unterstützung: Sei es Staatspräisdent Milos Zeman, der verkündete, sollte eine »größere Anzahl Islamisten die Grenzen zur Tschechischen Republik überqueren« sei es eine Selbstverständlichkeit, zum Gewehr zu greifen. Oder sei es der ehemalige Präsident Vaclav Klaus, der es etwas schlichter hielt: »Keine Flüchtlinge! Wir sagen einfach nein.«

Neben dem politischen Mainstream erhalten die Protagonist_innen von IvCRn auch aus anderen Bereichen der Gesellschaft Unterstützung. Der Soziologe Petr Hampl, der neben weiteren kruden Thesen (»Heute Gesellschaftswissenschaften studieren ist wie 1989 in die KP eintreten«) die Behauptung aufgestellt hat, Muslime »züchteten« sich mittels entsprechender Partnerwahl absichtlich zu einer »brutalen und feigen neuen Rasse«, veröffentlicht mehrere Artikel pro Woche, darunter auch in eher linken Medien. Der Entomologe Martin Konvicka lehrt an einer staatlichen Hochschule und bezeichnet sich selbst auf seinem Blog als »Amateur-Deislamisator«. Als Neonazis und andere Rassist_innen auf dem Wenzelsplatz Galgen aufstellten und den Gegendemonstrant_innen ins Gesicht schrien, dass sie als »Volksverräter« sehr bald daran hängen würden, rief er grinsend zur Besonnenheit auf.

Alena Becker schrieb in ak 605 über die »Operation Fénix«.